Das brauchen wir bei uns auch, und zwar dringend, aber besser!

Dass das Cover dieses spanischen Buches schwarz – rot – goldene Farben zeigt, ist sicher ein Zufall. Dass es ein wunderbares Konzept hat, das wir dringend auch einmal bei uns realisieren müssten, wird ganz schnell klar. Die Besprechung dieses Buches wird sich wegen dieses Konzeptes auch nicht so sehr mit dem Buch befassen wie mit diesem Konzept und der damit verbundenen Anregung. Hier erst einmal der komplette Titel:

 Carlos Diaz Güell: Los 100 Grandes Platos De La Cociona Espanola. Editorial Planeta, Barcelona 2021. 383 S., geb., ca. 52 Euro (in spanischer Sprache)

(Auf deutsch, ungefähr: „Die 100 wichtigsten Gerichte der spanischen Küche“)

Was nicht im Titel vorkommt ist, dass es sich einerseits um die wichtigsten Gerichte Spaniens handelt, die man mit einer Abstimmung bei 60 Spezialisten ermittelt hat. Andererseits sind jeweils das traditionelle Rezept und eine Bearbeitung durch einen Spitzenkoch abgedruckt, ersteres leider bis auf wenige Ausnahmen ohne Bild. Zuerst ein Blick in das Buch.

 

 

Das Buch

Das Buch beginnt nach einigen einführenden Worten mit der Abstimmungsliste. 5 Gerichte haben dabei die Stimmen aller Beteiligten bekommen, darunter das Gazpacho Andaluz, die Paella Valenciana und die Tortilla de patatas. Die Details sollen jetzt hier aber nicht weiter interessieren. Es folgen die 100 besten Gerichte in jeweils der klassischen und einer interpretierten Form (in einigen Fällen gibt es auch mehr als eine Interpretation). Für die Paella valenciana etwa hat Drei Sterne-Koch Quique Dacosta (der ein ganzen Buch über Reis geschrieben hat) ein komplexes Rezept für die alles entscheidende Brühe beigetragen. Für die Torrijas gibt es zum Beispiel ein Rezept mit karamellisierten Torrijas aus der Hand von Andoni Luis Aduriz, für ein Muschelrezept eine Interpretation von Eneko Atxa oder für einen Eintopf eines von Dani Garcia. Ein großer Teil der spanischen Spitzenköche von Albert Adrià über Elena Arzak bis zu Roan Roca sind beteiligt – manche mit Interpretationen die kaum abweichen, manche mit solchen, die der klassischen Version eine avantgardistische gegenüberstellen. Das ist interessant, aber vielleicht eher für Leute, die mit der spanischen Sprache gut zurechtkommen und ein wenig Überblick über die spanische Küche insgesamt besitzen

 

 

Die Anregung

Meine Gedanken beim Lesen des Buches schweiften relativ schnell ab, und ich habe dann größere Teile nur noch unter dem Aspekt der Anregung betrachtet.

Die Ausgangslage in Spanien und Deutschland ist sehr unterschiedlich. Während man in Spanien oft eine direkte Linie von traditionellen Rezepten zu solchen der Avantgarde findet und sich im Prinzip jeder noch so berühmte, noch so kreative Koch vor allem mit den eigenen Traditionen befasst, hat sich bei uns eine zum größten Teil historisch bedingte Zweiteilung zwischen traditioneller Küche und Gourmetküche etabliert. Es gab zwar immer wieder Versuche, diesen Zustand zu ändern, wirklich gute Ergebnisse auf breiter Front und ganz selbstverständlich auch von den besten Köchen stehen aber noch aus. Außerdem wurden Fehler gemacht: die frühe Beschäftigung einiger deutscher Spitzenköche mit den Traditionen („Essen wie Gott in Deutschland“ etc.) hat leider allzu oft zu einer Küche geführt, bei der nur Teilaspekten aus traditionellen Rezepten eine Spitzenküchen-Ästhetik übergestülpt wurde. Wer sich heute umsieht, findet zwar schon eine ganze Reihe von interessanten Auseinandersetzungen, aber bei weitem noch keine Selbstverständlichkeit. Die Schweinshaxe in der Drei Sterne-Küche ist immer noch nicht zu finden, und neben den hier und da zu findenden Interpretationen fehlen vor allem die ganz großen Optimierungen traditioneller Rezepte, die das Potential auch der deutschen Traditionsküche unmißverständlich aufzeigen.

 

 

Und da ist ein solches Buch als Anregung hochwillkommen. Wenn man den Ansatz durchdenkt, kann es nicht nur um die Gegenüberstellung von Traditionsrezepten und irgendwelchen Interpretationen gehen. Es muss um Optimierungen gehen, und zwar in einer Form, die von wichtigen kulinarischen Instanzen und/oder Kennern begleitet wird. Das, was den Charakter eines Rezeptes nicht verändert, aber zu allgemeinverständlichen handwerklichen Optimierungen führt („Oh, das ist aber lecker. So gut habe ich das noch nie gegessen“) sollte auf der einen Seite stehen. Das, was – ebenfalls unter Beibehaltung und/oder bewußter Verwendung des originären Charakters – an Interpretation möglich ist, auf der anderen. Im Moment wird es nur wenige Köche in Deutschland geben, die so etwas sofort abrufen könnten, es müsste also eine gemeinsame Anstrengung geben, die wirklich weiterführen und das Problem mit überzeugenden Angeboten lösen will.

Ein solches Projekt unter Mitwirkung der besten Köche des Landes, nach den diversen kleinen, unzureichenden Ansätzen wirklich einmal konsequent durchgeführt, würde vor allem in der Lage sein, das Bewußtsein für unsere traditionelle Küche zu schärfen. Freunde der Tradition würden hervorragend optimierte Rezepturen bekommen, junge Leute unterhaltsame kreative Interpretationen, Kreativen und – sagen wir: Angehörigen des Kulturbetriebes könnten die leider allzu oft verschlossenen Augen und Geschmackspapillen geöffnet werden.

Das Alles lässt sich aus diesem spanischen Ansatz entnehmen.

 

 

Fazit

Das Buch hat einen prächtigen Ansatz, ist aber ansonsten weder besonders schön gemacht noch besonders gut und konsequent umgesetzt. Da ließe sich Manches verbessern – auch in Richtung einer Performance, die begeistert. Vielleicht müssen es nicht 100 Rezepte sein, ganz sicher aber solche, die präzise erarbeitet und sozusagen gefiltert sind.  Bei entsprechenden Versuchen (die es ja immer wieder gibt) fehlte bisher meist eine konsequente Redaktion, die dafür sorgt, dass nicht irgendwelche Banalitäten abgeliefert werden, sondern sich eine Qualität ergibt, die in jeder Richtung Maßstäbe setzt.

Das Buch bekommt 1 grünes B

 

 

 

3 Gedanken zu „Das brauchen wir bei uns auch, und zwar dringend, aber besser!“

  1. Für wirklich reflektierte Umsetzung empföhle ich Duni z.B. die perfektionierten (und bis ins Detail durchdachten) Königsberger Klopse von Nicholas Cordier im „Adler“ im Glottertal. Er hat hier nichts groß erneuern oder „abwandeln“ müssen bis auf den Reis (der eine der beiden Hauptvarianten der KK begleitet), aber er hat das Rezept eben intensiv reflektiert und das Zusammenspiel der Komponenten wirklich verstanden.
    Und so wird aus einem beliebten Kindheitsgericht ein (auch intellektuelles) Kabinettstück.

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  2. ja, so etwas bräuchten wir dringend! man müsste die richtigen leute mit den richtigen gerichten zusammenbringen. spontan fällt mir da sowas ein wie : tim raue/ königsberger klopse, jan hartwig/ forelle, thorsten michel/schwammerl… vor jahren hat siebeck mal ansatzweise etwas ähnliches in dieser richtung versucht und lud köche ein, deutsche klassiker nachzukochen. leider ist das ganze dann rasch versandet, weil siebeck keine grossartige analyse der eingereichten rezepte abgeben konnte oder wollte und viele köche ihre zubereitungen einfach professionell abgespult aber nicht reflektiert haben.

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  3. Ein ähnlich aufgebautes sehr brauchbares Buch fand ich 2015 im Elsaß: „Recettes Gourmandes d’Alsace – Le Prosper Montagné réinvente le terroir alsacien“ des Club PM d’Alsace bei Éditions belvédère. 52 Rezepte, jeweils mit ihrer Historie, einer modernen Interpretation durch einen lokalen Chef und das klassische traditionelle Rezept, meist von routinierten Hausfrauen aus den 70er/80er Jahren. Das hat viel Freude bereitet, auch zum Nachkochen.

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