Der Koch und ich – Kapitel 2 Non vitae sed scholae discimus

1954 erster Schultag von Frank Krajewski
Non vitae sed scholae discimus
Ja, ich weiß, dass diese Sentenz eigentlich anders herum gehört. Die Schule war damals Nebensache. So ein Dorfleben hat bessere Attraktionen, als Schrift und Zahl. Hausaufgaben? Immer erst am Abend nach den Abenteuern. Oft kam ich mittags gar nicht nach Hause, immer ab durch die Mitte. Es setzte dann fast immer eine Tracht, meistens Prügel. Egal, der Tag war sinnvoll verbracht und Oma traf mit dem Teppichklopfer nie so richtig. Kopfschütteln und Dresche gab es auch, wenn die etwas ältere M. aus der selben Klasse die Doktorspiele brühwarm verpfiffen hatte. Aber was hieß schon selbe Klasse? Es gab ja nur eine, mit Bohnerwachsboden und Kreidestaub und einem Lehrer, der auch im Sitzen immer in seiner Hosentasche rumfummelte. Die älteren Schüler sagten Hodentasche und ich verstand nicht was die meinten, denn ich hatte noch nichts wirklich fühlbares in dieser Gegend. Der Lehrer verschwand irgendwann, die Älteren meinten, dass er nicht nur in seiner eigenen Tasche gewerkelt hatte. Hä?  Naja, auch die alte Petze M. merkte, dass ich in diesem Körperbereich noch nicht zu den Wissenden gehörte. Ich wollte auch nicht mehr mitspielen, und M. wandte sich Erich zu, der nun zu Hause die Prügel bezog, denn M. litt an sexuellem Mitteilungswahn, wie ich heute annehme. Damals nahm ich allerdings überhaupt nichts an, außer ein paar lumpige Groschen, die ich durch Rüben verziehen verdiente. Ich hoffe die Rüben haben mir längst verziehen.

Meine Eltern hatten im Eifeldorf Trimport einen Bauernhof gepachtet. Wir hielten etwa 800 Hennen, drei Säue und 39 Kaninchen, die sich in den freien Schweineboxen relativ ungehemmt vermehrten. Daher auch diese gewaltige Zahl. Es gab ständig geschmortes Kaninchen und ich musste die Viecher immer abziehen, also vom Fell befreien. Die Felle wurden im Misthaufen vergraben, aber der oder die Füchse buddelten sie wieder aus und ich fand die zerfetzten Pelze dann irgendwo auf der riesigen Wiese. Ehrlich, es gab von Sonntag bis Mittwoch Kaninchenteile zu Mittag und ich  mochte damals einfach kein Karnickelfleisch mehr essen und war froh, wenn Großmutter ihren berühmten Eintopf servierte. Wirklich unvergessen ist Omas Genialität bei diesen Eintopfgerichten. Ich erinnere mich an die Einbrenne oder Mehlschwitze, die dem Querdurchdengarteneintopf den geschmacklichen Pfiff gab. Geschmacklich noch durch Hühnerfleisch ergänzt, denn Hühner und vor allem Hähne gab es auf einer Hühnerfarm natürlich reichlich. Selbstredend hatten wir auch einige Hofkatzen, die sich um die abgeschlagenen Hühnerköpfe stritten. Ich brauchte nur mit dem Beil auf den Hauklotz hauen und schon kamen alle Miezen angerannt. Pawlow oder?  Auch Geburtshilfe bei den Schweinen war für mich selbstverständlich, daher studierte ich später zunächst Landwirtschaft, aber bei diesem Studium ging es nicht um Stall ausmisten, sondern um Chemie, Kationen und Anionen. Die letzten zwei Jahre der Volksschule verbrachte ich in dieser kleinen Ansiedlung zwischen Trier und Bitburg gelegen, näher an Bewerisch, wie es im eifeler Platt hieß. Ich dachte als späterer Lateinschüler immer, dass der Dorfname sich wahrscheinlich auf die Anzahl der Ortseingänge zurückführen ließe also drei Tore, tres portas, aber erfuhr später, dass Cäsar vermutlich dort einen Teil seines Gallischen Krieges geschrieben haben muss, wenn er meinte, das Gallien im Ganzen in drei Teile geteilt wäre, also partes tres, das dann irgend wie über Trimparden zu Trimport wurde. Es existiert über die Namensgeschichte ein schöner Bericht in der Chronik des Dorfes. Das übliche Essen ist schnell beschrieben. Grundsätzlich deftig.Vorspeise: Geräucherter Speck, heftig gesalzen, Hauptgang: Fleeschwoosch mit Krummpann und selbstgebackenen Brot und als Dessert: Bier aus der bekannten Brauerei, in der ich später in den großen Ferien als Schüler arbeitete und jeden Tag vier Flaschen Haustrunk nach Hause schleppte, die ich aber nie ganz schaffte. Fast jeder Bauer brannte seinen eigenen Schnaps, meistens aus Zwetschgenmaische. In der Brennerei vom Nachbarn duftete es sehr aromatisch und allein der Dunst erzeugte alkoholisch bedingte Körperschwankungen. Und der Brenner meinte, dass ich ruhig kosten solle, eins würde soviel kosten wie fünf  Pinnchen. Aber in meinem zarten Alter traute ich mich nicht. Ja, wirklich nicht. Heute ist aus dem  Geist, der damals als  Mittel bei der Eberkastration desinfizierend verschüttet wurde, längst edlen Bränden aus Eifelobst gewichen, der Apfelviez ist kultiviert. Trampatt hat viele freundliche Erinnerung hinterlassen, eine ist durch den ersten Kuss geprägt, der im halbdunklen Keller zu einem leichten Schwindelanfall führte. Ehrlich B., nicht geschwindelt.

Frank-Krajewsk
Foto © Claus Kuhlen

Freuen Sie sich nächsten Sonntag auf ein weiteres, neues Kapitel aus dem spannenden kulinarischem Leben von Frank Krajewski.

2 Gedanken zu „Der Koch und ich – Kapitel 2 Non vitae sed scholae discimus“

    • Oh, Danke sehr! Gute Idee, vielleicht alle Storys in einem Buch zusammen zu fassen. Das würde dann aber doch umfangreicher, denn es gibt noch soviel, das erzählenswert ist. Mal sehen was wird. Zu kaufen gibt es ja den Roman AHRTRÜFFEL von Marion Demm-Zech und mir. Der geht über die Gegenwart hinaus, ein echter Gegenwert..

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