Wo Trocken einfach besser ist

Aaron Landig/Christian Landig: Die Dry Aging Bibel. Landig + Lava Gmbh & Co. KG, Bad Saulgau 2021. 336 S., Ganzleinen, 69.95 Euro

 Na klar, wenn auf einem Buch der Begriff “Bibel“ auftaucht, wird man automatisch mißtrauisch. Das wissen natürlich auch die Herausgeber dieses Buches, und das Thema „Mißtrauen“ erscheint auch gleich im Vorwort, das vom Vater der beiden Autoren geschrieben wurde. „Bibel“ bedeutet – so genutzt – die Wahrheit, den Bezugspunkt, das, wo man nachsehen kann, wenn man – in diesem Falle – Informationen rund um den Begriff „Dry Aging“ grundlegend und praktisch klären möchte. Dazu muss man wissen, dass dieses, von einer Firma herausgegebene Buch, sozusagen von der Quelle stammt. Landig & Lava arbeiten seit 40 Jahren an Kühltechnik für Jäger, an der Vakuumierung und eben seit mehr als zehn Jahren am Dry Aging. Hier sitzen die Erfinder des „Dry Agers“, der mittlerweile in 60 Länder der Welt verkauft wird. Es wird häufig übersehen, dass ein großer Teil des Wissens in maximaler Form dort zu finden ist, wo die Dinge entwickelt oder zum Beispiel auch verkauft werden. Als etwa in den 70er Jahren der Rungis Express Furore machte, wurde auch den Interessiertesten Köchen schnell klar, dass sich rund um einen solchen Importeur und Großhändler eben auch ein Maximum an Wissen um die Produkte ansammelt. Und wer einmal mit Ralf Bos (nicht nur über Trüffel) redet, wird schnell feststellen, wo man sich als Profi oder höchstinteressierter Amateur informieren muss. Dass dann Kochbücher über Spezialthemen wie Dry Aging etc. geschrieben werden, muss man in diesem Zusammenhang sehen. Wenn der Focus auf der kulinarischen Nutzung liegt, kann alles in Ordnung sein. Wenn versucht wird, mit Halbwissen in den technischen Bereich zu gehen (wie das leider in vielen Kochbüchern der Fall ist), sollte man als Leser immer vorsichtig sein. Hier also nun ein Buch von Profis (und in gewisser Weise natürlich auch vor allem für Profis), die das Funktionieren und den Erfolg ihrer Produkte natürlich ganz entschieden ihrer grundlegenden Forschung und Erfahrung verdanken.

 

Das Buch

Es fällt sehr schnell auf, dass dieses Buch nicht nur im Titel einen Anspruch erhebt, sondern auch als Buch sehr gut und professionell gemacht ist. Der Anspruch der Techniker, auch bei der Produktion von trocken gereiftem Fleisch Präzision in allen Teilen zu erreichen, wird eingelöst, und das auch noch

didaktisch gut, klar gegliedert und schön und „anmachend“ bebildert. Das ist schon mal ein Plus, das gerade im Vergleich zu manch einem „billig“ produzierten kulinarischen Buch zählt. Natürlich kommen die Produkte der Firma vor. Das Ganze wirkt aber trotzdem nicht wie ein etwas ausgeweiteter Katalog einer Firma, sondern wie ein sehr guter Mix aus Fachbuch und populärem Buch, das insofern selbstverständlich in den Buchhandel gehört.

Nach einem Interview mit den beiden Autoren geht es bei der Einführung direkt an das Theam „Reifung“, an traditionell „gut Abgehangenes“ und an die Kritik an (Nass-)Reifung im Vakuum. Es geht um einen Systemvergleich der Lagerung und um weiter Reifemethoden. Es folgen die Kapitel über Grundlagen, Warenkunde, Praxis, „Smartaging“, dann „Reiferezepte für Fleisch“ (nicht zu verwechseln mit den normalen Rezepten), „Reiferezepte für Schinken, Wurst, Fisch & Käse“, Chefrezepte und schließlich ein Kapitel mit dem Titel „Wissenschaft“.

Bei den „Grundlagen“ geht es um den Prozess der Trockenreifung, immer im Vergleich zur Nassreifung, die in diesem Buch – gut begründet – einen schweren Stand hat. Bei der „Warenkunde“ geht es um den Einkauf, die besten Cuts oder auch Fragen, die man dem Metzger seines Vertrauens stellen sollte, und die ebenso sinnvoll wie – sagen wir: schwer realisierbar sind. Beispiel: Man soll fragen, ob das angebotene Stück aus dem Dry Ager vorher schon vakuumiert wurde.. Es folgt das Kapitel „Praxis“ mit sicherlich den didaktisch am besten aufbereiteten Erklärungen, die ich in diesem Fach je gesehen habe. In der Praxis kommt auch das Vakuumieren wieder, dieses Mal aber nicht als – unschöne – Lagerung, sondern als Vakuumgarung. Es geht um Werkzeuge, Gewürze (auch da hat man eine eigene Palette) und um FAQ’s. Im Kapitel „Smartaging“ geht es um die automatisierten Reifeprogramme, die die Firma mittlerweile entwickelt hat und die sich auf eine beträchtliche Produktpalette und eine große Menge unterschiedlicher Ziele beziehen (etwa: Nachreifung von Schinken und Salami). Speziell hier wird deutlich, wie weit diese Technik schon fortgeschritten ist, während sich die meisten Nutzer noch mit den absoluten Basics befassen. Es geht um detaillierte Angaben zur Reifung von Rind ohne und mit Knochen, Lamm und Zicklein, Wild, Schwein,  Geflügel und Fisch.

Die „Reiferezepte“ beziehen sich natürlich auf den Dry Ager. Sie sind – da muss man anders denken – sozusagen das Rezept vor dem Rezept und immer an die Reifeprogramme gekoppelt. Man bekommt vielfältige Tipps, die wieder ein substantielles Wissen verraten und vor allem zu Tieren/Teilen, die man für die Trockenreifung oft teilweise gar nicht „auf dem Schirm hat“. Es gibt das Poulet Noir fermier, Maishuhn, Ente, Fasan, Lamm und allerlei Stück vom Schwein. Danach ein Kapitel von Reiferezepten für Schinken, Wurst, Fisch und Käse und dann die „Chefrezepte“ unter Verwendung des trocken gereiften Gutes. Sie kommen von Lucki Maurer, Harald Derfuß und Christoph Hauser, also von einschlägig bekannten Spezialisten. Ihr Schwierigkeitsgrad hält sich in Grenzen, ein perfekt gereiftes Material will eben vor allem als solches inszeniert sein und braucht nicht allzu viel Begleitung… Den Abschluß bildet dann der wissenschaftliche Teil für die Spezialisten und mit abschließenden Übersichtsgrafiken.

 

Fazit

Das Alles sieht schon sehr gut nach Bibel aus und beantwortet alle möglichen Fragen. Die Präsentation ist kurzweilig, übersichtlich und nicht abgehoben, man weiß, dass es funktionieren muss und wie es funktionieren kann. Mir persönlich kommen solche Bücher, die einen Tick von der Modernist Cuisine von Nathan Myhrvold inspiriert zu sein scheinen, sehr entgegen, weil sie sozusagen „a point“ geschrieben sind. Wenn man über die praktischen Möglichkeiten nachdenkt, fällt natürlich auf, dass die kreative Küche im engeren Sinne nicht wirklich beteiligt ist. Was zum Beispiel von skandinavischen Köchen in diesem Sektor alles gemacht wird, hat nichts mit dem Dry Ager zu tun und entwickelt sich weitgehend auf untechnisch-traditioneller Basis. Das muss man wissen.

Unter den Aspekten eher konventioneller, optimierender, mitteleuropäischer Küchen- und Kochtechnik hat das Buch mehr als 2 grüne Sterne verdient. Unter kreativen Aspekten 2, weil es dort eher ein Werkzeug vorstellt, mit dem noch sehr viel experimentiert werden kann.

2 Gedanken zu „Wo Trocken einfach besser ist“

  1. Danke für das Zerpflücken dieses Werkes, findet man nicht oft, dass eine solche Detailverliebtheit an den Tag gelegt wird bei der Kritik. Als begeisterter Besitzer eines Dry Ager Reifeschranks (meine Frau hat mir diesen zu Weihnachten geschenkt, nochmals Danke!) half mir die Bibel enorm, mich dem Thema Dry Aging ohne professionelle Vorkenntnisse zu nähern. Ohne diese Unterstützung erscheint es mir nahezu unmöglich fachlich korrekt Fleisch Zuhause zu reifen, denn der Grat zwischen Verderb und Geschmacksexplosion ist sehr schmal, zumindest wenn man in den einschlägigen Foren die Dry Aging@Home Versuche anschaut, hier schimmelt die Ware sehr häufig vor sich hin und der User denkt durch bloßes Wegschneiden der am Fleisch befallenen Stellen das Problem zu beheben. Als Nächstes ist bei mir Zuhause Lamm dran, geht schließlich auf Ostern zu, meine Familie wird begeistert sein. Geiles Teil die Bibel!

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  2. leider dürfte der praktische nutzwert dieses werks für den privatkoch äusserst gering sein, der in der regel auf die ware angewiesen ist, die er im handel vorfindet. da ist der privatkoch auf seinen metzger angewiesen, eher für diese zielgruppe dürfte ein derartiges buch von interesse sein. leider schaffen es bücher wie dieses selten bis nie dahin, wo sie eigentlich hingehörten und weitaus grösseren nutzen stiften könnten als im bücherregal des laien: in die ausbildung/weiterbildung von metzgern und köchen. hier sitzen die verantwortlichen für fleischqualität, die von solchen büchern enorm profitieren können.

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