Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust – oder auch nicht. Das Dilemma zwischen Handwerker und Kreativem

Es fällt im Moment vielleicht nicht so ohne weiteres auf. Aber es gibt da – und zwar häufiger, als man das vielleicht annimmt – Probleme zwischen den handwerklichen und den kreativen Aspekten der Kochkunst. Radikal verkürzt könnte man sagen: es gibt gute Handwerker, die schlechte Kreative sind und es gibt gute Kreative, die schlechte Handwerker sind. Bis in den Bereich der Drei-Sterne-Restaurants erlebe ich immer wieder negative Überraschungen in der einen wie der anderen Hinsicht. Da gibt es offensichtlich Köche, die zum Beispiel beim Fisch bei weitem nicht an das Niveau ihrer Fleischgerichte kommen. Da gibt es Köche, die sich im Dickicht der diversen kurzen und sehr kurzen Garungen bei Meeresfrüchten in sinnlosen Ergebnissen verlaufen. Da gibt es Fleisch aus der Vakuumgarung, das man besser ganz normal gegart hätte und immer wieder Gemüse, die wie aus Hobbyküchen wirken. Es gibt „Kreative“, die völlig ohne Sinn und Verstand meinen, mit den neuesten Gimmicks arbeiten zu müssen und über einer heillosen Bastelei oder mit sensorisch sinnlosen Zusammenstellungen ihre vielleicht ganz passablen handwerklichen Fertigkeiten übertünchen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, und das – wie gesagt – auch mit Beispielen aus den besten Häusern. Es passiert mir immer wieder, dass ich ratlos vor bestimmten Gerichten sitze und einfach nicht verstehen kann, wieso die qualitative Spannweite innerhalb eines Menüs manchmal so weit auseinander gehen kann.

Das Phänomen ist natürlich nicht neu. Es gab eine Zeit, in der ich zum Beispiel die Behandlung von Fleisch bei dem berühmten bretonischen Fisch-Spezialisten Olivier Roellinger suboptimal fand und letztlich vielleicht auch ein Grund dafür, dass er lange Zeit keine drei Sterne bekam. Dann bekam er einen Spezialisten für den Fleischposten, und ab da war das ganze Menü wie aus einem Guss. Der dritte Stern folgte zügig. Oder – von der anderen Seite aus gesehen: Jean-Francois Piège war lange Zeit Küchenchef für Alain Ducasse und legte immer großen Wert auf die Feststellung, dass dessen großes Lexikon und fast alle Dinge auf der Karte mehr als weniger aus seiner Hand waren. Piège allein hat – wie Sie wissen – bis heute nirgendwo auf eigene Rechnung einen dritten Stern bekommen. War er der perfekte Küchenchef, ist aber nun nicht der perfekte Kreative?

Historische Entwicklung
Man muss daran erinnern, dass die Kochausbildung und die ganze Performance von Köchen viele Jahrzehnte lang vor allem daraus bestand, bestimmte Zubereitungen zu erlernen und sie so gut wie möglich zu reproduzieren. Diese Zubereitungen hatten in der Regel sogar einen Namen, und wenn irgendwo auf der Karte „Rinderfilet Rossini“ stand, wusste jeder Koch und natürlich auch die Gäste, was damit gemeint war. Die großen Meister vergangener Zeiten waren dann auch in erster Linie Köche, die solche Zubereitungen eben meisterlich beherrschten. Neuentwicklungen gab es nur über ganz langsame Veränderungen, aber quasi nie radikal. Der Koch war also lange Zeit vor allem Handwerker.

Erst im Laufe der Entwicklung zum persönlich bekannten Küchenchef oder auch Starkoch, begann die Bedeutung eines persönlichen Stils eine größere Rolle zu spielen. Man begann Restaurants aufzusuchen, weil es dort bestimmte Gerichte aus der Hand bestimmter Köche gab, und nicht nur deshalb, weil diese Köche gut waren. Diese Entwicklung beschleunigte sich in der Nouvelle Cuisine-Zeit ganz gewaltig. Heute erwartet man quasi von jedem Koch eines Gourmetrestaurants (und oft sogar unterhalb dieser Schwelle) eigene Kreationen. Mittlerweile ist es sogar so weit, dass eine ganz auffällige, eigene Handschrift einer der wichtigsten Punkte für den nationalen und internationalen Erfolg eines Restaurants ist.

Die Trennung bringt Fortschritte und könnte noch viel konsequenter verfolgt werden
Die Trennung in spezialisierte Handwerker und einen kreativen Chef wird heute vor allem in Restaurants der absoluten Spitzenklasse durchaus schon praktiziert – allerdings oft noch nicht in einem System, das aus qualitativen Gründen genau auf diese Trennung setzt. Bekannte Köche haben ihren Küchenchef, und das nicht nur im „System Bocuse“, sondern auch dort, wo viele Gäste noch meinen, weil der Küchenchef im Restaurant zu sehen ist, würde er auch persönlich Hand anlegen. Nur – das System „Postenchef“ ist zwar sinnvoll, wird aber nicht optimal gefüllt. Im Prinzip müsste es legendäre Fleisch- oder Fischköche geben, die ihr Leben lang (und seriös bezahlt) auf dieser Position bleiben und es auch nicht anders wollen. Heute gibt es diese Talente, aber sie werden sozusagen dazu gezwungen wieder Generalist zu werden, ohne das eigentlich optimal zu beherrschen. In Frankreich etwa ist das zum Teil anders. Dort gibt es altgediente Spezialisten, die nie die Absicht hatten, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Bei uns beschränken sich die Mitteilungen über solche Spezialisten auf ein paar wenige Namen, die hinter den Kulissen gehandelt werden. Man kennt Küchenchefs, die hinter den bekannten Frontfrauen und -männern so gut arbeiten, dass sie eigentlich „den Laden schmeißen“. Aber das ist dann auch alles. Ein professionelles System für handwerklich orientierte Spezialisten gibt es kaum.

Während der Schritt zur echten Spezialisierung bei den Küchenhandwerkern zumindest in Reichweite ist, geht es bei den Kreativen noch weitestgehend anders (und schlechter) zu. Im Grunde müsste es Kreative geben, die systematisch spezialisiert und in der Lage sind, Gerichte für Restaurants auf höchstem Niveau zu entwerfen. Während es so etwas in der Systemgastronomie und ähnlichen Einrichtungen schon gibt und natürlich auch diverse Berater unterwegs sind, fehlt der Sprung zum Food-Designer auf höchstem Niveau noch fast vollständig. Natürlich geht es hier um Eitelkeiten, um Küchenchefs, die alles selber machen wollen und glauben, auch alles selber zu können. Sie müssen sich dann allerdings nicht wundern, wenn ihre Arbeit nicht die Würdigung findet, die sie meinen, verdient zu haben. Es ist teilweise haarsträubend, was bisweilen an zusammengeborgten Ideen in schlechter Ausführung eingesetzt wird, um eine Küche als „kreativ“ bezeichnen zu können. Kreative Spezialisten, die in der Lage sind, verschiedene Arten von Küche auf höchstes Niveau zu bringen, sind noch immer kein Berufsbild. Statt dessen herrscht immer noch und allzu viel die klassischen Selbstüberschätzung von Leuten, die meinen, etwas entwickelt zu haben, dessen Wert aber völlig überschätzen.

Mehr echte handwerkliche Spezialisten und echte Food-Designer, die mit solchen Spezialisten zusammenarbeiten, würden große qualitative Verbesserungen bringen können. Wenn man die Qualitäten unserer besten Restaurants einmal ganz radikal bewerten würde, würde man durchaus zu dem Schluss kommen können, dass eine kombinierte Qualitätssteigerung im handwerklichen wie im kreativen Sektor für mindestens ein Drittel oder sogar mehr an qualitativem Zuwachs stehen könnte.

Das mag radikal klingen. Man sollte es einmal genau durchdenken.

3 Gedanken zu „Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust – oder auch nicht. Das Dilemma zwischen Handwerker und Kreativem“

  1. Nach über 40 Jahren in der Gastronomie, die ich von allen Seiten kennengelernt habe, kann ich dem Autor nur recht geben! Und auch der Verweis auf die Systemgastronomie ist richtig, da wird der an den Grill gestellt der es am besten drauf hat. Die Krux ist nur, in der traditionellen Gastronomie werden selten die Anreize geschaffen, das sich ein Koch auf das konzentriert was er am besten kann. Und wo gibt es den den Gast heute noch, der ein besonderes Lob für ein gelungenes Fischfilet etc. an den speziellen Koch ausspricht. Ich komme aus dem Service und habe auch viel Mist dem Gast freundlich und mit blumigen Worten serviert. Manchem hat meine Show so gefallen, dass er über das Essen hinweggesehen hat. Aber oft habe ich auch am Tisch gestanden und konnte nur der Prellbock für die schlechte Handwerklichkeit oder den abgehobenen, pseudokreativen Kreationen der Küche sein. Umso mehr habe ich, wenn ein Lob vom Gast für die Küchenleistung kam, diese auch weitergegeben und der Tipp wurde auch geteilt (wobei, nur wenn ich Teamplayer in der Küche hatte).

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  2. Sehr wichtiger und richtiger Text. In Japan wird die Perfektionierung einer bestimmen Küchentätigkeit als höchst ehrenhaft angesehen – da gibt es in vielen Bereichen ein Spezialistentum, von dem wir nur träumen können. Aber Beispiele für Arbeitsteilungen gibt es auch in Europa, etwa in Spanien, Skandinavien oder auch in Frankreich, wo es neben dem prominenten Küchenchef oft einen speziellen „Kreativchef“ gibt (oder gar ein ganzes Team), der sich um die Entwicklung neuer Gerichte kümmert. Sprich: das Kreative und das Handwerk werden erstmal getrennt.

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  3. Es ist schon seit ewigen Zeiten die deutsche Krankheit, daß von einem Koch erwartet wird, daß er alles kann – Fisch – Fleisch – italienisch – japanisch. Dabei kann ja nur Mittelmaß herauskommen.

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