Warum „BIO“ allein nicht reicht. „Nachhaltigkeit“ muss man erkennen, schmecken und genießen können.

Der Wille quasi aller an Kochkunst, Gastronomie usw. Interessierten ist eigentlich klar. Die „BIO“-Idee, Nachhaltigkeit und ökologisch sinnvolles Handeln finden – bis auf den ein oder anderen Betroffenen – quasi alle gut. Und trotzdem läuft längst nicht alles wie gewünscht, weil in allen möglichen Bereichen Widerstände existieren und vor allem immer noch nur ein eher kleiner Teil der Bevölkerung trotz gegenteiliger Beteuerungen mitzieht. Die Durchsetzung politischer Interessen ist die eine Sache, Dinge zu verändern, die voraussetzen, dass große Teile der Bevölkerung von einer Idee überzeugt sind, eine ganz andere.

Für die Umsetzung und Verbreitung solcher Ideen braucht man Strategien, die ganz unterschiedlich sein können, aber eben überzeugen müssen. Ein paar böse Szenen aus der Lebensmittelindustrie und/oder aus industriellen Schlachthöfen reichen – wie wir leider wissen – vielleicht für eine kurze Zeit der Aufregung, sorgen aber bisher nie für irgendeine grundsätzliche Verhaltensänderung. Man könnte es auch mit einem anderen Schwerpunkt formulieren: auf der kognitiven Ebene funktioniert eine Menge – bis hin zum Kreuzchen bei der „richtigen“ Partei. Die Fakten, also der reale Konsum werden aber anscheinend immer noch weitgehend emotional gesteuert. Man verlässt sein Lieblingsessen eben nicht so einfach, selbst dann nicht, wenn es ungesund, schädlich oder das Gegenteil von nachhaltigem Wirtschaften als Basis hat. Da geht man lieber hin und macht das Fleisch vegetarisch und vegan, weil man dann den alten, emotional-kulinarischen Trott nicht abschaffen muss.

Diese diversen Auswege und Notlügen und Selbstbetrügereien haben allerdings einen großen Nachteil: sie sind oft sozusagen ganz besonders industriell, entfernen sich oft weit von natürlichen Produkten und lassen kaum jemals Platz für Natürliches, für kulinarische Neubegegnungen zwischen der Verwertung aller essbaren Ressourcen bis hin zur Wiederentdeckung alter Gemüsesorten oder der Wiederbelebung einer neuen Diversität. Dass ein Bio-Laden Unmengen von „Tarnen-und-Täuschen-Produkten“ anbietet, sollte eigentlich so absurd sein, dass man solche Läden sofort aus sämtlichen Verbänden ausschließt. Für all dies gibt es Gründe, denen ich hier ein wenig nachgehen möchte. Was muss man tun, um möglichst viele Leute voller Begeisterung für die Idee von Nachhaltigkeit, BIO und Co. zu begeistern?

Es ist jedenfalls nicht das, was im Moment noch weitgehend den Gang der Dinge bestimmt.

Die Bio-Produkte sind oft zu unspezifisch
Wenn man behauptet, ein Produkt sei BIO oder sonstwie im neuen Sinne gut, und es schmeckt dann nicht anders, als jedes beliebige Produkte aus Massenproduktion, hat man das gravierende Fehlen von Evidenz. Was speziell sein soll, muss auch speziell schmecken, sonst hat das Ganze in letzter Instanz mit Essen zumindest als komplexer Erlebniswelt wenig zu tun, weil wichtige Aspekte der Reaktion des Essers auf ein Produkt und seine Bindung an ein Produkt nicht entstehen könne. Auch seltene Produkte erfüllen diese

Bedingung oft nicht, weil sie zwar sofort als andersartig erkannt werden, mangels Vergleich und oft auch mangels evidenter geschmacklicher Qualitäten eine emotionale Bindung aber nicht zustande kommt. Mittlerweile gibt es durchaus aber eine ganze Reihe von Produkten, die durch ihren Eigengeschmack spezifisch genug sind, um solche Effekte dennoch auszulösen. Ich erinnere mich spontan an einige Kartoffelsorten, an Oxella-Möhren, an Schwarzkohl usw. usf., alles Produkte, die im Prinzip hervorragend geeignet erscheinen, neue geschmackliche Wege von hoher Qualität zu gehen. Wohlgemerkt: im Prinzip (siehe unten)

Die Kunden der BIO-Produkte etc. sind oft von einer unfassbaren Trägheit
Es mag ja sein, dass man die BIO-Kundschaft von bestimmten geschmacklichen Qualitäten seltener oder spezifischer BIO-Produkte überzeugen kann, aber es ist nach wie vor schwierig. Die erwähnten Oxella-Möhren fanden kaum Liebhaber, weil ihre oft konisch-kurze Form den üblichen Verwendungen von Möhren nicht entgegen kommt (ich persönlich konfiere sie z.B. in Butter und stelle sie dann senkrecht hin…). Es gab einmal eine Kartoffelsorte in meinem Laden (man nannte sie „Tannenzapfen“ o.ä.), die exzellent schmeckte. Irgendwann war sie verschwunden. Ich fragte nach und bekam die Auskunft, sie laufe nicht, weil diese Kartoffel sehr viele Augen hat und damit schlecht zu schälen ist. Oder der Schwarzkohl. Viele Kunden wüssten nicht, was man damit machen kann, usw. usf. Wenn es die Tendenz gibt, mit BIO nichts anderes anzufangen, als die alte Küche mit BIO-Produkten zu gestalten, bewegt man sich in einer Sackgasse, die viele Elemente einer Küche der Zukunft ausschließt. Dann wird BIO eher zu einer Weltanschauung, die aber mit genießerischem Essen und seinen vielen Perspektiven im Grunde nicht viel zu tun hat.

Die Bio-Gerichte sind oft zu unspezifisch
Natürlich hat man für viele BIO-Gerichte scheinbar ein gewisses eigenes Format gefunden. Die diversen Salate, geschmorte Gemüse etc. sehen nicht aus wie Schweinsbraten mit Sauerkraut und Knödel. Aber – der Eindruck täuscht. Tatsächlich sind viele von diesen Gerichten nur eine Hülle, die wenig mehr als ein Signal ist, das suggeriert, hier im BIO-Bereich zu sein. Sie sind im Bezug auf das, was die Kochkunst längst erreicht hat, regressiv, und das teilweise in einem erheblichen Ausmaß. Von der Produktbehandlung bis zu allen möglichen kochtechnischen Verfahren, von den Saucen bis zu Garzeiten haben sie kaum jemals etwas Individuelles, Neues zu bieten, bleiben aber in der regel weit hinter kochtechnischen Standards zurück. Dazu kommt, dass sie zu unspezifisch sind. Statt für ihre Produkte spezifische Lösungen zu finden, die durchaus auch einmal beweisen, dass es bei dieser Küche wirklich interessant zugeht, erschöpft man sich in den immer gleichen Banalitäten zwischen diversen Ethno-Einflüssen und Rohkost. Wenn sich „die einfachen Leute von der Strasse“ unter „BIO“ wenig mehr als „irgendein Grünzeugs“ vorstellen, läuft etwas falsch.

Bio/Nachhaltigkeit muss überzeugen und braucht spezifische Lösungen
Es ist immer das Gleiche: wenn ein Phänomen Glanz hat und durch seine Qualität und Neuartigkeit nicht nur Spezialisten, sondern sehr viele Leute überrascht, wird es ein großer Erfolg. Davon ist die BIO-Küche in der Regel weit entfernt. Sie scheint sich oft darin zu erschöpfen, für Gleichgesinnte kulinarisch-politisch Korrektes zu produzieren. Natürlich gibt es (und gab es übrigens immer schon) hervorragende Köche mit einem Programm, das schon BIO war, bevor es den Begriff gab, das schon Nachhaltigkeit praktizierte bevor noch irgendjemand überhaupt wusste, was das sei. Der bretonische Fisch- und Gewürzspezialist Olivier Roellinger hat schon in seinem ersten Buch aus den frühen 90er Jahren darauf hingewiesen, dass er nur Produkte benutzt, die aus einem Umkreis von ca. 30 km stammen. Dass die Arbeit der Spitzenköche oft so wenig mit dem BIO-Aspekt verbunden wurde, hat vermutlich nicht primär kulinarische Gründe, sondern – siehe Slow Food Italien – etwas mit den gesellschaftspolitischen Hintergründen der Szene zu tun.

Wie dem auch sei: man braucht spezifische Lösungen, also nicht die alten Gemüsegerichte etc., die es schon immer gab. Es geht um einen sehr guten Geschmack, der im Prinzip alle Generationen erreicht, um neue Gerichte, die aufmerksam machen und eine evidente Qualität haben, also mehrheitsfähig sind. Und diese Gerichte müssen antreten gegen die Fake-Fleisch-Gerichte oder gegen Hamburger mit Bio-Fleisch oder in vegetarischer Form, die auf der Welle der Hamburger-Liebe vieler Leute reiten und damit weder „die Leute abholen“ noch sonst irgendeine besonders positive Wirkung entfalten. Wer wirklich Nachhaltigkeit, Diversität, BIO in Reinform etc. will, muss sich eine Menge einfallen lassen.

Das Ziel muss eine populäre, nicht eine esoterische Küche sein. Wer dieses Ziel nicht wirklich vor Augen hat, arbeitet nicht für die so positive Idee, die viele der Probleme unserer Zivilisation lösen könnte. Wenn sich alle Kreativen darauf zurückziehen, dass sie eben „nur“ die Kreativen seien und andere dafür sorgen müssten, dass ihre Ideen weiter verbreitet werden, haben wir nichts in der Hand als Ansätze. Was wir tatsächlich brauchen, sind neue populäre Gerichte, die in ihrer ganzen Konzeption und mit ihrem überzeugenden Geschmack neben die alten Meisterwerke treten können.

Die Rolle der kreativen Küche wird immer wichtiger
Die oben beschriebenen Zusammenhänge geben der kreativen Küche eine wichtigere Rolle denn je. Es geht um neue Felder, um eine neue Kundschaft, um neue Produkte, um neue Zubereitungen, um eine neue Geschmacksästhetik usw. usf. So etwas kann sich nicht irgendwie von selber in den normalen Restaurants entwickeln, sondern braucht Forschung und ein nie gekanntes Augenmaß in der Konzeption von Gerichten. Wir brauchen einerseits einen souveränen Typus von Köchen, die ihre Fähigkeiten in ganz unterschiedlichen Fächern entwickeln können und dies mit Freude und Absicht tun. Die in der Lage sind, von der Spitzenküche bis zur Krankenhausverpflegung hervorragende Leistungen zu bringen, die Profis einer Art sind, die es lange nicht mehr gegeben hat. Diese Köche, die in der Lage sind, an wichtigen Schnittstellen zu arbeiten, brauchen natürlich auch ihrerseits immer wieder Input. Und dieser Input kann – das ist schon seit Jahren zu beobachten – auf der anderen Seite nur von einer innovativen Spitzenküche kommen, die in der Lage ist, sich auch dort zu entwickeln, wo es keine oder nur wenige Vorbilder gibt. Sie muss dabei unbedingt begreifen, dass sie mitten im Leben funktionieren muss. Sie kann aber auch begreifen, dass die kreativen Möglichkeiten in dieser Sparte größer sind als sie jemals waren, und dass sich wirklich Neues entwickeln kann. Es ist sehr gut, dass die professionelle Szene diesen Schwerpunkt endlich für sich entdeckt hat. Manche – wie die MAD-Organisation von René Redzepi – tun das schon seit Jahren, haben aber eine viel zu geringen Auswirkung. Es muss funktionieren, und das mit Breitenwirkung.

(Fotos © Jürgen Dollase, sie stammen vom „La Chassagnette“ in der Camargue)

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