Verliert die Spitzenküche ihren wichtigsten Rückhalt, weil die Hotels nicht mehr mitspielen?

In der letzten Zeit häufen sich die Pressemeldungen von immer mehr Hotels, die ihr Gourmetrestaurant aufgeben und stattdessen auf „Casual Fine Dining“ setzen. Wohlgemerkt: ich bin durchaus ein Freund dieses neuen Formats und glaube, dass es eine große Zukunft hat – vorausgesetzt, man vergisst bei all dem „casual“ das „fine“ nicht (siehe weiter unten). Mittlerweile blicke ich aber auch mit einiger Sorge in Richtung der großen Hotels und habe die Befürchtung, dass über kurz oder lang immer mehr Gourmetrestaurants aus den Hotels verschwinden werden und damit ein ganzer Zweig der Gourmandise ins Wanken gerät. Heute findet sich noch ein beträchtlicher Teil der Spitzenrtestaurants mit zwei oder drei Michelin-Sternen in Hotels der Spitzenklasse. Ohne diesen „Arbeitsplatz“ würde es vermutlich einen größeren Teil dieser Restaurants nicht geben. Ob die Köche ohne die Hotels mit eigenen Mitteln dort hingekommen wären, wo sie jetzt sind, ist bei weitem nicht ausgemacht.

Der große Erfolg einer ganzen Reihe von geänderten Restaurantformaten könnte mehr und mehr Hoteliers auf die Idee bringen, es den Kollegen gleichzutun. Und wenn dann noch die Auswirkungen der Alterspyramide hinzukommen und die schwindende Spitzenküchen-Klientel alter Prägung keine jüngeren Nachfolger findet, kann ein Ende sehr schnell kommen. Tatsächlich spielen längst eine größere Anzahl von Hoteldirektoren und/oder Besitzern mit solchen Gedanken. Aus diesem Grunde sollte man dringend weiter darüber nachdenken, wie man allfällige Veränderungen so in den Griff bekommt, dass nicht gleich einer ganzen Gattung von Restaurants eine beträchtliche Schwächung droht.

Vorab: Man sollte beim „casual“ das „fine“ nicht vergessen
Bei dem, was es an neuen Formaten schon gibt, sind erhebliche Qualitätsunterschiede anzutreffen. Es kommt immer wieder vor, dass eine mehr oder weniger normale Brasserie-Küche als „casual fine dining“ etikettiert wird. Man sollte sich in Erinnerung rufen, dass das Konzept des „Casual Fine Dining“ in erster Linie etwas mit einer Auflockerung der gastronomischen Organisation im weiteren Sinne zu tun hat. Dazu gehört der Verzicht auf Pflichtmenüs, oder meist (nicht immer) auch der Verzicht auf einen formellen, oft personell stark besetzten Service, der sonst vor allem für den reibungslosen Ablauf großer Menüs zu sorgen hat. Kulinarisch im engeren Sinne sollte es vor allem um das Ermöglichen einer Speisenfolge gehen, wie der Gast sie wünscht, und damit natürlich mittelbar auch um die Rückkehr von Gerichten, die eher klassischen Hauptgerichten ähneln. Der Gast sollte eben auch mit einem Hauptgericht und einer Vorspeise oder ähnlichen Arrangements (wie etwa Gerichte zum Teilen) glücklich und zufrieden sein. Ein weiterer Punkt der kulinarischen Erweiterung betrifft üblicherweise Produkte und Zubereitungen, die in der Spitzenküche kaum je eine Rolle spielen, also vor allem ein ausgeweiteter Grill-Bereich.

Exakt an dieser Stelle ergibt sich dann die Frage, ob man ausschließlich in diese Richtung denkt, oder ob dem Gast auch noch andere Formen zugänglich gemacht werden können, die auch moderne, kleinformatige Degustationen beinhalten. Die Tendenz geht hier leider allzu oft in Richtung Brasserie-Küche und nicht in Richtung des „Fine Dining“. Es ergibt sich ein Verlust an kreativer, zeitgenössischer Küche zugunsten einer Küche, die strukturell eher der bürgerlichen Küche ähnelt. Dass Kreativität und „Casual Fine Dining“ durchaus zusammenpassen, kann man bisher nur bei den Besten antreffen, etwa bei „Fritz und Felix“ in „Brenners Park Hotel“ in Baden-Baden oder in der „Villa Rothschild“ in Königstein.

Das klassische Gourmetrestaurant braucht variablere Angebote
Wie aber kommt nun das klassische Gourmetrestaurant aus dieser Zwickmühle heraus? Im Moment sieht es eher so aus, als wolle man nicht links und nicht rechts schauen, sondern unbedingt auf Kurs bleiben und darauf hoffen, dass das Publikum schon nicht ausbleibt. Was mittlerweile vermehrt auftaucht, sind Restaurants, die nicht unbedingt wie Gourmetrestaurants aussehen, aber im Prinzip so arbeiten. Schon dieser Schritt reicht in vielen Fällen aus, um ein anderes, jüngeres Publikum anzuziehen. Die Restaurants werden lauter, informeller, aber bleiben kulinarisch auf Kurs. Sie sind sozusagen mehr „casual“, benutzen aber nicht das Wort vom „Casual Fine Dining“. Hin und wieder gelingt dann auch ein Angebot, das auch im Wochenende und abends Menüs im Programm hat, die aus drei oder vier Gänge ohne großes Beiwerk bestehen, es dem Gast also möglich machen, nur seinen Appetit und Hunger zu stillen, nicht aber heillos überfüttert zu werden.
Dass es zu einem großen Degustationsmenü keine Alternativen gibt, sollte heute eigentlich längst der Vergangenheit angehören. Das Ermöglichen eines à la carte – Menüs (was ja auch variiert werden könnte) sollte unbedingt stärkere Verbreitung finden.

Eine Küche – mehrere Restaurants – dieses Mal aber so, dass es wirklich Sinn macht
Und wenn man dann weiter denkt und sich überlegt, was und wie man selber am liebsten essen möchte und was andere Gäste über das sagen, was sie am liebsten essen möchten, ergeben sich noch ganz andere Dinge. Vergessen sollte man die alte Geschichte mit dem „Zweitrestaurant“, in dem oft irgendeine Art bürgerliche Küche angeboten wird, die meist nicht wirklich erwähnenswert ist und vor allem nicht in irgendeinem künstlerischen Zusammenhang mit der Küche des Hauptrestaurants steht. Erinnern sollte man sich dagegen ruhig einmal an das legendäre Amuse Bouche-Menü von Drei Sterne-Koch Dieter Müller in Schloß Lerbach, Das seinerzeit sehr viel Aufmerksamkeit erregte und den Mittagsservice des Restaurants zu ganz neue Höhen brachte. Dabei hatte der alte Fuchs Dieter Müller nichts anderes gemacht, als das, was er für seine Karte ohnehin vorbereitet hatte, in verkürzter Form zu nutzen. Ich hatte ihn seinerzeit auch gefragt, warum er damit nicht noch etwas anderes macht, nämlich auf der einen Seite der Küche eine Art Theke anzuschließen, um dort völlig zwanglos die Amuse-Gruppe (es gab immer drei Sachen pro Gang) auch einzeln anzubieten – ohne Extra-Service und ohne Zwang, das ganze Menü zu essen.

Was man also braucht, sind „Casual“ – Erweiterungen, die nach wie vor feine Küche sind, aber so präsentiert werden, dass sie das Bedürfnis von Gästen nach entspannter Atmosphäre bedienen. Ich kann mir vorstellen, dass man heute eine Gourmetküche um ein oder zwei Räumlichkeiten erweitern könnte, in denen jeweils partikuläre Interessen bedient werden, ohne dass das Niveau gesenkt wird. Die Gerichte kämen aus einer Küche und würden sich im wesentlichen aus Elementen zusammensetzen, die vorbereitet sind.

Eine Erweiterung wäre zum Beispiel das „Studio“, in dem – mit einem Minimum an Service oder vielleicht sogar mit Abholung der Gerichte an einer Theke (wenn nicht sofort an einer Theke) – kreative Kleinigkeiten serviert werden: in variabler Menge, zu Preisen, die deutlich unterhalb großer Menüs liegen, zügig serviert usw. usf., also ohne einen Zwangsrahmen seitens des Restaurants. Im „Studio“ könnten auch Dinge ausprobiert werden, die den Weg ins Gourmetrestaurant noch nicht gefunden haben, es könnte eine kreative Spielwiese für die Küche sein. Auch eine Erweiterung in Richtung „Veggie-Bar“ (o.ä.) wäre denkbar, also eine Zusammenfassung, Erweiterung und Konzentration auf Dinge, die im Restaurant sowieso immer wieder eine Rolle spielen. Auch dies formlos, entspannt und preisgünstig.

Das Ziel jeder solcher Zusatzformate sollte sein, dass die Küche das Heft wieder stärker in die eigenen Hände nimmt, dass sie nicht Opfer von Entwicklungen wird, die drohen, an ihr vorbeizugehen, sondern im eigenen Sinne initiativ wird. Dass sie selber die Formate entwickelt, die zu einer hochwertigen Gourmetküche passen.

Foto: Restaurant Villa Rothschild Grill & Health, © www.kempinski.com

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