Der Guide Michelin 2019 findet keine Balance

Guide MichelinDie neue Ausgabe des Guide Michelin für Frankreich ist die erste unter dem neuen Chef, dem 38-jährigen Gwendal Poullennec. Er ist Zögling einer renommierten Business-Schule und war schon für die Ausweitung der Michelin-Aktivitäten in den USA und in Asien verantwortlich. Man sollte das erwähnen, weil man mit den neuen Bewertungen für Frankreich verstärkt den Eindruck gewinnen kann, der Führer sei ein vor allem absatzorientiertes Business-Modell und keine kulinarische Instanz. Mit der Abwertung von drei wichtigen Drei-Sterne-Köchen und der gleichzeitig massenhaften Verteilung von neuen Auszeichnungen (68) im 1-Sterne-Bereich wird der Guide vor allem in Frankreich wieder zum Tagesgespräch werden. Wenn das das Ziel war, ist es gelungen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob man bei dieser PR-Aktion nicht die Qualität der Bewertungen aus dem Auge verloren hat.

Es fehlt an Übersicht und Verständnis
Lange Jahre konnte man speziell aus der Sicht der Avantgarde an den Aktionen von Michelin verzweifeln. Es entstand der Eindruck, dass die Altmeister und Säulen des Systems Michelin unantastbar waren. Die Leistungen im Hauptrestaurant von Paul Bocuse hätte man längst relativieren müssen, hat dies aber nie getan und tut es auch in diesem Jahr nicht. Gleichzeitig tat man sich mit neuen, kreativen Köchen eher schwer. Alexandre Gauthier vom „La Grenouillère“ bekam seinen zweiten Stern erst, als er eigentlich auch schon einen dritten hätte bekommen können. Während man in Asien zügig und häufig höchste Wertungen verteilte (was sicherlich geschäftlich für die Verbreitung des Führers von Vorteil ist), tut man sich an anderen Stellen (Skandinavien, Spanien, Südamerika) sehr viel schwerer.

Nun scheint sich der gleiche unreflektierte Aktionismus auch in die andere Richtung zu bewegen. Dabei scheint eine wichtige Erkenntnis zu fehlen, nämlich die, dass es mittlerweile völlig unterschiedliche, aber gleichermaßen hervorragende Küchenstile gibt. Nur wenn man über ein System verfügt, in dem klassische Küche vom Prinzip her die gleichen Bewertungen wie kreative Küche oder asiatische oder südamerikanische Küche bekommen kann, ist man auf dem richtigen Weg.

Die Abwertung von Marc Haeberlin und seiner „Auberge de l’Ill“ ist skandalös
Wenn ein Führer wie der Guide Michelin – wofür bei der Analyse vieles spricht – im Moment eher die Nähe zu aktuellen Trends als zu kulinarischen Qualitäten sucht, sollte er darauf achten, dass er den Überblick nicht verliert. Man kann nicht völlig gegensätzlich arbeitende Küchenstile miteinander vergleichen und den einen mit den Kriterien des anderen beurteilen. Bei großartigen klassischen Kompositionen macht es z.B. keinen Sinn, mehr Leichtigkeit, weniger Fette oder mehr rohe Elementen zu verlangen. Genau so macht es keinen Sinn, bei einer Küche mit vielen rohen Elementen, wenig Fetten und viel Säure nach klassischen Saucenqualitäten zu forschen. Marc Haeberlin präsentiert in der „Auberge de l’Ill“ eine ganze Reihe legendärer Klassiker in einem hervorragenden, durchaus an die Bedürfnisse heutiger Gaumen angepassten Stil. Das Restaurant präsentiert ein makelloses Handwerk und hat speziell in seinen klassischen Momenten eine großartige Qualität und eine unverzichtbare Position in der internationalen Gourmandise. So etwas wertet man nicht so einfach ab – schon gar nicht nach über 50 Jahren mit drei Sternen. Es gibt keine kulinarisch wirklich seriöse, umfassende Denkweise, die zu einer solchen Entscheidung führen kann.

Bei der Abwertung von Marc Veyrat mit seiner manchmal durchaus sperrigen Qualität und dem Minimalismus von Pascal Barbot sieht es im Prinzip nicht viel anders aus. Auch hier geht es um spezielle Stärken, um eine Bereicherung der Szene mit individuellen Ansätzen auf der Basis eines seriösen Handwerkes und auf der Basis genuin kulinarischer, aber eben individueller Qualitäten. Veyrat hat übrigens erst im letzten Jahr seinen dritten Stern wiederbekommen…

Gegen die Beförderungen von Mauro Colagreco vom „Mirazur“ oder die von Laurent Petit vom „Le Clos de Sens“ ist nichts einzuwenden. Colagreco hat ja schon bei seinem Auftritt bei der „CHEF-SACHE“ in Köln im Jahre 2014 alle Gäste begeistern können. Ein sehr guter Schritt ist übrigens auch die Beförderung von Hugo Roellinger vom „Le Coquillage“ in der Nähe von Cancale, dem Sohn der bretonischen Kochlegende Olivier Roellinger, zu 2 Sternen. Ich war vor einigen Monaten noch dort und von seiner individuellen Küche sehr angetan.

Hat man bei Michelin kein System, das trägt?
Der Guide Michelin erweckt immer den Eindruck, als ob die Entscheidungen bei ihm mit sehr viel mehr Genauigkeit entstehen als bei anderen Führern. Da ist dann gerne von Schulungen die Rede, von Anonymität, den beruflichen Voraussetzungen der Tester und den minutiösen Abläufen der Restaurantbesuche. So wichtig das ja alles sein mag: ausschlaggebend ist, ob das System in der Lage ist, den Leistungen in den Restaurants gerecht zu werden. Und da ist und bleibt es eine Schwäche, dass man unterschiedliche Küchen nicht unter den Hut einer stimmigen Bewertung bringt.

Ich habe hier auf www.eat-drink-think.de vor einigen Wochen einen Vorschlag gemacht, wie man genau dieses Problem lösen könnte. Mein Bonus-Malus System nimmt als Basis die Bewertung der handwerklichen Grundlagen im weiteren Sinne, also von der Produktqualität bis zur sensorischen Struktur. Die so gewonnen Punkte werden sodann durch Zusatzpunkte für weitere Qualitäten ergänzt, also etwa für klassische Küche, Regionalküche, kreative Küche oder asiatische Küche. Auf diese Weise können hervorragende Küchenleistungen in ganz unterschiedlichen Sparten bewertet werden. Die zweite Folge des Textes über das Bonus-Malus-Bewertungssystems erscheint übrigens in wenigen Tagen. Die dritte wird dann konkrete Beispiel durchspielen. Marc Haeberlin würde wegen seiner besonderen Qualitäten eine sehr hohe Bewertung bekommen – genau so wie etwa Björn Frantzén oder Joan Roca oder Mauro Colagreco mit ihren völlig andersartigen Küchen.

4 Gedanken zu „Der Guide Michelin 2019 findet keine Balance“

  1. Auberge d`ll is a wonderful place, but has unfortunately come to standstill.

    Been there 5 times over the last years and have, sad to say, noticed the decline.
    They have had the 3 stars for 50 years, an accomplishment out of this World, but like P.Bocuse
    the sun is setting.

    Maybe they will get renewed energy and try to retake the 3rd one.

    One can only wish them good luck.

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  2. Der Michelin macht kein halt mehr vor sterne ikonen,finde ich gut,marc haeberlin spricht ja selbst von einigen Unregelmäßigkeiten und kleineren Problemen,es wird ja dort eine sehr gute Küche geboten aber auch keine so überragende,in einigen Gerichten waren schon einige Probleme festzustellen,selbstverständlich hat der Michelin hier richtig gehandelt und natürlich ist das seriös und nachvollziehbar was der Michelin testet.

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  3. Ich war im Juni dort zu Gast und komme zu einem gänzlich anderen Urteil. Die Gerichte waren alle perfekt zubereitet und sicher drei Sterne wert. Auch der Service und das Ambiente trugen ihren Teil dazu bei.
    Allerdings geht die Küche, die dort geboten wird,von der traditionellen Elsässischen Küche aus und ist somit vielleicht nicht dass, was von einigen Gästen erwartet wird.
    Was mich intereesiert, ist ob Häberlin bei seiner seit langem bewährten und von vielen Kunden seit Jahrzehnten geliebten Küche bleibt, oder ob er unbedingt den dritten Stern zurück möchte und alle „Fehler“ beseitigt, die GM ihm angestrichen hat, damit er wieder „geliebt“ wird. Ich hoffe auf ersteres.

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  4. Ich war vor vier Monaten in der „Auberge“ essen. Das Essen dort hatte nichts, aber auch gar nichts mit drei Sternen zu tun. Ich würde sogar soweit gehen, dass das Restaurant mit zwei Sternen nicht schlecht bedient ist.

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