„Banquets“, Teil 2, Die Rezension

Théophile Sutter(Illustrationen)/Roland Theimer(Rezepte): Banquets! Recettes grandioses pour tables de potes mémorables (ou l’inverse). Hachette, Paris 2021. 56 S., Großformat 24,8×42 Zentimeter. (In französischer Sprache)

Bei diesem wunderbaren französischen Buch, das ausschließlich aus Illustrationen von Théophile Sutter auf der Basis von Rezepten von Roland Theimer besteht, kann es nicht um eine Rezension gehen, bei der man die Rezepte oder den Text einordnet. Es geht hier ganz eindeutig um die Art und Weise, wie man Kochkunst darstellt, und welche Aussage mit der Darstellung verbunden ist. Das kann ich mit einem ganz aktuellen Beispiel illustrieren. Vor ein paar Tagen habe ich hier eine Rezension des neuen Buchs von Maria Groß von der „Bachstelze“ in Erfurt veröffentlicht („Mein Garten, meine Rezepte“). Mit „Banquets!“ in der Hand fällt da plötzlich allerlei auf. Die Inhalte, die bei Maria Groß kommuniziert werden, haben etwas Betuliches an sich. Es geht um den eigenen Garten und Essen, das man mit den eigenen Produkten herstellen kann. Das mag für eine Köchin und ihr Restaurant noch einen Hauch von Speziellem haben und im übrigen auch kommerziell sinnvoll sein. Im grunde transportiert dieser Zusammenhang – salopp gesprochen – eine Situation für Leute im Ruhestand: so etwas kann man zu Hause vor allem als Rentner gut machen, wenn man Zeit hat und natürlich auch das entsprechende Gelände, vielleicht als betulicher Bio-Rentner, der „schön brav“ immer in seinen Bioladen geht, der gesund lebt und seinen Enkeln lauter gesunde Sachen beibringt. Der dann vielleicht Freunde zum Essen einlädt und damit glänzt, dass die Produkte aus dem eigenen Garten kommen und außerdem auch noch selber gekocht sind – nach Rezepten von Maria Groß, die ja alle so sind, dass man das auch schaffen kann und außerdem auch noch ein wenig modern – zumindest wenn man sich nicht so richtig auskennt. Sie werden solche Assoziationen vielleicht kennen und sie selber häufiger haben oder in der Kommunikation benutzen.

 

Wem gehört die Kochkunst?

Warum ich dieses Beispiel heranziehe (man könnte sehr viele ähnliche Beispiele verwenden) hat etwas mit einem spezifisch kommunikativen Problem zu tun. Hinter vielen kulinarischen Büchern und ihrem Inhalt steht ein bestimmtes Weltbild – genauer: ein bestimmtes kulinarisches Weltbild. Daran wird oft gezielt gearbeitet und es wird – meist aus kommerziellen Gründen – gezielt eingesetzt. Das Problem läuft letztlich auf die Frage hinaus: Wem gehört denn eigentlich die Kochkunst und wer will in Fragen der Kochkunst wie Deutungshoheit gewinnen. Erinnern wir uns: die Gourmetküche galt lange Jahre (und für viele Leute auch heute noch) als ein Ort für überspannte Schickimickis mit viel Getue, die dann irgendwelche exotisch-teure Sachen wie Hummer, Austern, Kaviar und Trüffel aßen, die ja eigentlich nicht gut schmecken, aber die man da anscheinend essen muss. Auch die Kochbücher dieser Szenerie waren oft entsprechend: edles, teures Ambiente, großer Luxus, und eine Art der Teilnahme daran, die als unbedingt erstrebenswert dargestellt wurde. So etwas muss man sich erst einmal leisten können, und wenn man es sich leisten kann, ist es Ausweis einer Art kultivierten Lebensqualität, die die Anderen nicht haben. Wer den Luxus nicht mitmacht, hat keine Kultur. Noch heute höre ich in entsprechenden Restaurants immer wieder zwangsläufig Gespräche mit, in denen es absolut klischeehaft um Golf und große Autos, die Kinder, die an amerikanischen Universitäten studieren oder um sonstige Dinge in der großen weiten Welt der Wohlhabenden geht, für die man sich anscheinend interessieren muss.

Will sagen: die Spitzenrestaurants gehören in dieser Szenerie den Wohlhabenden dieser Welt oder eben denjenigen, die einen entsprechenden Lifestyle pflegen können. Mich hat so etwas nie wirklich interessiert, bei mir stand immer das Essen im Vordergrund. Irgendwann vor noch gar nicht so vielen Jahren „kippte“ die Sache ein Stück weit. Es kam der bürgerliche Gourmet, der vielleicht sogar sparen musste, um sich das tolle Essen leisten zu können. Wem gehörte zu dieser Zeit die Spitzenküche? Es war unentschieden, weil sich die kulinarischen Qualitäten an wichtigen Stellen nicht genug, an anderen gar nicht durchsetzen konnten. Die Feuilletons etwa reagieren bis heute unentschieden oder ablehnend auf eine allzu tiefe Beschäftigung mit der Kochkunst. Eine adäquat tiefer gehende Betrachtung wie in meiner FAZ-Geschmackssache über viele Jahre hinweg gibt es zum Beispiel heute nicht mehr zu verzeichnen. Dann wanderte die Sache wieder weiter, weil plötzlich eine ganz neue Art von jungen Leuten ihr Interesse für die kreative Küche entdeckten und sie als individuellen Ausdrucksmöglichkeit entdeckten – nicht nur die Berliner Hipster.

 

Das Buch

Und da kommt dann auch dieses neue Buch ins Spiel, bei dem die Zeichen von Comic, Alternativkultur und Co. weit von den traditionellen Szenarien der üblichen Kochbücher abweichen. Es ist eine saloppe, unverkrampfte Darstellung, bei der die Illustration als unterhaltsame Form gewählt wird, um im Prinzip durchaus erst einmal die ganz normalen, seriösen Inhalte (also die Rezepturen) darzustellen. Man bekommt auf den doppelseitigen Blättern keine präzise Reihenfolge, sondern muss sie sich suchen, ein wenig wie in einem Wimmelbild. Bei dieser Suche stößt man dann aber immer wieder auf – sagen wir: Anreicherungen, die man normalerweise nie im Zusammenhang der üblichen Kochbuchdarstellungen findet. Da fragt der Koch Belzebub, wie er denn seine Pita finde und der findet sie nicht scharf genug. Oder: da fährt ein Panzer durchs Bild mit der Aufschrift: „Werde vegan oder stirb!“ Wie könnte man schneller illustrieren, dass es auch militante Veganer gibt oder das Thema manchmal arg aggressiv diskutiert wird? Und immer wieder kommentiert die Figur des Kochs kochtechnische Details oder begründet sie. Durch den Mangel an Rezeptstruktur liest man intensiver und nimmt intensiver wahr, weil es die Bilder dazu gibt, und das Alles in einem bildnerischen und sprachlichen Universum, was so gar nichts Steifes, Formelles, Besserwisserisches oder wie auch immer hat. Man kann sich gut vorstellen, dass es jüngere oder künstlerisch orientierte Leser gibt, denen die Kochkunst auf einmal sehr viel näher kommt, die den Eindruck haben, dass dies etwas ist, das man sich zu eigen machen kann, weil es eine gute Ästhetik hat.

Natürlich ist „Banquets“ auch ein wenig wie ein Kinderbuch für Erwachsene, das aber im besten Sinne. Es findet den Draht, den Zugang, es ist ein wenig wie Frischluft, und das obwohl die Rezepte ganz „normale“, seriös entwickelte sind. Selbst etwas kompliziertere Gerichte werden auf diese Weise ganz locker „verkauft“. Man staunt, wie weit so etwas von den anbiedernden, prätentiösen Discounter-Kochbüchern entfernt ist, in denen mal wieder ein berühmter Koch angeblich völlig authentisch in seine vierundzwanzigste Glaubwürdigkeitsrolle schlüpft. Dieses Buch ist präsent, nichts für Schickimickis, nichts für verklemmte Hobbyköche des genussreduzierten Lagers, nichts für die Oberlehrer, die im grunde verkappte Redundanzesser sind und ihre Abneigung gegen kreative Küche irgendwie ideologisch verbrämen müssen. Man gerät ins Schwärmen oder ins Polemisieren, dass kann sich manchmal durchaus nahe sein. “Banquets“ ist eine wilde Jagd durch die Kochkunst, unsere Assoziationen, unser Verhalten rund ums Kochen und wirkt dabei auch noch völlig ungeplant. Ich finde so etwas ausgesprochen lustig, befreiend und entspannend.

Insofern ist es kein Wunder, dass ich in meinen Kategorien für die Bewertung von Kochbüchern für so etwas keine Kriterien habe. Ich weiß also nicht, wie viele B‘s ich hier geben soll.

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