Alain Ducasse mit Emmanuel Pilon, Jean-Philippe Blondet, Amaury Bouhours: ADN Volume I. Ducasse Edition, Levallois Perret, 2024. 536 S., Karton-Hardcover, 69 Euro (in französischer Sprache)
Emmanuel Pilon kocht in Monaco, Amaury Bouhours in Paris, Jean-Philippe Blondet in London
Alain Ducasse hat vermutlich ebenfalls bemerkt, dass er in den letzten Jahren mit seinen Büchern allerlei partikuläre Interessen bedient hat, dabei aber seine Rolle als Meister aller Klassen nicht wirklich ausgefüllt hat. Ich habe mich noch vor gar nicht langer Zeit mit einigen seiner Kollegen unterhalten, die dann auch einhellig der Meinung waren, dass er vielleicht eher geschäftliche Interessen habe und der Druck zu kreativen Spitzenleistungen einfach nicht mehr da ist. Dazu passt ja dann auch, dass seine Restaurants nicht mehr alle sofort drei Michelin-Sterne bekommen, sondern – siehe das „Meurice“ in Paris – hartnäckig bei zwei hängen bleiben – salopp formuliert. Nun also ein großes Buch von beträchtlichem Umfang und Gewicht, in dem er die Arbeit in seinen drei europäischen Flaggschiffen zusammenfasst, sein „Stammhaus“ „Louis XV“ in Monaco, das „Meurice“ in Paris und das „Alain Ducasse at the Dorchester“ in London (wobei zu sagen ist, dass das „Meurice“ ebenfalls zur „Dorchester-Collection“ gehört).
Ganz allgemein muss man daran erinnern, dass Ducasse seit 1983 nicht mehr selber kocht, sondern ein System von Ideengebung, Realisierung, Diskussion und Kontrolle mit Hilfe von Mitarbeitern aufgebaut hat, die er in seinem Imperium systematisch aufbaut. Darüber hinaus stellt sich aber die Frage, ob Ducasse hier zwar seine besten europäischen Aktivitäten zusammenfasst, aber betrachtet werden muss, in welchem Verhältnis diese Arbeit zu den Zeiten steht, in denen er unangefochten als Nachfolger von Joel Robuchon als bester Koch der Welt galt und für viele Köche zu einer dominanten Bezugsgröße wurde.
Das Buch
Es mag an dem eher dunklen Papier und einer groben Körnung und an den Farben liegen: der erste Eindruck hat eine gewisse Bio-Anmutung und den einer Arbeit, die nicht mehr ganz so präzise ist, wie man das von früheren Büchern her gewohnt ist. Irgendwie scheint es auf das ein oder andere Detail nicht mehr ganz so anzukommen, oder man will mit dem Foodstyling den Eindruck erwecken, als ob man sich von einer allzu artistischen Kochkunst verabschieden möchte. Demgegenüber hatte man früher bei Ducasse den Eindruck, als ob die Orientierung vor allem die Kochkunst als solche im Blick hat und weniger den Aspekt, wie sie nach außen wirkt.
Es geht also ziemlich grünlich zu. Dass das erste Rezept aus Monaco vor lauter Blättern und Blüten selbst die Karotten bei den „Carottes de nos paysans, fleur de sureau, chevre fumé, abricot“ kaum erkennen lässt, zeigt die Richtung an. Selbst die Austern bekommen viel Grünes und es dauert eine ganze Weile, bis einmal Fisch oder Fleisch dominant in einem Rezept auftauchen. Dafür wundert man sich gerade beim Fleisch manchmal etwas, ob hier vielleicht ebenfalls der Artistik eine Absage erteilt wird und ein „natürlicheres“ Bild gepflegt wird – also mit Garzeiten, die sicher nicht falsch sind, bei denen man als professioneller Betrachter aber einen kleinen Moment innehält. Zum Beispiel bei Krusten, bei denen man überlegt, ob die Proportionen zwischen Krusten und Fleisch vielleicht etwas ungünstig sind und ob ganz allgemein der Zugriff auf Fleisch etwas zuungunsten eines klaren Produktaromas geht. Außerdem vermisst man Süffiges, das gerade bei Ducasse früher einmal eine große Rolle gespielt hat. Sein üppiger Umgang mit Trüffel und Crème und Pasta in einer völlig neuen Art scheint fast vergessen. Und ob die Unmenge an vegetabilen Elementen da wirklich Ersatz für Fette bieten, ist zweifelhaft. Die Küche ist also verändert, und das ist unübersehbar.
Im Detail gibt es natürlich wieder eine große Anzahl an komplexen Zubereitungen. Beim Milchkalb „fermier“, in der Cocotte gegart mit Karamell von Karotte, Kapernblättern und – früchten und Anchovis“ fällt mir auf, wie so etwas bei Jan Hartwig aussähe und dass ich mich bei Hartwig sicher sehr darauf freuen würde. Hier sieht es fast aus wie ein bürgerliches Hauptgericht, bei dem man natürlich unterstellen wird, dass alles handwerklich seine Ordnung hat, andererseits aber die Entscheidung des Koches hinsichtlich wichtiger Akkorde nicht sichtbar wird, sondern vage bleibt. Bei Hartwig bekäme man eine Entscheidung über den Akkord und die sensorische Struktur, hier „kann man sehen, wo man bleibt“ – um das einmal so zu formulieren. Natürlich – auch das kann man sehen – bilden die bunten Gemüseteller einen interessanten Kontrast zum alten Dekor-Pomp des Restaurants in Monaco – wie ja auch in Paris im „Meurice“.
Auch dort geht es ähnlich zu, wobei Ducasse dann etwas in die nördlicheren Bereiche wechselt – etwa bei der Taube aus Pornic in der Bretagne, Tomate, Senf und Kräuter aus Le Croisic – ein abermals etwas rustikaler angegangenes Rezept mit viel Kruste und Senfkörnern und rohen Kräutern. Den „Bar de ligne confit, aubergine, moutarde, cereales“ sieht man mit etwas irritiertem Auge. Der Fisch allein sieht aus wie hervorragend zubereitet und schmeckend. Hätte Ducasse früher alles daran gesetzt, dass er auch adäquat begleitet wird, also nicht alle möglichen Elemente ihn überlagern können? Der Verdacht wird immer deutlicher, dass die sensorische Struktur der Gerichte nicht mehr internationalen Standards entspricht, dass sie ganz einfach zu wenig reflektiert ist.
Man wird auch im Dorchester die Langustine unter lauter Grünzeug und Körnern kaum finden, und es wird schwierig sein, einem solchen Konzept einen Kochkunst-Fortschritt zuzugestehen. Das müsste man dann schon besser machen, sensibler und weniger „auf Effekt“, also – grob gesprochen – mit weniger Bio- und Öko-Keule. Und wenn es dann beim Rinderfilet mit verbranntem Lauch, Kresse und Mark irgendwie so wirkt, als ob hier mittelprächtige zeitgenössische Jungköche der Orientierungspunkt wären, zweifelt man doch so langsam am Stand der Dinge. Macht Ducasse nicht mehr, was er am besten findet, sondern das, wovon er meint, dass es gerade am besten ankommt? Vieles hier ist einfach zu demonstrativ und zu wenig originell und überzeugend im zurückgenommenen (oder ausgearbeiteten), überzeugten Detail.
Man wird (und das gilt selbstverständlich auch für mich) solche Bücher von Ducasse wieder ganz genau in allen Details studieren (was – wie angedeutet – in den letzten Jahren teilweise nicht so dringend erschien). Wenn überhaupt, dann stößt Ducasse hier eher etwas an, als dass er Lösungen präsentiert – zumindest bei einer beträchtlichen Anzahl der Rezepte. Und dass es irgendwo heißt, man liebe es, wie Ducasse einfache Produkte in einem Drei Sterne-Restaurant einzusetzen, ist wieder nur Politik, in diesem Zustand aber bei weitem noch keine Lösung. Ein neuer Minimalismus, der sich wirklich auf einfache Produkte konzentriert, müsste da schon ganz anders aussehen.
Credits Bilder: Matteo Carassale (Monaco), Maki Manoukian (Paris), Foodstorymedia (London)
Ich kenne sowohl das Louis XV als auch das Meurice als Gast und habe auch AD im Essex-House, Spoon, Plaza-Athenée etc gekannt. Nach der Pensionierung von Franck Cerutti in Monaco hat das Louis XV leider an Profil verloren. In den späten 80er und 90er Jahren setzte das Restaurant Maßstäbe mit seiner zeitgemäßen italienisch-provenzalischen Küche, die sogar – damals noch sehr ungewöhnlich – ein Gemüsemenü einschloss. Die Produktqualität war dabei stets herausragend.
Heute steht auf der Karte: „Wir beanspruchen die Freiheit, neue Geschmäcker des Mittelmeers zu erfinden.“ Ein schöner Satz, aber mir gefiel die frühere Interpretation der vertrauten mediterranen Aromen deutlich besser.
Was das Meurice angeht, vermisse ich dort sowohl einen eigenen Stil als auch einzigartige Gerichte. Vieles kommt einem bekannt vor, auch aus anderen französischen Restaurants mit ähnlichen Kompositionen. Die Ausnahmen von dieser Regel sind nicht immer geglückt – bei mir zum Beispiel die etwas merkwürdige Kombination von Hering und Jakobsmuschel.
Natürlich ist das Kritik auf hohem Niveau. Aber man muss sich vor Augen halten: Es gab eine Zeit, in der Ducasse-Bücher Pflichtlektüre waren, seine Gerichte Köche der westlichen Hemisphäre inspirierten und in seiner Küche Größen wie Cerutti, Piège, Moret und Elena arbeiteten. Seine Küchenbrigaden galten als die besten Frankreichs. Ich bezweifle, dass heute jemand ähnlich über das aktuelle Team denken würde.
Es ist, da stimme ich zu, nicht nur (zu einem Teil auch) die Schuld der Photographen, die die Hell-Dunkel-Kontraste modisch überrissen haben und dann auch noch die Farbe zu sehr nachgearbeitet. Das ist affig und wird der Perspektive weder des Essers noch des Kochs gerecht.
Mit die beste deutsche Restaurantphotographie (der Superlativ ist genau so gemeint) kam übrigens aus Freiburg, vom Koch der leider nicht lange existierenden „Gramercy“, welche in mancher Hinsicht die Nachfolge der alten Kreuzblume angetreten hatte. Beide natürlich nicht auf dem Schirm der beiden profund verschlafenen Restaurantführer.
Aber die wesentliche Kritik Dollases ist eine andere, und die ist anhand der obigen Photos sehr überzeugend vorgebracht. Ausgekipptes Potpourri (eh bien, pas encore pourri…), aber ein Mangel an Klarheit und sichtbar werdender Überlegung.
Gewiss, man darf ja durchaus spielen und sich etwas komplexer mit Querverbindungen und Subkontrasten austoben (auch wenn das, wie man immer wieder feststellt, viele Esser und Leser auf ihren Seiten überfordert). Aber hier? Es wirkt auf mich…. beliebig. Multa, non multum.