Marc Haeberlin: L’Auberge de l’Ill. Au fil de l’eau. Éditions de La Martinière, Paris 2024. 254 S., geb., Hardcover, 45 Euro
Ein neues Buch von Marc Haeberlin und der „Auberge de l’Ill“ ist für viele Freunde dieser Küche immer ein Großereignis – vor allem, wenn es sich einmal wieder um ein substantielles Kochbuch in voller Größe und mit 65 Rezepten handelt. Die Geschichte der Publikationen aus dem Hause Haeberlin ist ansonsten schon mal etwas diffus und enthält auch Wiederholungen. Da gab es Übersetzungen vom Deutschen ins Französische und umgekehrt, oder es wurden jahrelang sehr ähnliche Rezepte verbreitet. Manchmal schien auch irgendein Verlag mit einer Idee gekommen zu sein und dann wurde das eben erledigt. Nun also ein Buch, das endlich wieder einmal Substanz hat und vor allem die ja durchaus in vielen Teilen in Bewegung befindliche Küche korrekt wiedergibt.
Das Buch kommt zu einem Zeitpunkt, an dem es für die Familie Haeberlin sehr viel zu tun gibt. Man hat vor wenigen Monaten das Hotel „Clos St. Vincent“ oberhalb von Ribeauvillé gekauft und wird es adäquat umbauen – insgesamt ein Volumen von über 20 Mio Euro. Dazu kommen ja die drei Restaurants in Japan und die Brasserie „Les Harras“ in Straßburg. Das kulinarische Epizentrum bleibt aber die Auberge – die nun auch noch ein hochwertiges Programm für das neue Hotel entwickeln wird (das aber natürlich auch einen Shuttle-Dienst nach Illhäusern haben wird – es ist ja nicht sehr weit von dort aus).
Es kommt auch zu einem Zeitpunkt, an dem die organisatorische Struktur der Küche in sehr guten Händen liegt. Marc Haeberlin findet die die Neu-Organisation bei Bocuse, wo nun zwei MOFs in der Küche und einer im Saal für das Restaurant verantwortlich sind, vorbildlich. Mit MOF (Meilleur Ouvrier de France) Jean-Paul Bostoen in der Küche (sagen wir: eine Autoritätsperson), Pascal Hainigue (ex-Bristol, Eric Frechon) im ausgeweiteten Patisserie-Angebot und natürlich dem immer noch wirksamen Sommelier-Übervater Serge Dubs bei den Weinen ist alles gut aufgestellt. Geblieben ist – auch in diesem Buch – das ungebrochen gute Verhältnis zu den großen Klassikern des Hauses, die nach wie vor eine große Rolle spielen und sogar gerade noch einen „emanzipatorischen“ Swing mitbekommen haben. Während man die Klassiker lange Jahre auf der Karte als „Gerichte, die das Renommée der Auberge ausgemacht haben“ fast wie etwas entschuldigend und nicht zum eigentlichen Programm gehörend dargestellt hat, sind sie jetzt ganz normal in die Karte integriert. Der Saumon soufflé steht also ganz normal beim Fisch.
Das Buch
Es fällt sofort auf, dass man hier mit der Photographie von Laurent Dupont und dem Styling von Garlone Bardel und dem ganzen Aufbau des Buches eine Ästhetik der „Auberge de l’Ill“ präsentiert, die zeitgenössisch ist und sich deutlich von der Storchen-Guglhupf-Ästhetik antfernt. Das Buch ist kunstvoll gemacht, vielleicht etwas dunkel in den Tönen, aber vor allem bei der Präsentation der Gerichte auffällig puristisch und ohne irgendwelche dekorativen Beilagen. Das klassische „Rebhuhn Romanov“ wirkt eben auch in einer zurückgenommen-tonigen Fotografie gut, und vielleicht sogar so modern, dass es eben wie eine ganz besondere Kreation dasteht, die „modernen“ Gerichten in keiner Weise unterlegen ist. Die atmosphärischen Bilder aus Küche und Umgebung ziehen sich durch das ganze Buch und die Inszenierung der Teller wirkt in diesem Zusammenhang außergewöhnlich produktnah und konzentriert. Und so kann man dann zu dem Schluß kommen, dass es sich bei den Rezepten nicht um eher ältere und eher neuere handelt, sondern um unterschiedliche Ausprägungen bestimmter kulinarischer Gestaltungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten (siehe dazu demnächst auch meine schon einmal erwähnte Kontinuum-Theorie der Kochkunst). Diese Art der Darstellung ist also sehr modern und zeitgenössisch und vermittelt die Realitäten ganz besonders präzise.
Im Detail ist die Gliederung klassisch. Es gibt die „Entrées“, Suppen, Garnituren und Gemüse (Marc Haeberlin benutzt den klassischen Begriff „Garnitur“ regelmäßig), Fische, Fleisch Wild und Dessert. Zwischen den Rezepten gibt es immer wieder atmosphärische dichte Bilder aus dem Restaurant und aus der Umgebung, die erkennbar das Ziel haben, eine Art revidierte Gesamtästhetik der Auberge darzustellen – mit großem Erfolg, weil es hier im Gegensatz zu manchen anderen Büchern ja nicht an Substanz mangelt. Wie auf der Speisekarte gibt es bei den Rezepten einen Mix aus Klassikern des Hauses und neueren Rezepten. Dazu kommen dann auch noch Brasserie-Rezepte aus Straßburg, so dass beim Output nicht zwischen Spitzenküche und Brasserie getrennt wird Der Pâté de Campagne folgt dann eben direkt ein elsässer Zwiebelkuchen und Hummer mit grüner Mango. Oder: dem exzellenten Frühjahrsgericht „Feuilleté d’asperges et morilles fraîches au vin jaune“ folgt ein frittierter Karpfen nach Art von Illhäusern mit einer japanischen Mayonnaise. Und – es gibt sogar Rezepte wie die in Heu gegarten La Ratte-Kartoffeln – wie eine Demonstration des schnörkellosen freigelegten Geschmacks schlechthin.
Zu den Besonderheiten zählen sicherlich Rezepte wie die im ganzen im eigenen Fett gegarte Kalbsniere mit Madeira-Sauce und Timmut-Pfeffer oder der mit Trüffel gefüllte Schweinsfuss, bei dem die mit Schweinenetz gefasste Füllung zu klaren Röstnoten gebraten wird, das Wiener Schnitzel nach Art der Grand Mère Haeberlin (mit gerasterter Kruste, also nicht heillos souffliert…) oder die Tourte de Bécasse, bei der – das würde bei uns angesichts des oft genussfeindlichen Publikums kaum durchgehen – die Tourte von einem Schnepfenkopf gekrönt wird. Natürlich fehlt auch das Ragout von Hummer und Kalbskopf mit Graupen nicht, dass Marc Haeberlin einmal seinem Vater vorgeschlagen hatte, das dann von ihm abgelehnt wurde, aber wegen der Popularität des Gerichtes wenig später trotzdem auf der Karte landete.
Insgesamt beeindruckt die selbstverständliche Zusammenführung von Gerichten, die aus der Familie Haeberlin kommen – von verschiedenen Generationen erfunden, von den Nachfolgern bearbeitet und hier zusammengestellt wie das Werk der Familie Haeberlin. Das muss man natürlich erst einmal zusammenbekommen. Die Rezepte so selbstverständlich gemeinsam darzustellen, ist dann aber nicht nur eine Frage des Respektes, sondern eine eines ausgereiften, guten kulinarischen Bewußtseins. Man hat Dinge, die Bestand haben und man fügt dieser Liste behutsam das hinzu, was man dazunehmen kann. Es gibt sie eben, die elaborierten Qualitäten, die sich über Jahrzehnte bewährt haben und sie liefern uns die Hinweise darauf, welche Qualität Rezepte auf diesem Niveau heute haben sollten.
Deshalb ist dieses schöne neue Buch auch nicht nur eine Empfehlung für die Freunde dieser Küche, sondern auch für die zunehmende Zahl von Köchen, die beginnt, die Kochkunst in einem ausgeweiteten Licht zu sehen.
Fotos: Laurent Dupont
Lange habe ich mich auf das Erscheinen des neuen und, wie Sie sagen, seit langer Zeit auf sich wartenden, der Auberge gewidmeten Buchs von M. Haeberlin gefreut, bin jedoch eher negativ überrascht.
Man hat sich hier m.E. zugunsten einer vermeintlich zeitgemäßen, eher dunkel gehaltenen Fotografie entschieden, die einen belanglosen und austauschbaren Eindruck hinterlassen. Zur Belanglosigkeit trägt auch der Umstand bei, dass man hier nicht (konsequent) versucht, die Atmosphäre der jeweiligen Restaurants einzufangen, wie dies bspw. durch die Verwendung der entsprechenden Teller und Bestecke geschehen kann. Zusätzlich wurde bei manchen Gerichten die „originale“ Beilage (erkennbar bspw. am Rebhuhn Romanov mit Pommes Maxims bzw. Pommes Anna) gegen einfachere Beilagen oder Garnituren getauscht hat.
Zu guter Letzt ist das verwendete Papier sehr grob und unterstreicht – gemeinsam mit dem beißenden Geruch der Druckfarbe – leider einen qualitativ fragwürdigen Druck. Wirklich schade angesichts der fabelhaften Gerichte, die man in der Auberge genießen kann und der beeindruckenden Geschichte des Hauses!