Beyond Burger vs. Boulets à la Liégoise. Ein zufälliges Zusammentreffen besonders psychoaktiver Produkte

Manchmal kommt es vor, dass sich in kürzester Zeit bestimmte Dinge begegnen, die auf den ersten Blick aus zwei verschiedenen Welten zu stammen scheinen. Und dann entdeckt man plötzlich doch Gemeinsamkeiten oder so interessante Beziehungen, dass man sich gleichzeitig mit ihnen beschäftigt.

Ich habe den berühmten Beyond Burger von der US-Firma Beyond Meat getestet, was natürlich in direktem Zusammenhang mit dem veganen Burger-Pattie-Test der Aldi und Lidl – Produkte hier auf www.eat-drink-think.de steht. Zwischen diesen Tests war ich in Lüttich, der Metropole des französischsprachigen Teils von Belgien, und habe in „La Brasserie“ am Place de la Cathédrale 3 die berühmten „Boulets à la Liégeoise“ gegessen. Könnte es einen größeren Kontrast geben? Hier Produkte, mit denen versucht wird, irgendwie Ersatz für Fleisch zu schaffen, dort ein Kultgericht mit viel Fleisch, vielen Kalorien und einem für viele Leute süffigen Geschmack, der schon ganze Generationen glücklich gemacht hat und in Belgien auch weiterhin große Mengen von Leuten erfreut.

Und doch haben sie etwas gemeinsam.

Beyond Burger der Fa. Beyond Meat
„Beyond Burger – The Future of Protein. It’s a new breed of burger, made from Plants”, heißt es auf der Packung. Das von Aldi und Lidl kopierte Original kommt in einer Zweierpackung. Die Patties sind deutlich dicker als bei Aldi und Lidl. Ihr Geruch erinnert nicht an Fleisch sondern ist andersartig bis neuartig und wird wohl nur deshalb irgendwie dem pflanzlichen Bereich zugeordnet werden können, weil man weiß, worum es sich handelt. Nach der Garung entsprechend den Hinweisen auf der Packung hat sich eine kräftige Kruste mit entsprechend guten Röstnoten entwickelt, die in ihrer Art durchaus an Fleischkrusten erinnern. Beim Braten entwickelt sich allerdings kein besonders guter Duft: es riecht entfernt wie das Braten von Fleisch, aber eher wie das Braten von nicht besonders gutem Fleisch.

Beim Essen fällt sofort eine recht große Ähnlichkeit zum Fleischgeschmack auf. Er stammt in erster Linie von den Röstnoten der Kruste (die sich weder bei Aldi noch bei Lidl so gut entwickelte), in zweiter Linie von der Zugabe von Raucharoma. Wenn es also die Aufgabe war, Fleisch zu kopieren, wird sie hier deutlich besser gelöst als bei Aldi und Lidl. Das gilt auch für die Textur, die aufgelockerter ist als bei den sehr verdichtet wirkenden Aldi und Lidl – Produkten. Das Ganze hat immer noch nichts mit einem guten, handgemachten Pattie zu tun, wirkt aber nicht unbedingt schlecht. Geschmacklich geht es nach den vordergründigen Aspekten nicht so überzeugend weiter. Der Geschmack wird neutraler, bekommt künstliche Aspekte und endet in einem leicht bitter-herbem Nachhall, der sich möglicherweise durch den Zusammenhang von Röstnoten und Gemüseelementen bildet.

Insgesamt schmeckt das Beyond Meat – Produkt deutlich besser und – wenn man so will: authentischer als die Aldi- und Lidl – Produkte. Dennoch macht das Essen nicht besonders viel Vergnügen, weil der Geschmack insgesamt immer noch künstlich wirkt und mit seinen Nebennoten ein gutes Stück jenseits eines frischen Fleisch-Produktes liegt. Der Gedanke ist: Man muss so etwas nicht essen – man verspürt keinesfalls den Wunsch, sich mit solchen Qualitäten weiter zu beschäftigen. Wie bei Aldi und Lidl wird die Kopie angestrebt und offensichtlich kein eigene geschmackliche Ästhetik. Warum sollte eigentlich ein veganer Burger nicht ganz einfach deutlich nach Gemüse schmecken?

Boulets à la Liegeoise
Dieser Klassiker der bürgerlich-regionalen Küche besteht hier aus einem großen Hackfleischbällchen (es gibt ihn in „La Brasserie“ auch mit zwei Boulets) mit viel Sauce, Pommes Frites, Mayonnaise, Beilagensalat mit einem Mix aus Gemüse und Salat und Salatsauce. Die Boulets sind in der Machart traditionell und unterscheiden sich auch in der Rezeptur nicht besonders von guten Frikadellen/Fleischbällchen. Der Geschmack kommt vor allem von der süßlichen Sauce, die mit Rosinen und einem Sirup angereichert ist und ein ganz typisches Geschmacksbild abgibt. Der Rheinländer kennt es vielleicht ein klein wenig vom Sauerbraten her, der regional oft ebenfalls mit einer süßlichen Sauce inkl. Rosinen begleitet wird. Die Kombination dieser Sauce mit den Boulets ist ausgesprochen wirkungsvoll. Dazu gibt es – selbstverständlich – sehr gute belgische Fritten, die hier nicht sehr groß sind, aber in der Garung eben typisch. Die Mayonnaise ist ebenfalls lokal und nicht ganz so dick, wie das bei uns schon mal der Fall ist. Außerdem hat sie weniger Säure als das meist der Fall ist. Der Salat wirkt frisch, die Salatsauce bringt allerdings auch dort wieder einen eher in Richtung Fett orientierten Geschmack. Die Akkorde verraten lange Traditionen. Sie sind in sich perfekt, sehr süffig und durchaus nicht unbedingt penetrant. Vom Fleisch schmeckt man je nach Größe der Stücke durchaus noch etwas. Insgesamt wirkt das Gericht hier vergleichsweise „sauber“ gemacht, setzt aber voraus, dass der Esser auch den Geschmäckern der Imbißkultur etwas abgewinnen kann. Wer so etwas mag, wird hier begeistert sein können. Das Hauptproblem sind die gefühlten 12378 Kalorien pro Portion. Das Gericht ist schon in dieser „kleinen“ Ausführung kaum zu essen. Mit zwei Boulets hat man etwa die Menge von 6 großen Kaaspressknödeln mit viel Fett (um einmal einen Vergleich zu machen). „La Brasserie“ hat noch eine ganze Reihe ähnlicher Gerichte auf der Karte und wird von einem durchaus gemischten Publikum emsig frequentiert – auch mittags schon.

Wie ähnlich sind sich die beiden?
Wir brauchen hier nicht über Ähnlichkeiten im engeren kulinarischen Sinne zu diskutieren. Essen besteht aber ohnehin nur zu einem Teil aus kulinarischen Fakten (zumindest wenn man es als einen komplexen Vorgang versteht, der nicht mit der Fertigstellung des Essens endet, sondern erst dann, wenn ein Gericht auch gegessen wurde). Der andere Teil ist der assoziative Kontext, also all das, was beim Essen von Gerichten mit Erinnerungen und Assoziationen zu tun hat. Und da haben wir auf der einen Seite die hochkomplexe Verknüpfung mit einer Szenerie, die anscheinend verzweifelt bemüht ist, den „alten“ Fleischgeschmack auch ohne tierische Produkte hinzubekommen. Ich hatte schon im Aldi-Lidl-Test die Frage gestellt, ob denn wirklich die Erinnerung an tierische Produkte wiederhergestellt werden muss. Was will man da? Doch nicht die Erinnerung an das konkrete Tier! Es geht in verdrängte Sphären, wo der Wohlgeschmack „alter“ Gerichte mit Fleisch ein wohliges Gefühl erzeugt hat, ein Gefühl der Geborgenheit in einer kulinarischen Tradition vielleicht, von der man erst später erkannt hat, dass sie gewaltig mit dem Wunsch nach Mitgeschöpflichkeit der Tiere kollidieren kann. Das kann und will man nicht mehr ausleben, möchte aber auf den gewohnten kulinarischen Flash nicht verzichten. Fleischesser 2.0 also.

Die Boulets haben schon Generationen von Fleischessern glücklich gemacht und machen das auch heute noch. Brasserien wie „La Brasserie“ in Lüttich, die keineswegs gute Restaurants sein wollen, sondern eine zuverlässige Quelle für traditionelle Lieblingsgerichte vieler älterer Esser, haben sozusagen vor allem den assoziativen Kontext als Ziel. Wer sich in diesem, für viele Anhänger „guter“ Küche vermutlich Albtraum von Essen, zu Hause fühlt, wird voll erreicht und bedient. Zwischen Gericht und Wohlbefinden passt hier keine Briefmarke, der Kurzschluss ist so vollständig sicher, wie bei allen echten Lieblingsgerichten in Lieblingsausführung. Was die Veganer vielleicht teilweise noch im Essen suchen – hier ist es und hier war es immer.
Und da bleibt nur noch die eine Frage, deren Beantwortung allerdings nicht ganz so einfach ist wie es vielleicht scheint: Ist das Essen in Lüttich schlecht oder ist es gut?

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