Weltklasse im Talk: Serge Dubs, Sommelier, „Auberge de l’Ill“, 3 Michelin-Sterne seit 50 Jahren

Serge Dubs, Sommelier, Auberge de l’IllSerge Dubs (64) ist nicht nur seit rund 45 Jahren Mitarbeiter eines der bekanntesten Restaurants unserer Zeit, sondern ein absoluter Sommelier-Weltstar. In diesem ausführlichen Interview geht er in die Tiefe, die Höhe und die Breite und zeigt, wie reflektiert und kenntnisreich er arbeitet. Es ist das Interview mit einem Genie der Weinbegleitung, voller geradezu weiser Ansichten und immer auf der Höhe der Zeit.

Kapitel 1: Dubs trank keinen Alkohol und brauchte den Wettbewerb

Serge Dubs, wie ist heute, nach über 40 Jahren in der „Auberge de l’Ill“, Ihr Verhältnis zum Wein?
Mein Verhältnis zum Wein ist immer dasselbe, es geht um die Sinne, das Herz und die Passion. Ich bin nicht in die Sommelerie gekommen weil ich etwas davon verstand. Ich dachte, im Wein bin ich nicht gut, da muss ich etwas lernen. Daraus ist ein Lebensweg geworden, etwas, bei dem ich nicht nur die Weine, sondern auch die Regionen, die ganze Kultur entdecken konnte.
Als ich hierhin gekommen bin, hatte ich nach zwei Monaten ein Auto, dann war ich im Burgund, und dann ging es los. Ursprünglich habe ich die Hotelfachschule in Straßburg gemacht und bin dann gleich hierhin in den Service gekommen. Ich habe Service und Koch gelernt. Den Wein habe ich erst hier entdeckt, und das obwohl ich eigentlich keinen Alkohol getrunken habe, weil ich Sportler war.


Garten des Auberge de l’IllWer war damals dort Sommelier?
Es gab damals (1972) noch keinen Sommelier in der „Auberge de l’Ill“. Aber nach einer Zeit kam dann einer der besten Sommeliers Frankreichs, Jean-Marie Stuckel. Er kam von Alain Chapel (1937–1990, legendärer 3 Sterne-Koch in Mionnay) und der hat mir wirklich den Schlüssel zum Wein gegeben. Obwohl ich keine Ausbildung hatte, habe ich einfach verstanden, was er gesagt hat. Dass ich Talent für den Wein hatte, wusste ich damals noch gar nicht. Und dann wollte ich weiter gehen, tiefer in die Sache hineinkommen. Und dabei haben mir die Winzer sehr geholfen. Sie haben mir nicht nur die Weine, sondern das Verständnis für eine ganze Kultur gegeben.

Kapitel 2: Dubs, die Veränderungen der Weinwelt und die eigenen Erfahrungen

Die französischen Weine waren damals natürlich schon weltweit bekannt. Aber – das galt nur für einen Teil der Leute, bei weitem nicht für alle Leute. Das hat mich nach so einem oder zwei Jahren etwas gestört. Sicher, ich konnte die besten Weine der Welt probieren, aber es gab da noch eine Menge anderer guter Weine, die nicht so bekannt und nicht so teuer waren und mit denen man trotzdem viel Spaß haben kann. Es war merkwürdig: ich traf Kollegen, die unheimlich viele Details zu den guten Weinen kannten. Ich habe darüber nur gestaunt. Aber sie kannten nicht die Seele der Weine und die Regionen. Es gab Bücher, aber noch kein Internet, und die Bücher waren mal mehr, mal weniger korrekt. Man musste immer selber prüfen, wie das tatsächlich ist.

Seit den 90er Jahren wurde es aber immer internationaler. Da hat sich dann auch bei den Gästen etwas entwickelt, die oft schon eine ganze Menge von Dingen über bestimmte Weine wussten. Auch von den Gästen konnte man übrigens immer wieder etwas lernen. Für mich war das ein ganz spezieller Erfahrungsschatz. Nach dem Jahr 2000 ging es dann immer weiter in Richtung einer Exklusivität, die vor allem vom Preis bestimmt war. Was man vorher noch irgendwie kaufen konnte, wurde immer unerschwinglicher. Wenn man da mitspielt und mitreden kann, ist man heutzutage sozial anerkannt. Aber – das ist eben immer nur ein Teil der Weinwelt. Ich war immer stolz darauf, auch andere Weine zu finden, vor allem auch solche mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis, klar, korrekt und mit eigener Persönlichkeit. Wissen Sie, wenn ich probiere, ist es erst einmal egal, ob es ein teurer oder ein einfacher Wein ist. Nach 40 Jahren habe ich eine Referenz im Kopf, die unvorstellbar ist. Wenn ich probiere, will ich noch gar nicht wissen, ob der Wein teuer ist oder nicht.

Serge Dubs, Sommelier, Auberge de l’Ill

Kapitel 3: Die Sache mit dem Wein beim Essen ist ziemlich verzwickt, oder: warum große Weine nicht immer die besten Begleiter sind und es auch um Psychologie geht

Haben Sie beim Probieren schon eine Vorstellung, was Sie im Restaurant mit dem Wein machen können?
Nein, nicht sofort. Zuerst einmal versuche ich alles mit meinen Sinnen wahrzunehmen. Dann versuche ich, das in Begriffe zu fassen, und erst danach überlege ich, welche Funktion ein Wein im Restaurant haben kann. Dabei kommt es aber nicht nur auf den Wein allein, sondern auch auf die gesamte Kultur rund um ihn an. Weine muss man den Leuten erklären. Es steht einfach hinter jedem Wein eine Menge von kulturellen Zusammenhängen.

Sind große Weine für das Essen grundsätzlich besser als schwächere?
Ich habe gerade etwas von Marc Meneau gelesen, der gesagt hat: Nein, zwei Prinzen auf einem Tisch, das ist zuviel. Die großen Weine muss man allein trinken.
Man kann es so sagen: um wirklich alles zu registrieren, was ein Wein hat, ist es besser, man trinkt ihn allein. Aber – ich bin da pragmatisch. Wein ist auch Glück. Einen großen Wein muss man immer mit Jemandem teilen. Allein kann man Spaß damit haben, aber es ist immer etwas reduziert. Erst wenn man die Erfahrung teilt, wird der Wein zu einem Ereignis, er wird nur lebendig, wenn man auch über ihn sprechen kann. Was das Essen angeht: in Frankreich hatten und haben wir grundsätzlich immer die Assoziation von Wein und Essen. Die Deutschen waren da früher anders. Sie hatten die Kultur, den Wein auch ohne Essen zu trinken. Es hat etwas gedauert, bis Frankreich und andere südliche Länder Wein auch schon einmal allein und ohne Essen genießen konnten.

Wie haben sich in den Jahren die Trinkgewohnheiten beim Essen verändert? Bestellen die Franzosen immer noch vor allem ganze Flaschen?
Ja, die Franzosen trinken immer noch gerne Flaschen. Aber das ändert sich. Heute wollen sie auch gerne mehrere Weine probieren. Insgesamt trinkt man trotzdem eher weniger, aber besser. In den Restaurants war der klassische Konsum für zwei Personen ein Aperitif, eine Flasche Weißwein, eine Flasche Rotwein, ein Digestif. Das war kein Problem. Heute ist das selten. Vor allem haben auch jüngere Generationen heute nicht mehr die selben Angewohnheiten. Es ist einfach zuviel Alkohol, man muss mit dem Auto fahren oder trinkt ganz allgemein nicht mehr so viel. Ich selber trinke jeden Tag etwas, aber nicht viel.

Sie haben sehr viel internationale Gäste. Gibt es da Unterschiede beim Weinkonsum?
Und wie gehen sie bei den Empfehlungen vor?
Ja, natürlich. Jedes Land hat seine eigenen Angewohnheiten. Wenn ich deshalb an den Tisch komme, habe ich keinerlei Vorurteile und versuche nicht, bestimmte Weine zu verkaufen. Ich habe das Ziel, die Gäste glücklich zu machen, und da muss ich zuhören und versuchen zu erfahren, wie ich das am besten anfange. Es geht um den richtigen Wein für das Essen, der gleichzeitig der richtige Wein für die jeweiligen Gäste ist. Dabei spielen viele Dinge eine Rolle, vom Preis bis zu der Frage, ob es eher trockene oder eher süße Weine sein sollen. Unser Handwerk als Sommelier ist – auch wenn das für manche Leute jetzt etwas schockierend klingt – zu 50 Prozent Psychologie. Das ganze handwerkliche Wissen macht die anderen 50 Prozent aus. Wenn ich an den Tisch komme, muss der Gast fühlen, dass er auf mich zählen kann. Das kann natürlich nicht klappen, wenn ich nur 10 oder 20 Weine im Keller habe. Andererseits kann man 1000 Weine im Keller haben und es nützt nichts, wenn der Sommelier nicht die 50 Prozent Psychologie beherrscht. Manchmal kann ein phantastischer Wein unter diesen Aspekten der falsche Wein sein.

Wie bekommen Sie die Idee, ob ein Gast einen wirklich großen und teuren Wein trinken will?
Erst einmal frage ich, ob ich dem Gast behilflich sein kann. Auch wenn 99 Prozent der Gäste sagen „Ja, Sie können mir helfen“, muss man trotzdem so anfangen. Es entwickeln sich Gespräche, und dann bekommt man Informationen, die zeigen, wohin man gehen kann. Das wichtigste für mich ist nicht, einen teuren Wein zu verkaufen, sondern den, der die Kundenwünsche mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis bedient. Wenn der Kunde sagt „Machen Sie, was Sie wollen“, habe ich andererseits nicht nur Freiheit, sondern auch ein Risiko. Generell kommen Oberklasse-Weine als Empfehlung aber nur in Frage, wenn mir der Kunde ein Zeichen in dieser Richtung gegeben hat. Ganz praktisch sieht das so aus: ich zeige in der Weinkarte auf den Wein, aber nicht auf den Preis. Die rechte Seite der Karte mit den Preisen muss der Kunde allein lesen und dann auf meinen Vorschlag reagieren. Manchmal habe ich auch sehr gute offene Weine, die ich probieren lassen kann und ich kann dann feststellen, ob er bei einem bestimmten Preisniveau nicht erschrickt. Oft entwickeln wir so zusammen drei preislich unterschiedliche Vorschläge, und dann hat er eine gute Auswahl und kann sich entscheiden. Ein Gast, der etwas mehr investieren will, wird das auch sagen. Wenn wir über verschiedene Jahrgänge Petrus diskutieren, muß man dann natürlich auch wissen, was in der Flasche ist. Das ist dann wieder eine ganz spezielle Aufgabe.

Kapitel 4: Der Profi bei der Arbeit

Wie sieht es mit Blindverkostungen aus? Zu was sind Sie da in der Lage?
Das ist kein Spielchen, und wenn es als Wettbewerb betrieben wird auch nichts, was ein Sommelier dringend braucht. Trotzdem sind Blindverkostungen sehr wichtig, und zwar um wirklich den Wein zu spüren – auch ohne Vorinformationen. Für das, was man normalerweise unter Blindverkostung versteht (also der präzisen Identifizierung von Weinen), muss man aber ein paar Dinge beachten: Sie können nur das erkennen, was sie schon einmal getrunken haben. Was Sie nicht im Computer haben, können Sie auch nicht identifizieren.
Im Detail kann man natürlich schon ein paar Sachen erkennen, also zum Beispiel die Rebsorte, das Land, die Region, vielleicht den Jahrgang, vielleicht den Winzer. Ist das nötig? Nein, nicht unbedingt. Es verlangt aber in jedem Falle sehr große Fähigkeiten. An manchen Tagen hat man sie, an manchen Tagen auch nicht. Wenn Sie z.B. einen Chateau Latour 1989 vor zehn Jahren getrunken haben und probieren ihn jetzt. Dann fragen sie sich „Hat er sich entwickelt?“ und können ihn vielleicht identifizieren. Aber, da gibt es viele Tücken. Stellen Sie sich vor, eine Flasche war in einem Keller von 12° gelagert, eine andere in einen Raum mit regelmäßig 20° oder 25°. Das Etikett ist immer noch dasselbe, aber ihr Latour ist vielleicht ganz unterschiedlich. Wichtig ist da eher ein professioneller Kommentar, zum Beispiel dass sie sagen, dass dieser Wein weiter entwickelt ist und dass man ihn jetzt trinken muss.
Heutzutage bei den großen weltweiten Proben gibt es übrigens oft Weine, die in einer Probe imponieren, weil sie so viel Kraft haben. Aber dabei geht oft Struktur und Eleganz verloren. Imponierweine sind nicht das, was man braucht.

Wie gut kann man die Entwicklung von Weinen vorhersehen?
Ich habe früher noch viele Fassproben gemacht, bei denen man eine Menge mehr wissen muss, als bei einem abgefüllten Wein. Aber – was man da genau wissen muss, kann ich nicht erklären, ich weiß, wie es bei mir funktioniert, aber es ist nicht in Worte zu fassen. Sehen Sie, manchmal kaufe ich Weine, die verschlossen sind. Aber ich weiß ganz genau, was aus ihnen werden wird. Diese Fähigkeit ist für einen Sommelier sehr wichtig, genau so wie die Fähigkeit, zu sagen, ob ein Wein trinkreif ist oder ob er noch Zukunft hat. Das kann man aber nur mit viel Erfahrung.

Haben Sie sich bei solchen Prognosen schon einmal vertan?
Ja, sicher. Der Wein ist etwas Lebendiges. Es geht nicht immer in die Richtung, die man vermutet hat.

Was für ein Verhältnis haben Sie zu dem, was die internationale Weinpresse sagt?
Ich erinnere mich an viele 86er Bordeaux, die sehr gelobt wurden und dann immer schwächer ausfielen
Das ist normal. Die Bandbreite ist und bleibt immer groß. Bei den Jahrgängen, die allgemein als gut bezeichnet werden ist vielleicht die Chance höher, auf einen guten Wein zu treffen. Sicher ist das nicht. Da kommt wieder die wichtigste Regel: Man muss den Wein probieren.

Gibt es für Sie immer noch Neuentdeckungen? Auch im Bordelaise?
Ja, immer. Die Preisentwicklung hat uns dazu getrieben, viele Weine zu probieren, die wir früher vielleicht nicht so ohne weiteres probiert hätten. Früher hatten wir eine Auswahl mit großen Namen, heutzutage muss man – vor allem seit etwa 2000/2005 wegen der Preisentwicklung auch nach anderen suchen.

Kapitel 5: Von glasweiser Weinbegleitung über die richtigen Gläser bis zu Käse, der nicht zum Wein passt. Die Praxis im Restaurant.

Zur glasweisen Weinbegleitung. Ist das gut oder ist das nicht gut? Viele Leute sagen, sie wäre von ständig wechselnden Weinen überfordert. Andererseits gab es bei jedem großen Menü der Geschichte zu jedem Gang einen passenden, anderen Wein.
Da bin ich wieder etwas untypisch. Die Weinbegleitung geht eben nicht nur in Richtung der Gerichte, sondern auch in Richtung des einzelnen Gastes. Wenn alle zu einem Gericht den gleichen Wein trinken müssen, kann es da große Schwierigkeiten geben. Außerdem kann die Auswahl an offenen Weinen nur begrenzt sein, weil man sie schließlich auch verkaufen muss. Eine Lagerung von 2 oder 3 Tagen ist schon ein sehr großes Problem. Eine glasweise Begleitung ist gut, aber sie müsste völlig anders realisiert werden, sehr viel individueller. Wir haben ein paar Empfehlungen, und wenn ein Tisch mit 4 Personen bedient werden soll, ist das kein Problem, dann machen wir eine Flasche auf, das lohnt sich dann schon.

Wie ist das mit den Gläsern? Ist z.B. die Champagnerflöte nicht eine Katastrophe, weil man nur Prickeln, aber kein Aroma in die Nase bekommt?
Ja, stimmt. Wenn es geht, trinke ich persönlich Champagner aus einem Chardonnay- oder sogar einem Bordeaux-Glas. In jedem Falle sollte das Glas etwas breiter sein. Andererseits bin ich kein Freund von zu großen Gläsern. Zu groß ist nicht gut und sieht auch auf dem Tisch nicht gut aus, 12 cl sehen darin auch nicht so gut aus, und wenn man 20 cl eingießt, hat man die Flasche schon leer bevor alle am Tisch etwas zu trinken haben.

Wie ist es mit der relativen Raumtemperatur? Wenn Gläser zu klein sind und zu wenig in ihnen ist, erwärmen sie sich sehr schnell. Sollte man wenig eingießen und nachschenken?
Das ist kein Problem, wir achten auf so etwas, ganz selbstverständlich.

Zum Akkord Wein-Essen. Sollen das Essen wie der Wein ihre Individualität behalten und sich nicht gegenseitig stören?
Ja, das ist wichtig. Und gleichzeitig heute ein Problem. Viele Sommeliers wollen Wein verkaufen und bringen Weine mit viel Wucht und Konzentration, manchmal 14 oder mehr Prozent Alkohol. Das geht dann oft zu weit, ist nicht gut für das Essen und nicht gut für den Gast. Reife und Konzentration sind gut, aber es muss trotzdem Eleganz und Finesse da sein. Heute werden oft zu extreme Weine präsentiert. – (kleine Pause) Ich verteidige die Säure, die richtige Säure, die reife Säure, die die Frucht unterstützt, dem Wein etwas mehr Temperament gibt. Für das Verständnis von Säure muss man aber eine Art Bildung haben. Mit Süßigkeiten wächst man auf. Ähnliches gilt auch für die Tannine, wenn sie zu stark sind, gibt es mit keinem Essen eine gute Verbindung.

Wenn ein Gast sagt: „Das ist zu sauer“ – versuchen Sie ihn zu überreden?
„Sauer“ ist zu negativ formuliert. Es gibt da das Problem, dass viele Leute den Wein allein einschätzen und sich nicht vorstellen können, wie er zum Essen schmeckt. Und da unterstützt Säure einfach oft viel besser. Ein Wein, der allein rund schmeckt, bringt oft mit dem Essen nichts. Aber nochmals: es muss reife Säure sein, nicht die Säure von unreif geernteten, jungen Trauben.

Wenn es um ein neues Gericht geht: wie tief schmecken Sie hinein, bis in feinste Nuancen?
Ich probiere das neue Gericht erst einmal ganz normal. Dann schaue ich nach, was dominant ist, und wie die Elemente zueinander passen, welche aromatischen Nuancen es gibt, welche Struktur es gibt

Suchen Sie Ergänzungen?
Ich untersuche erst einmal die Komplexität, weil sie für die Begleitung ganz entscheidend ist. Dann vergesse ich das Gericht und überlege den Weintypus. Heute funktioniere ich dabei eher intellektuell. Am Anfang habe ich immer jede Weinidee sofort probiert. Als ich jung war, viel mir oft sofort ein Wein ein, und neunmal von zehn hat das auch funktioniert. Aber das Probieren bedeutet ja immer nur, dass ich selber es gut finde. Es muss aber beim Gast funktionieren, und da muss man eben oft an sehr viel mehr denken.

Wie ist es mit klassischen Zusammenhängen wie Käse und Wein? Passen die beiden überhaupt zusammen?
Käse und Wein ist schon eine ganz eigene Kultur.

Ich habe immer den Eindruck, als ob viele Weine unter Käse leiden
(Lacht) Ja, und die einfachen Weine kommen am besten davon, das ist das Problem. Die erste Idee ist: Rotwein zu Käse. Das ist schon mal so pauschal wie falsch. Es gibt viele Weißweine, die viel besser mit Käse harmonieren. Ein anderes Problem ist eine Käseplatte mit verschiedenen Käsesorten, zu denen kaum ein einzelner Wein passt.

Wir haben aber doch das Problem, dass das Fett vom Käse sehr lange am Gaumen bleibt und den Wein blockiert
Die Regel ist: zum Käse selten den schönsten Wein, weil die ganz großen Weine normalerweise geschädigt werden. Aber – man kann es auch anders machen. Man sucht einen Käse aus (oder auch zwei aus der gleichen Familie). Dann kann man sehr viel präziser dazu empfehlen.

Was empfehlen Sie zu Munster-Käse, der berühmten Spezialität im Elsass?
Wir haben einen Munster Fermier, der sehr viel jünger ist, als die klassischen Rotschmierkäse im Supermarkt. Da kommt man dann besser zurecht. Vielleicht ein Rotwein mit einem Hauch von Restsüße, vielleicht auch weiß mit etwas Säure. Man kann hier im Elsass einen Gewürztraminer oder einen Pinot Gris dazu trinken, wer rot will kann vielleicht einen Banyuls oder einen Maury nehmen, aber eben nur, wenn der Käse nicht so überreif ist.

Ist es sinnvoll, wenn die Gäste beim Käse etwas über die Mechanik von Wein und Essen wissen?
Ich sage es nicht gerne, aber die Leute wissen oft nicht, was sie mit Käse und Wein anfangen können. Sie suchen sich Käse aus und denken nicht an den Wein, dann haben sie eine bunte Platte und es wird schwierig mit der Begleitung. Und es gibt viele Vorurteile. Zum Beispiel Roquefort. Man sagt, dass man zu Roquefort keinen Rotwein trinken kann. Das stimmt auch vielleicht für 90%. Aber dann gibt es die perfekt würzig-milden Zustände zu den Chateauneuf oder Faugères sehr wohl passen. Aber – das muss man schon präzise machen.

Und noch etwas: es gibt für alles immer Ausnahmen. Der Moment erlaubt auch einen kulturellen Fehler. Es kann sein dass unter besonderen Umständen irgendwie man einmal eine ganz spezielle Kombination probieren möchte und alle Gäste finden das interessant. Sagen wir: wir sind irgendwo mit ein paar Sommeliers in den Alpen, Silvretta-Pass oder so etwas. Einer von den Kollegen hat eine tolle Flasche Cheval blanc (Anm. ein Spitzen-St.Emilion)mitgenommen, aber wir haben nur Becher und keine Gläser und das Essen passt auch nicht, aber es kann eine phantastische Sache sein. Regeln sind gut, aber man muss einen Blick für die Ausnahmen haben.

An diesem Tisch saß einmal ein älteres Ehepaar und der Mann wollte unbedingt zum Menü eine Flasche Rieussec (Anm.: ein guter, süßer Sauternes) trinken. Es gab Fisch, Tournedos, alle diese Sachen, und sie waren sehr glücklich damit, weil der Wein für sie auch etwas mit der Erinnerung an einen schönen Augenblick zu tun hatte.

Was schmecke ich, was schmecken Sie?
Es kommt das zustande, was möglich ist. Wenn Sie offen sind und sich den Wahrnehmungen öffnen, ist das, was sie schmecken erst einmal die Wahrheit. Und die kann sehr unterschiedlich ausfallen. Das schlimmste ist, wenn man bei einer Weinprobe neben Jemandem sitzt und er sagt „Oh, dieser Wein schmeckt so wunderbar nach Veilchen“ und sie haben überhaupt nichts von Veilchen bemerkt. Das ist auch das Problem bei offiziellen Weinproben mit einem Vorkoster, der dann den Wein beschreibt. Ich höre dann oft gar nicht mehr hin. Man muss die Weine aufnehmen, wie man sie selber aufnehmen kann, nicht so wie jemand anders. Und das kann sich dann natürlich entwickeln. Am Anfang dieses Interviews habe ich von dem Geschenk eines Vokabulars gesprochen. Wenn ich ihnen ein Wort gebe und sie verstehen es nicht, ist es chinesisch. Wichtig ist, dass Sie etwas spüren, und dann versucht man vorsichtig die Worte zu entwickeln und Worte aufzunehmen.

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