Christoph Schulte (Text)/Helge Kirchberger (Fotos): Eckart Witzigmann – Was bleibt. Pantauro/Benvenuto Publishing, Salzburg und München 2021. 2 Bände im Leinenschuber. Band 1: 384 S., geb., Band 2: 208 S., 150 Euro

Am 4. Juli wird Eckart Witzigmann 80 Jahre alt. Aus diesem Anlass hat der zu Red Bull/Ikarus und Co. gehörende Pantauro-Verlag eine große Würdigung in Form von zwei Bänden in einem Schuber herausgebracht. Sie sind die Ehrung für einen österreichischen Koch, der zwar schon vor über 25 Jahren sein Drei Sterne-Restaurant „Aubergine“ verlassen hat, sich aber danach mit vielfältigen Aktivitäten weiter im Gespräch und im Geschäft halten konnte. Zu seinen herausragenden Aktivitäten gehört der internationale Witzigmann-Preis, den wir seinerzeit im Vorstand der Deutschen Akademie für Kulinaristik (zu der ich damals ebenfalls gehörte) konzipiert haben und die Aktivitäten rund um das Hangar 7/Ikarus – Projekt in Salzburg, wo er als kulinarischer Berater ein ebenso originelles wie spektakuläres Programm etablierte, bei dem erstmals systematisch Spitzenköche aus aller Welt an einem „fremden“ Ort ihre Kreationen präsentieren ließen.

Eckart Witzigmanns kulinarische Aktivitäten im engeren Sinne waren in der Zeit nach seinem Abschied vom Herd – sagen wir: schillernd. Ich habe mehrfach im Zusammenhang mit Buchbesprechungen darauf hingewiesen, dass man dringend einmal eine Reihe von Rezepten haben müsste, bei denen Witzigmann noch einmal „richtig zulangt“. Er hat das vor Jahren bei einigen wenigen Arbeiten für den „Feinschmecker“ gemacht. Diese Arbeiten zeigten ein ausgesprochen komplexes und sehr strukturiertes Vorgehen. Ich habe die Sachen nachgekocht und war begeistert. Statt eines solchen repräsentativen Buches gab es eben eine Reihe von kulinarisch eher unauffälligen Büchern und Kooperationen, die den Eindruck erweckten, er ließe sich aus nicht primär kulinarischen Gründen für solche Aktionen gewinnen.

Nun also dieses Buch und damit ein Werk, bei dem sein Licht nun wirklich nicht unter einen Scheffel gestellt wird – auch wenn es, um das vorwegzunehmen, eben um seine Klassiker geht.

Das Buch
Der erste Eindruck dieses mächtigen Werkes, das in seinem Umfang an die dicksten und größten kulinarischen Bücher weltweit heranreicht, ist der einer Art Festschrift. Man hat an nichts gespart, benutzt bestes Papier, lässt viel Platz, inszeniert maximal in jeder Form. Die Texte und Zitate sind oft wie in Stein gemeißelt angeordnet, oft ziert ein einzelner Satz eine Seite, mehr an Bedeutungsüberhöhung (oder -inszenierung) geht einfach nicht. Das könnte dem ein oder anderen Leser unangenehm auffallen. Bescheiden ist es jedenfalls nicht, liegt aber ganz auf der Linie der Herausgeber, die immer sehr viel für das Image ihrer Protagonisten getan haben. Bei der korrekten Rezension eines Buches muss man solche Dinge allerdings ansprechen. Hier ist also alles etwas größer, wobei es eben sehr nach Ruhmeshalle aussieht und nicht unbedingt Stallgeruch hat. Jüngere Generationen werde das ratlos sehen, seine Schüler und Weggefährten werden begeistert sein. So gesehen ist also alles normal und im Lot.

Der Band „Mein Werk“ ist der dickere der beiden. Er ist nach einem Prinzip aufgebaut, das wir schon von den leider nur drei Bänden der Reihe „L‘Atelier de Alain Ducasse“ (Robuchon und Senderens vom Ende der 90er Jahre her kennen). Es gibt Rezepte des Meisters und anschließend Interpretationen durch seine Schüler. Dazu dann jeweils auch noch ein Rezept des Schülers, dass nicht direkt auf ein spezifisches Rezept von Witzigmann zurückgeht. So hat man dann 3 x 25 Rezepte. Und da ist erst einmal beeindruckend, welch große Zahl von hervorragenden Köchen durch die Schule von Eckart Witzigmann gegangen sind. Dass es so viele seiner Schüler so weit gebracht haben, spricht für die sprichwörtliche Präzision seiner Arbeit und auch die immer frühe Forderung nach Kreativität, über die seine Schüler immer wieder berichten. Es gibt also etwa von Witzigmann das „Spargelmousse auf kalter Krebssauce mit Krebsen und Spargelspitzen“ und dazu von Bobby Bräuer „Flusskrebse, Savarin, Muskatkürbis, Dill“ und „Bresse-Huhn, schwarze Trüffel, Artischocke, Schmorzwiebel“. Hans Haas lässt den „Spiegeleiern auf Rahmspinat mit Alba-Trüffeln“ das „gebackene Ei auf Rahmspinat“ und die „Verkohlte Sardine mit Curry-Sauerrahm folgen. Zusätzlich gibt es einige Statements und Erinnerungen der Schüler. Das liest sich natürlich – immer für eher für Eingeweihte als für Newcomer – interessant – speziell was die Arbeitsabläufe bei Witzigmann angeht. Die Qualität der Rezepte ist hoch, fast immer deutlich klassisch orientiert und manchmal für meine Begriffe optisch zu stark stilisiert. Das große Stück „Nordsee-Steinbutt, an der Gräte gebraten mit zwei Buttersaucen“ von Thomas Martin zieren zwei eher kleine Saucenpunkte. Ich habe einmal von ihm ein dickes Stück Steinbutt mit Beurre blanc bekommen, das um Klassen süffiger aussah und bei weitem bessere Proportionen hatte – nämlich Massen von Sauce… Wie dem auch sei: die Sammlung wird zu einem sehr guten Kompendium eines Küchenstils, der seine Wurzeln in den 70er und 80er Jahren hat.

Band zwei hat den Titel „Meine Vision“ und ist eine Mischung aus Autobiographie und Überlegungen des Meisters zu allen möglichen Punkten seines kulinarischen Lebens. Dabei zeigt sich, dass Witzigmann im Laufe der Jahre vom Handwerker, der tief in seiner Arbeit versenkt (oder auch verstrickt) war, zu einer Art intensiv reflektierendem kulinarischen Gelehrten geworden ist – nicht als analytischer Intellektueller, der über den Dingen steht, sondern als ein Kenner und Könner, der deutlich über den Tellerrand schauen kann und dies so tut, dass sich wertvolle Beiträge ergeben. Ich teile seine Ansichten nicht immer, was hier aber keinerlei Rolle spielen und auch nicht unbedingt weiter vertieft werden sollte. Nur soviel muss man sagen: die Welt der Kochkunst ist sehr groß und sehr vielfältig, und wir haben gelernt, dass das System, dass Eckart Witzigmann so ausgezeichnet repräsentiert, zwar ein sehr, sehr gutes ist, aber nicht das einzige. Die Abschnitte haben Überschriften wie: „Weniger ist oftmals mehr“, „Ist das Produkt wirklich der Star?“, „Geschmack kommt von Schmecken“, „Lernen, Teilen und Bewahren“, „Kritiker und andere Freunde“ oder „Handwerk, Kunst – Handwerk oder Kunst?“. Mitten im Band gibt es dann eine große Bilderstrecke mit prächtigen Fotos aus dem Bestand Witzigmanns.

Fazit
Man kann und muss das Buch von unterschiedlichen Seiten her sehen. Einmal ist es im ganzen luxuriösen Duktus und von der Tendenz her vor allem eine Festschrift zu Ehren Witzigmanns. Dann ist es ein hochinteressantes Kochbuch mit einer Art Epochenküche in Bestform, weil so viele Spitzenköche hervorragende Beiträge liefern. Schließlich ist es ein Buch über die Person des Koches Witzigmann, in dem klar wird, wie er „tickt“ und welche Essenzen (um kulinarisch zu bleiben) er weiterzugeben hat. – Es entsteht die Frage, für wen das Buch von Interesse ist. Seine Freunde werden es lieben und sofort kaufen. Interessierte werden sich mit den Rezepten befassen und den Lebenslauf studieren. Jüngere Semester, die zu den Geschmacksbildern von Kalbsbries Rumohr und Co. kaum Beziehungen haben, werden sich vermutlich nicht besonders dafür interessieren.

Die Wertung liegt also zwischen sämtlichen B’s.

Eine Anmerkung noch: das Buch ist von der Aufmachung her eher auf der opulenten, je nach Sehweise auch unbescheidenen Seite. Es sei dem Meister glatt gegönnt, das ist nicht das Problem. Ich möchte aber anregen, dass der Pantauro-Verlag vielleicht einmal in eine bescheidene, dafür aber inhaltlich um so präzisere Serie von Kochmonographien investiert, die maximale Qualität hat. Ein wenig so, wie die weißen Robert Laffont-Bände aus den 70er und 80er Jahren. Große Köche, präzise dargestellt und eingeordnet, das Werk dokumentiert, wie es die bunten Blättchen aller Art nicht können. Das wäre doch mal was.

Fotos © Helge Kirchberger, Pantauro/Benvenuto Publishing

11 Gedanken zu „Christoph Schulte (Text)/Helge Kirchberger (Fotos): Eckart Witzigmann – Was bleibt. Pantauro/Benvenuto Publishing, Salzburg und München 2021. 2 Bände im Leinenschuber. Band 1: 384 S., geb., Band 2: 208 S., 150 Euro“

      • ja klar! geschmacksbilder , die hochküche bedient, sind sicher andere, als sie durch trivialküche gepflegt und verbreitet werden. sich dafür zu interessieren, hat mE wenig damit zu tun, ob man älteres oder jüngeres semester ist. anders als herr dollase sehe ich nicht, dass ältere menschen den zugang zu formaten der klassisch-traditionalistischen hochküche eher finden, weil sie diese an irgendwie bekannte formate aus dem gutbürgerlichen mainstream erinnern. diese ansicht habe ich schon in meinem diskussionsbeitrag zur taubenkeule romanoff der haeberlins vertreten und halte mangels weiterführender argumentation nach wie vor daran fest.

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      • vermutlich, deshalb ist es auch wichtig, dass profis drüber schreiben! aber dennoch wünschte ich mir hier eine stringentere argumentation zu diesem konkreten punkt.

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  1. Ihre Behauptung “ Jüngere Semester, die zu den Geschmacksbildern … kaum Beziehungen haben, werden sich vermutlich nicht besonders dafür interessieren.“ halte ich für eine blosse Mutmassung, der eine schlüssige Begründung fehlt. Alle präsentierten Rezeptbilder zeigen Gerichte, die sehr ansprechend und zugänglich aussehen, das dürfte dann auch für das signature dish kalbsbries rumohr gelten, wenn man von der leider allgemein grassierenden fimmelei beim thema innereien absieht. ich meine mich auch daran zu erinnern, dass eine behutsam modernisierte fassung auch schon bei diversen tantrisjubiläen und im ikarus im rahmen eines best of menues aufgetaucht ist und dort nicht auf allzugrosse irritationen stiess. aber natürlich- ein koch, der seit fast 30 jahren kein eigenes restaurant mehr führt, hat einen anderen zugang zur moderne als ein zeitgenössisch aktiver koch. das war/ist ja zb mit adria oder rouchochon nicht anders, die irgendwann aufgehört haben selbst zu kochen und sich anderen projekten zugewandt haben.

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