Warum Lukas Nagl weder Steinbutt noch Seezunge braucht.

Lukas Nagl: Der Fischer und der Koch. Servus/Benvenuto Publishing, Salzburg – München 2023. 336 S., geb., Hardcover

 

Lukas Nagl ist vor allem bekannt als Spitzenkoch aus dem Restaurant „Bootshaus“ im Hotel „Das Traunsee“ in Traunkirchen in Österreich. In dieser Funktion wurde er kürzlich vom österreichischen Gault Millau als Koch des Jahres ausgezeichnet. Mir ist er dort durch einen außergewöhnlich guten Geschmack aufgefallen – womit ich meine, dass er sich nah an den Produkten orientiert, sie optimiert und zu Kompositionen zusammenfügt, die irgendwie sehr gesund und natürlich wirken. Zusätzlich ist er auch noch das Mastermind hinter dem „Wirtshaus Poststube 1327“, in dem man – nur wenige Schritte vom Haupthaus entfernt – eine ebenso klug und mit Augenmaß überarbeitete Traditionsküche bekommen kann. Insofern steht Lukas Nagl durchaus in der Linie seines ehemaligen Lehrer Heinz Reitbauer jr. vom „Steirereck“ in Wien, der mit einer ähnlichen gastronomischen Kombination glänzt. Nagl erscheint mir dabei vielleicht einen Tick bodenständiger.

In seinem neuen Buch geht er dann auch einen kulinarischen Weg, der rund um Fluß- und Seefische einen äußerst konsequenten und entsprechend originellen Eindruck macht. Nagl befasst sich tatsächlich ausschließlich mit dem Fisch der Flüsse und Seen der Region, und das  nicht unbedingt so, dass man Wolfsbarsch, Seezunge, Steinbutt und Hummer vermisst. So etwas ist immer noch ein Kunststück, das sich aber ganz logisch aus der Arbeit dieses sehr interessanten Kochs entwickelt: wenn man so selbstverständlich und sorgfältig auf die Region und ihre Ressourcen schaut, macht es auch ganz offensichtlich keine Probleme, mit den vorhandenen Fischen bestens auszukommen.

 

Das Buch

Auf den ersten Blick erinnert dieses Buch eher an ein Magazin, in dem es nicht sehr formell zu geht und die alten Kochbuch-Tradition von Bild rechts und Rezept links (oder umgekehrt) keine besonders große Rolle spielt. Es geht hier nicht nur um das Zubereiten von Fisch, sondern auch um das Fischen, und das in allen möglichen Schattierungen, und immer rund um das, was in der Region möglich ist. Insofern geht es erst einmal um das „Seefischen“ im Salzkammergut“, das „Flussfischen in der Donau“, das „Fliegenfischen in der Ybbs“ und die „Fischzucht im Waldviertel“. Das Alles unter der Überschrift „Fisch und Mensch“, immer nah am Ball, erlebt und miterlebt. Lukas Nagl ist da offensichtlich kein entfernter Fremder – wie das Gourmetküche schon mal sein können.

Es folgen die „Grundlagen der Fischküche“, die in diesem Buch ganz außergewöhnlich detailliert beschrieben und bebildert werden. Dabei geht es nicht nur um die unterschiedlichen Fischarten und die entsprechenden Techniken, sondern im Detail auch um allerlei Teile vom Fisch, die sonst eher eine geringe Rolle spielen. Wenn man etwa den kompletten Cut einer Forelle betrachtet, wird man unweigerlich daran erinnert, dass etwa die Spanier beim Schwein gegenüber den Deutschen ebenfalls erstaunlich viel mehr unterschiedliche Teile nutzen. Bei den Innereien geht es um die Bäckchen, die Leber, die Milch, Schwimmblase, Herz und Zunge, Rogen und Magen. Die traditionellen Konservierungstechniken werden natürlich mittlerweile von japanischen Techniken ergänzt und last not least fehlt auch nicht der Hinweis darauf, dass das Würzen in einer Salzlake mittlerweile als das A und O der Fischwürze gesehen wird.

 

Im Kapitel „Basis und Grundlagen“ – das ich hier als Beispiel nehmen möchte, die anderen sind ähnlich detailliert – geht es um die „Meisterlake“, Frittierte Fischhaut, Fischgewürze, Fischfond, Dunklen Fischfond, Selchfisch Sauce, Trockenbeizen, Miso Marinade, Fischsauce, Bottarga und eine Karpfenrogen-Mayonnaise. Die Liste und ihre Verwendung lässt erkennen, das Lukas Nagl den Draht zur traditionellen Küche und ihren Geschmacksbildern nicht verloren hat, sondern sie als eine selbstverständliche Erweiterung (oder vielleicht sogar Grundlage) jeder weiteren Küche sieht. Die traditionellen Geschmacksbilder (ich persönlich suche überall immer wieder nach solchen „Bildern“) sind und bleiben eben immer erst einmal Geschmacksbilder, die man mit einer guten kulinarischen Intelligenz jederzeit vielfältig nutzen kann (auch wenn das zum Beispiel noch nicht bei allen Spitzenköchen angekommen ist). Ein großes Plus dieses Buches ist, dass Nagl genau damit völlig problemlos umgeht. Und so mischt er dann auch munter Rezepte aus den verschiedenen gastronomischen Welten, präsentiert einen feinen steirischen Wurzelfisch neben „Dreierlei vom Aal: in Rotwein geschmort, Aal blau und gegrillt“, einen „Fischgulasch“, eine Aalrutte mit Safran-Zabayone oder Karpfenripperl der konfierten Art. Hier kann ein Koch mit den regionalen Ressourcen umgehen, er nutzt sie in ihrer ganzen Vielfalt, und das irgendwie immer sehr bodenständig und völlig ohne irgendeinen erhobenen Zeigefinger. Den Abschluss macht dann das „Fischlexikon von Aal bis Zander“ mit Zubereitungshinweise und dem Hinweis auf die Rezepte im Buch.

 

 

Fazit

Dieses Crossover-Denken zwischen alten Traditionen, der bürgerlichen Gastronomie und modernen Vorstellungen von Gourmetküche ist die Hauptattraktion dieses sehr guten und inspirierenden Buches, das einmal wieder so wirkt, als ob es die ganzen Unterscheidungen und Probleme zwischen der Regionalküche und der Gourmetküche eigentlich gar nicht geben muss. Und – das Buch eröffnet auf seine undogmatische Weise neue Horizonte, die immer etwas mit dem zu tun haben, was Generationen von Menschen mit diesen regionalen Ressourcen angefangen haben.

 

Das Buch bekommt 2 grüne BB mit einem besonderen Hinweis auf die Vorbildfunktion dieses Ansatzes.

1 Gedanke zu „Warum Lukas Nagl weder Steinbutt noch Seezunge braucht.“

  1. Vielen Dank für diese Rezension. Das Buch wäre vermutlich sonst nicht auf meinem Radar aufgetaucht. Servus hat vor einiger Zeit ein Buch für Wild mit dem gleichen Ansatz veröffentlicht: Der Jaga und der Koch. Schade, dass es auf dieser Seite dazu keine Besprechung gibt. Würde mich sehr interessieren. Schön wäre auch eine Einordnung zu bestehenden Fischkochbücher, z.B. von Josh Niland, der ja auch alle Teile des Fischs verwendet. Dort natürlich für Seefisch.

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