Das kulinarische Werk: Thomas Bühner: Gänseleber – Meersalat – Jakobsmuschel

Thomas Bühner vom „La Vie“ in Osnabrück war immer schon eine sichere Quelle für kreative Küche. Im Dortmunder „La Table“ glänzte er mit Gerichten wie z.B. einem „Filet vom kanadischen Bison mit Pfifferlingen und Gemüsefondue in Sauce Foyot“. In Osnabrück wurde das Spektrum breiter und reichte z.B. von der vermutlich besten Makrelenrolle aller Zeiten von sagenhafter Präsenz bis zu risikoreichen Avantgarde-Gerichten wie etwa einer Taube mit einem aus den Karkassen gepressten Saft (für die FAZ-Gourmetvision), die schon eine Brut-Küche vorwegnahm, wie man sie sonst vielleicht bei Magnus Nilsson findet. Im „La Vie“ gibt es neben einem Menü mit Klassikern des Hauses und der Kochkunst, neben einem Mittagsmenü und einem Angebotsmenü für die Wochentage Dienstag bis Donnerstag auch das Menü „Le Grand Chef“, das der Abteilung Innovation und Avantgarde gewidmet ist. Aus dieser Sparte stammt ein ganz neues Gericht mit dem Titel „Gänseleber – Meersalat – Jakobsmuschel“ – wieder ein großer Wurf und von einer Stilistik, die sehr nach Zukunft schmeckt.

Die Elemente
Im Mittelpunkt der Komposition steht ein rundes Stück Gänseleber-Zubereitung von einem ungestopften Exemplar. Sie ist weitgehend klassisch mariniert und im Vakuum bei 42 Grad 40 Minuten gegart. Auf der Gänseleber liegen Scheiben von roh in Soja-Dashisud (natürlich nach eigener Herstellung) marinierten Jakobsmuscheln mit einigen Partikeln von Meersalatpulver. Die begleitenden Elemente (links und rechts von dem „Törtchen“ identisch) sind: ein Jakobsmuschel-Tatar mit Gänseleber-Dashi, Meersalat-Ragout winzigen Partikeln von getrockneten Tomaten, ein Meersalat-Ragout auf der Basis von eingelegten Algen mit u.a. Mizkan, Mirin und Meeresfrüchte-Essig. Dann eine Auberginencreme, eine Haselnusscreme, Stücke von exzellenten Piemontaiser Haselnüssen und geröstete Quinoa. Die Proportionen sind durch die Halbierung der Elemente auf beiden Seiten so präsentiert, dass sich fast selbstverständlich sinnvolle Akkorde ergeben und man die ganze Raffinesse dieser Komposition auch mitbekommt – egal, in welcher Reihenfolge man die Begleitung mit dem Hauptprodukt kombiniert.

Sensorik
Auch die ungestopfte Gänseleber hat natürlich einen Fettanteil, der sie „glatt“ und schmelzend wirken lässt. Die Jakobsmuschelscheiben auf der Gänseleber gehen fast ausschließlich auf diese Textur ein und erhöhen den „glatten“ Eindruck ganz erheblich, verstärken also die texturelle Spezifität. Obwohl sie mariniert sind und ein Hauch von Meeresalge im Spiel ist, spielt die aromatische Komponente hier noch keine große Rolle. Von dieser Basis aus führt Bühner die Akkorde in zwei Richtungen – einmal aromatisch in Richtung der Verstärkung des maritimen Anteils, zum anderen texturell in Richtung einer Durchblendung von den krossen Nüssen und Quinoa zum schmelzend-weichen Foie-gras-Törtchen. Beide Aspekte haben unterstützende Verbindungen zur Foie gras/Jakobsmuschel-Kombination – die maritime/aromatische Abteilung durch Aufnahme der glatten Texturen (Algenblätter, Jakobsmuschelstückchen), die texturelle Abteilung durch Unterstützung per Nusscreme und Auberginencreme. Je nach Dosierung der Kombination Foie gras/Jakobsmuschel ändern sich die Proportionen, ohne dass es zu Auslöschungen oder starken Dominanzen kommt. Die Akkorde sind also bei jedem Bissen leicht anders, so dass man unterschiedliche Schwerpunkte zwischen den Hauptaromen Foie gras – Algen – Nuss bekommt. Besonders elegant wirkt die Ergänzung der Nussstückchen durch die geröstete Quinoa. Bühner hat hier offensichtlich erkannt, dass die Nussstückchen an Finesse gewinnen, wenn man sie mit einem weniger dominanten, krossen Element wie den Quinoa-Stückchen unterlegt.

Geschmack und assoziativer Kontext
Der Geschmack dieser Verbindung wirkt außergewöhnlich gut und innovativ – und das, obwohl bei der Basis mit Foie gras und Jakobsmuschel und Nüssen Elemente verwendet werden, die durchaus regelmäßig im Zusammenhang mit Foie gras zu finden sind. Durch den dezent japanischen Dashi-Mizkan-Mirin-Hintergrund ergibt sich aromatisch nicht nur eine Ergänzung, sondern auch eine klare Umdeutung der „bekannten“ Elemente, die speziell durch eine gewisse Frische gekennzeichnet ist. Foie gras-Freunde werden natürlich ihr Produkt wiederfinden, werden dann aber den Eindruck bekommen, dass diese Interpretation völlig neue Wege erschließt und – wenn man so will – einem der klassischsten Produkte der Spitzenküche zu neuem Glanz verhilft. Die Distanz zu Foie gras und Gelee und Brioche ist beträchtlich, insgesamt steht die Komposition aber wegen ihrer großen Finesse in jedem möglichen Vergleich bestens da. Sie unterscheidet sich auch deutlich von jenen Kompositionen, in denen maritim-jodige Elemente als eine Art Würzvariante zum klassischen Fleur de Sel eingesetzt werden, also z.B. zu Komposition mit Kaviar. Bei Bühner gibt es Mehrdimensionalität, aromatisch durch die verschiedenen Register und texturell durch ein geradezu räumliches Geschmacksbild, das sich vielschichtig hinter den Nuss-Texturen entwickelt.

Ausblick
Die präzise Kleinteiligkeit der Komposition, bei der eine begrenzte Zahl von Elementen eindeutig auf ein Hauptprodukt bezogen ist, ist ein sehr zukunftsträchtiges Konzept für die echten „Großmeister“-Küchen, also Küchen, die durch ihre Besetzung und finanziellen Möglichkeiten in der Lage sind, in jedem Gericht eine ganze Anzahl von Details zu realisieren. Der befreite Griff auf Traditionen wie die Aromen der Welt steht für jenen Zweig der kreativen Spitzenküche, der sich nicht auf allzu konkrete Assoziationen einlässt, sondern weitgehend „rein kulinarisch“ arbeitet. Wenn also asiatische Elemente eine Rolle spielen, geht es nicht primär um Assoziation an asiatische Küche, sondern vor allem um die spezifische Aromen und Texturen als Teil eines Universums von Elementen, die heute der kreativen Küche zur Verfügung stehen.

2 Gedanken zu „Das kulinarische Werk: Thomas Bühner: Gänseleber – Meersalat – Jakobsmuschel“

  1. Noch eine Ergänzung. Die ungestopfte Fettleber ist ein schon seit längerer Zeit existierendes Produkt, das sich genau den natürlichen Ablauf zunutze macht, der sozusagen zur Entdeckung der Fettleber und ihres besonderen Geschmacks geführt hat. Im Prinzip ähnelt das Verfahren dem, was man auch mit Bresse-Geflügel macht, dem in einer Schlußperiode vor der Schlachtung ein Übermaß an Nahrung angeboten wird. Enten und Gänse neigen unter bestimmten Umständen ebenfalls dazu, sich Fettvorräte anzufressen – auch ohne daß man sie stopft. Der Nachteil für den Handel ist, daß auf diese Weise kaum die Nachfrage bedient werden kann. Insofern haben sich natürliche Verfahren bisher nicht in großem Stil durchgesetzt und viele Versuche wurden wieder eingestellt. Ich persönlich habe schon vor vielen Jahren erstmals mit diesem Produkt zu tun gehabt, und zwar bei André Jaeger in der „Fischerzunft“ in Schaffhausen.

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