Birgit Jochens: Zwischen Ambition und Rebellion. Karrieren Berliner Kochbuchautorinnen. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2021. 192 S., geb., Hardcover, 25 Euro

Berlin? Kochen? Es ist ganz klar, in welche Richtung da im Moment die Assoziationen laufen. Es ist auch gut, dass es in der Hauptstadt endlich so etwas wie eine kulinarische Szene gibt, weil sich unter den – sagen wir: kommunikativen Umständen einer Hauptstadt eine Menge an Dynamik ergibt. Es ist auch gut, dass sich die neue Berliner Szene mit den Produkten und Gerichten der Nahumgebung befasst und sich nicht dem immer wieder heftig grassierenden Mainstream unterwirft. Was nicht so gut ist, ist die Tatsache, dass man den Eindruck erweckt, man habe Berlin als kulinarisches Pflaster gerade erst erfunden. Berlin war schließlich auch früher schon Hauptstadt, und das unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen und mit einer jeweils – auch kulinarisch – komplett unterschiedlichen Dynamik. Die Lektüre des Buches „Bei Fontane zu Tisch“ von Sybil Gräfin Schönfeldt etwa (1997) hat viele kulinarische Details, die auch die kochenden Hipster von heute noch interessieren könnten, sollten oder müssten. Und – ganz allgemein wäre es von großem Vorteil für das Ganze, wenn gute Köche oder Gourmets auch gleichzeitig diejenigen wären, die die ganze Esskultur im Auge haben, die etwas über die Geschichte wissen, über die Entwicklungen, die die Dinge nehmen und darüber, wie man mit einem etwas weiter gespannten Wissen vielleicht ab und zu ein klein wenig anders handelt. Insofern halte ich die Lektüre kulturwissenschaftlicher Bücher (im weitesten Sinne) für sehr wichtig. Und dieses gehört dazu. Die Autorin war übrigens von 1990 bis 2013 Leiterin des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf.

Das Buch
Es beginnt mit der allfälligen Erinnerung daran, dass immer irgendwo täglich gekocht wurde, und natürlich auch früh schon ein Bedarf an Kochbüchern bestand und das in einem enormen Umfang. Es gab in und rund um die Riesenstadt Berlin eine kulinarische Kultur, die irgendwann im Verlaufe der Zeit auch ihre Einbrüche erlebt hat, aber im Grunde in vielen, uns heute kaum noch bekannten Büchern überliefert ist. Und weil es in diesen ganz unterschiedlich motivierten Büchern ganz unterschiedliche kulinarische Ziele gab, sind sie auch heute noch für uns von großem Interesse – wenn man den etwas von Kochtechnik versteht und verfolgen kann, welche Wege zu welchem Geschmack früher eingeschlagen wurden. Dass das Frauenbild extrem unterschiedlich war, muss man heute vielleicht wieder erwähnen. Ja, viele Bücher waren für das „Heimchen am Herd“ geschrieben, für die Hausfrau und Mutter, die die Erfüllung ihres Lebens darin fand, ihre Familie gut zu bekochen. Andere für eine extrem einfache, preisgünstige Küche, eine Art Verwaltung der Not, wieder andere aber auch für die selbstbewußte Frau, die sozusagen aus eigenem Antrieb und Interesse handelt. Aber – es gab auch die Stars des Gewerbes, bekannte Küchengrößen, die für die „besseren“ und besten Kreise kochten und die schließlich übrigens auch – im Lyonnaiser Raum und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts – die frühe Entwicklung der Michelin-Sterneküche prägten.

Erwähnt werden zum Beispiel: Friederike Helene Unger (1751-1813), „Im Rollenzwiespalt“, Lina Morgenstern (1830-1909), „Die internationale Karriere der ‚Suppenlina‘“, Ottilie Palfy (1833-1904), „Mit Haushalten zum Erfolg“, Hedwig Heyl (1850-1934), „Mit profilierter Hauswirtschaft zur Praktikerin der Frauenbewegung“ oder Julie Elias (1866-1943), „der Kochkunst ergeben“. Zwischen den Porträts, die durch viele Abbildungen ergänzt werden, gibt es sehr interessante Aufsätze zu Sachthemen wie etwa „Von Schwarzen Küchen, seltsamen Küchenhilfen und Sparherden“, „Von Hökerfrauen, Wochenmärkten und Markthallen. Über den Lebensmittelhandel in Alt-Berlin“, „Kochkunst: Nur für Männer?“ oder „Der Deutschen Leidenschaft für Suppen“.

Von besonderem Interesse sind natürlich die abgedruckten Rezepte. Es gibt – immer in der merkwürdigen Sprache der Zeit – etwa die „Kalbsfleisch- oder Hühnersuppe“ (Unger), die man mit ihren Zutaten wie Zuckerwurzeln, Morcheln oder Krebsschwänzen“ spielend in die Jetztzeit transportieren könnte, deren Rezept aber sehr wenig präzise erscheint. Heute würde man so etwas eher als „Rezeptnotizen“ bezeichnen, die man sich macht, um später und mit seinen jeweils gerade aktuellen Vorstellungen von Geschmack an der Konkretisierung zu arbeiten. Manche wirken komplizierter, als es nötig ist (etwa eine Kastaniensuppe), manche heute wieder fast avantgardistisch, wie die „Schweineohren mit Senfsauce“, bei denen neben der Mehlbindung auch schon Maggi-Fleischextrakt eine Rolle spielte. Es gibt frühe Experimente mit exotischem Touch, wie etwa „Orangen-Frikadellen“ oder Küchen anderer Länder, wie etwa die „Neapolitanische Kuttelsuppe“ bei Lilo Aureden und allerlei Kreatives der „bunten“ Art, die man heute eher den 50er Jahren zurechnet. Die Faktenfülle ist groß und spannend, und es geht um den ganzen kulturellen Komplex, der sich rund um diese Autorinnen beschreiben lässt, also nicht nur um Rezepte im engeren Sinne. Es wird sich für den Leser zeigen, dass die Verkürzung auf ein paar bekannte historische Kochgrößen natürlich nur die Spitze vom Eisberg ist und dass – leider – damals weitgehend das Aufzeichnungsinteresse fehlte und wir heute froh sein müssen, über diese Autorinnen zumindest einen kleinen Einblick in die Esskultur rund um Berlin im 19. Und frühen 20. Jahrhundert zu bekommen.

Fazit
Wir könnten noch Unmengen von solchen Büchern brauchen, wenn es denn eine kulturell interessierte Szenerie gäbe, die so etwas wirklich tragen könnte. Bücher wie diese lesen sich für Interessierte wie Krimis, sie sind spannend, weil sie den Blick auf Zusammenhänge möglich machen, die oft immer noch wirksam, aber eben kaum bewusst sind. Abgesehen davon ist die historische Bebilderung immer eine großer Gewinn. Vielleicht kommt einmal die Zeit für Restaurants, die regelmäßig historische Menüs/Essen anbieten. Ich habe mich immer für solche unterhaltsamen Dinge eingesetzt. Hier findet sich manche Inspiration dazu.

Das Buch bekommt 1 grünes B

Fotos © Verlag für Berlin-Brandenburg

1 Gedanke zu „Birgit Jochens: Zwischen Ambition und Rebellion. Karrieren Berliner Kochbuchautorinnen. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2021. 192 S., geb., Hardcover, 25 Euro“

  1. Danke für diese aufschlussreiche und spannende Buchbesprechung.
    Das Buch list sich tatsächlich wie ein Krimi und gibt Einblicke in die Berliner Kochvergangenheit.
    Unbedingt erwähnenswert wäre in dieser Rezension gewesen,
    dass auch in der Hauptstadt der DDR international gekocht wurde.
    Die Autorin hat das liebevoll getan, indem sie Ursula Winnington mit aufnahm in den Reigen
    der erinnerungswürdigen Autorinnen und Köchinnen.

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