Zweimal Fisch, und es ist notwendig

Man kann in deutschen Restaurants der Oberklasse den Eindruck bekommen, als ob die Fleischgerichte deutlich besser als die Fischgerichte seien. Fleisch wird in allen möglichen Schattierungen subtil angegangen, es gibt klare Vorstellungen von Produktqualitäten und die Garungen sind meist ebenfalls ausgereift und sicher. Man bringt die Ausgangsprodukte eben in eine eher gute Form. Beim Fisch sieht das deutlich anders aus. Ein Großteil der Gerichte ist entweder „roh mariniert“ oder so schlicht gebraten, dass nur in ganz seltenen Fällen das Produkt allein wirklich trägt. – Ich habe da in anderen Ländern deutlich andere Dinge erlebt, vor allem weil ich immer auf der Suche nach den Plätzen bin, wo man die allerbesten Produktqualitäten und/oder Garungen bekommt. Und da ist mir in Deutschland eher wenig im Gedächtnis geblieben, weil das Spektrum der Produkte (es gibt immer nur eine handvoll Standardprodukte) wie der Zubereitungen wie der Produktqualitäten einfach begrenzt ist – natürlich von grandiosen Ausnahmen abgesehen. Ich habe mit einem unserer berühmtesten Köche immer wieder Diskussionen über die Fischqualität gehabt. Er bekam sein Material von einem großen Händler, ich war der Meinung das sei zwar gut, aber nicht wirklich erstklassig. Dazu kommt dann auch noch, dass man die Spuren der Fische nach wie vor nicht zurückverfolgen kann. Hätte man das Datum des Fanges, wäre vieles besser – nicht nur wegen der Frische, sondern auch wegen der Reifung, die zum Beispiel bei größeren Exemplaren immer eine wesentliche Rolle spielt (wenn man denn nicht – was es schon gibt – auch bei Fisch in die Reifung geht).

Insofern sollte man unbedingt einen Blick in gute Bücher zum Thema werfen, die leider im Moment eher nicht aus Deutschland kommen, weil wir kaum noch Verlage haben, die sich wirklich mit Kochkunst befassen. Die beiden hier vorgestellten Bücher haben ganz klar keine „kulinarisch-populistischen“ Einschränkungen (wie so häufig bei uns) und sind gleichzeitig auch keine wissenschaftlichen Bände. Sie sind eigentlich typisch französisch und haben vor allem eine stramme Praxisorientierung.

 

Emmanuel Pilon/Nolwenn Corre, Julien Lemariè, Sonia Bichet: Le Grand Livre De La Mer. Poissons, Crustacés, Coquillages, Céphalopodes, Algues et Plantes. Ducasse Edition, Paris 2024, 272 S., geb., Hardcover, 49 Euro . Fotos: Philippe Vaurés Santamaria (in französischer Sprache)

 

 

Abgesehen davon, dass die Bücher aus der Ducasse Edition immer interessant sind, stellt sich hier schnell heraus, dass der größte Anteil an Rezepten von Emanuel Pilon kommt, der seit 2022 Küchenchef im Louis XV in Monaco ist, also in dem Ducasse-Flaggschiff, das schon immer für eine exzellente Fischbehandlung bekannt war. Zwei weitere Autoren haben Sternerestaurants mit unterschiedlichen Fisch-Aspekten, und Sonia Bichet ist MOF als „poissonière-écaillère“. Das Buch hat einen eher begrenzten theoretischen Teil, der eher praktisch orientiert ist und vor allem zeigt, wie man die Fische filetiert. Am Ende des Buches finden sich Grundzubereitungen, der Rest ist pures Material. Es zeigt sich schnell, dass der Inhalt zeitgenössisch, aber nicht unbedingt – sagen wir: skandinavisch-spanisch avantgardistisch ist. Diese Art der Modernität, die sich näher an klassisch-französischen Qualitäten entwickelt, ist typisch für die aktuelle Szene in Frankreich, dort weit verbreitet und wird oft unterschätzt.

Es gibt zum Beispiel ein umami-gesättigtes Gericht vom Kabeljau mit einem Kollagen von Fischen und Morchel-Tajine (Pilon), Seeteufel mit Erbsen (Corre), Seezunge mit Lauch und Pousse-Pied (Corre), Langustine mit Apfel und Knollensellerie (Corre) oder Rougets mit weißen Mandeln und Kirschen (Pilon). Man muss sich da einmal genauer die Kochtechnik ansehen und wird feststellen, dass sich hier ein erstaunlich differenziertes System entwickelt hat. Es gibt einen Vinaigre de Piment, eine Mandel-Kirsch-Sauce, eine eher klassische Marinade für die Rougets, ein Öl von Zitrusfruchtblättern, ein „Condiment“ von Rotbarbenlebern, eine Kirschvinaigrette und eine Kirschmarmelade. Der Hummer kommt mit Artischocke und Verveine und eben einem Coulis vom Hummerkopf, der einerseits ein wenig an eine Bisque erinnert, dann aber auch eine kräftige Krustentiernote und einen Gemüsehintergrund bekommt. Es gibt zum Beispiel ein wunderschönes Muscheltatar mit Spargel, von dem eine Bouillon mit Miso den Hintergrund bildet (Corre) oder eine Wurst von Seeanemone mit einem wahrlich komplexen Aromenstrauss inkl. Kümmel, Koriander, Minze und geräucherten Sardinen (Pilon).

Das sind nur eher willkürliche Beispiele. Das Buch ist zu rund 75% mit Ideen gefüllt, die ähnlich kreativ sind, aber weit davon entfernt, nur eine oberflächliche Assemblage von Elementen zu sein. Ich habe selten ein so spannendes Fischbuch gelesen, bei dem man buchstäblich an jedem Rezept „hängen bleibt“.

 

 

Arnaud Vanhamme: Poissonnerie. Lecons en pas à pas. Èditions du Chêne, Paris 2022. 447 S., geb. Hardcover, 59,90 Euro. Fotos: Pierre Jovelle. (in französischer Sprache)

 

 

Wer sich grundlegend für Fisch interessiert und vom Material über alle möglichen Techniken bis zu Rezepten der großen Standards alles wissen will, der muss dieses Buch als ultimatives Nachschlagewerk im Schrank haben. Arnaud Vanhamme ist ebenfalls ein Meilleur Ouvrier de France in der Abteilung Poissonnier-Écailler. Er hat in Paris eines dieser Fachgeschäfte, in dem sich auch die besten Restaurants bedienen, In diesem Buch erfährt man Alles – zumindest was das klassische Handwerk rund um den Fisch angeht. In schöner Übersichtlichkeit und Unmengen von Step-by-Steo-Bildern geht es hier nicht um irgendeinen Koch, der anläßlich eines Rezeptes zeigt, wie er den Fisch filetiert hat, sondern um das Handwerk des Poissonniers, der mit allen Fischen auf höchstem Niveau umgehen kann. Das wirft dann auch einen klaren Blick auf das Fach. Nein, dies ist kein Buch von einem Biologen, der die Gattungen und alles, was man darüber weiß, ausbreitet, dies ist ein Buch von einem hochgradigen Professional, der immer die Nutzung der Fische als Nahrungsmittel im Hintergrund hat und entlang dieser Linie ein Maximum an Wissen entwickelt und zeigt. „Poissonnerie“ ist also ein Buch, in dem vom kochenden Amateur bis zum Drei Sterne-Profi alle Interessierten nachsehen können, wenn sie vielleicht plötzlich Material bekommen, das sie vielleicht eher selten verarbeiten und wissen wollen, ob man da eine maximale Qualität gekauft hat, welche Cuts man da machen muss, ob die Saison stimmt oder welche Daten es für die Garungen gibt. Mit diesem Buch in der Hand bewältigt man das Fischangebot in Frankreich vom Norden bis in den Süden, und das will schon etwas heißen.

 

 

Das geht so bis zur Seite 217. Dann folgen die Rezepte für spezifische Gerichte, aber auch für bestimmte Zubereitungsarten oder Techniken. Hier gibt es ein Bild mit sämtlichen Zutaten, dann Step-By-Step-Bilder der Zubereitung und natürlich Bilder der Endergebnisse. Das reicht vom Fischfond über Bouillabaisse und Rouille bis zu verschiedenen Sorten Tatar und Marinaden oder Sushi. Dieser Teil ist eher Fischgeschäft-orientiert, hat aber allemal ein sehr professionelles Niveau mit Rezepten, die für eine gute Brasserie zu gebrauchen wären. Das dritte Kapitel ist den Muscheln und dem Seeigel gewidmet, das vierte bringt Zubereitungen und Rezepte dazu. Kapitel 5 bringt die Krustentiere mit ähnlichen Informationen wie bei den Fischen. Hier gibt es dann auch verschiedene Vorschläge für ein Plateau de fruits de mer. Den Abschluß bilden dann Rezepte zu den Krustentieren.

 

Man staunt, welche Menge an Informationen hier zusammenkommen – auch ohne ausgebreitete Rezeptteile und „kreative“ Küche. Das wiederum macht noch deutlicher, wie eingeschränkt bei uns der Umgang mit Fischen ist, von denen es ja in der Spitzenküche nur noch ein paar Standard-Sorten gibt, die dann üblicherweise auch eher normal angegangen werden. Ich habe zum Beispiel schon oft gesagt, dass ich in Deutschland so gut wie nie einen guten Hummer bekommen habe. Das liegt nicht nur daran, dass man das nicht richtig kann, sondern wohl eher an einem Mangel an einem selbstverständlich-komplexen Umgang mit Fischen, Muscheln und Krustentieren. Wer daran arbeiten möchte, das besser in den Griff zu bekommen, sollte sich unbedingt mit diesem Buch befassen.

 

 

3 Gedanken zu „Zweimal Fisch, und es ist notwendig“

  1. Vielen Dank für diesen schönen schriftlichen Beitrag:
    Frankreich hatte schon immer einen der wunderschönsten Kulturen, zum Produkt, der Zutat, der besten handwerklichen Fertigung, was sich auch im Kochen wiederspiegelt.
    Auch wie das Handwerk, in Frankreich, den Stellenwert hat, den wir erst einmal finden sollten, den es sind viele Dinge noch unentdecktes Land. Dazu zähle ich viele Personen, die den Stellenwert und die Bedeutung, gutes Essen erst einmal entdecken sollten, es pflegen sollten, und auch ihren Kindern, weitergeben.
    Dazu gehören auch phantastische Kochbücher, wie es auch hier vorliegt. Mit grosser Kreativität, Techniken aber auch der genauen Darstellung. Auch hier sieht man die Demut zu den Fischen & Meeresfrüchten, zeigt wie man ein gutes Produkt schätzt, und es zu einem tollen, unvergesslichen Gericht dann vollendet.
    Wir in der Schweiz, haben das Glück einer intensiven sprachlichen Diversität, aber auch ist dadurch eine grosse französische Beeinflussung, das dieses Land auch kulinarisch erweiter hat.
    Dieses Buch macht Spass, und zeigt wie hochwertig ein Buch um das Thema sein sollte.
    Fische & Meeresfrüchte sind sicherlich auch mit den heutigen Kosten, wie aber auch nach der Kunden-Nachfrage ein Thema, das viele nur halt die üblichen Verdächtigen auf der Karte haben.
    Aber auch das die Fischerei, heute immer mehr zurückgeht, und hauptsächlich auf Import-Ware, auch bei einheimischen Arten, zwecks Verfügbarkeit und fehlenden Lieferanten, sich dann so gestaltet.
    Das es auch anders geht, zeigen viele gute mittel-europäische Köche, aber nur ein guter Koch ist der, der über ein gutes Netzwerk an Lieferanten hat, aber auch immer den Austausch mit den Gast hat, und ihn inspieriert auch neues zu probieren.
    Beim Thema Fisch zeigt sich auch wie der einheimische Süsswasser-Fisch einen schweren Standpunkt hat, und auch stiefmütterlich grösstenteils behandelt wird.
    Aber auch wie die Presse und die Kunden so sensibilisiert, auf eine Weise, das Meeresfische, Meeresfrüchte die Gäste auch ablehnen. Und wenn keine Nachfrage besteht insbesondere Produkte die vom Einfkaufspreis schon nicht günstig sind, warum sollte man sie dann auf die Karte setzen.
    Dies setzt auch voraus, das das Produkt auch eine korrekte Labelung hat.
    Somit erklärt sich auch immer mehr, wieso diese Produkte einen schweren Standpunkt haben. Was sich schwer an den Gast verkaufen lässt, halt nicht auf die Karte setzen.
    Auch wenn ich den vorigen Beitrag lese, Kabeljau und Zander haben auch ihren Preis, wenn sie von einem guten Lieferanten kommen. Somit setzen halt viele auf bekanntes.
    Auch ein Zander aus einheimischen Gewässern ist heute kein Verkaufsschlager, nur bei Restaurants in Nähe von Binnen Seen oder Gewässern. Die Egli, Zander, Forelle, Saibling und Hecht auf der Karte haben.
    Und auch diese Restaurants mit jahrzehntelanger Fisch-Kultur werden immer rarer-auch hier in der Schweiz. Auch in der Schweiz zeigt sich im Fischkonsum ein klarer Rückgang seit des Anfang des 19. Jahrhundertes, wo immer weniger Bauern noch ihr Geld verdient haben, mit Fischen. Insbesondere der Wohlstand und der Modernisierung haben hier massiv nachgeholfen.
    Sicherlich gibt es noch einige sehr tolle und sehr gute Restaurants, aber sie werden immer weniger. Das wiederum spiegelt der Bedarf wieder, was Gäste lieben.

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    • Ich habe mich, glaube ich, missverständlich ausgedrückt. Ich stimme Herrn Dollase dahingehend zu, dass die Fleischgerichte in deutschen Spitzenrestaurants in der Regel deutlich besser sind als Fischgerichte oder anders ausgedrückt: dass bei Fischgerichten hierzulande noch ordentlich Luft nach oben ist. Besonders deutlich habe ich das eben bei Gerichten mit Kabeljau und Zander gemerkt, die in 99 % der Fälle einfach sterbenslangweilig waren – und zwar sowohl in Bezug auf Aroma und Textur als auch hinsichtlich des Zusammenspiels mit anderen Komponenten.

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  2. Diesen Eindruck teile ich. Mehr noch: Wenn ich sehe, dass ein Restaurant Kabeljau oder Zander im Menü anbietet, überlege ich es mir mittlerweile zweimal, ob ich reserviere.

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