Der Koch und ich – Kapitel 5 Relais du Cap Fréhel mit Autocorso

Relais du Cap Fréhel mit Autocorso
Am nächsten Tag sprang unser hellgrüner Renault 12 nicht an. Zweieinhalb Tage Licht anlassen war zuviel. Warnsignale waren damals unbekannt. Der Renault war unser zweites Auto, das erste war ein DAF 33, die berühmte Vollautomatik, die vorwärts wie rückwärts gleich schnell fahren konnte. Der Fischlieferant der Bar Tonquedec fuhr kurzerhand mit seiner Wellblechkarre hinter unseren Wagen und schob ihn an. Ich legte den zweiten Gang ein und nach ein paar Metern summten die vierundfünfzig PS wieder ruckelfrei. Wir ließen den Motor einfach laufen und begossen den Erfolg mit Pastis, der Fischhändler mehr als ich, man nahm es damals nicht so genau mit den Promillen und dem Umweltschutz. Nun ja, wenn ich über fahrbare Untersätze schreibe fragen sich geneigte Lesende sicher, was Autos mit Kulinarik zu tun haben. Ja eigentlich nicht viel, aber ich betrachte Autos als Lebensmittel, ähnlich einzuordnen wie Shampos, Zahncremes, Stereoanlagen und Joggingstöcke. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Ich unterscheide aber auch Nahrungsmittel von Genussmittel, allerdings ist diese Differenzierung wesentlich unschärfer, denn nicht alles, was ich als Nahrung zu mir nehme, ist automatisch auch mit Genuss verbunden. Spätestens jetzt heben einige Zwölfender der Gastroszene warnend den Zeige- vielleicht einige auch den Mittelfinger und attestieren mir Banausentum. Jürgen Dollase greift vielleicht sofort zur Feder und schreibt ein Essay über einfaches Essen, das aber immer mit Genuss verbunden sein muss. Ralf Bos wirft altersgemäß symbolisch mit 60 geschmacksarmen Tuber indicum nach mir, und der Bannstrahl von Nik Wojtko lähmt meine Tippfinger. Sowas geht gar nicht. Sollte es auch nicht, ist manchmal unvermeidlich. Der letzte Döner war auch der Letzte für mich. Nicht dass er nicht  einigermaßen geschmeckt hätte, aber die umhüllende Serviette wies nach dem letzten Rotkohlstück deutliche Bissspuren auf, und die fehlenden Teile waren nirgendwo zu finden. Ich weiß aber, wo sie geblieben sind. Gulp! Wie komme ich jetzt zum Auto als Lebensmittel zurück? Ganz einfach, wenn ich in die Autochronik der Familie blicke werden die Augen feucht. Da gab es den Mercedes-Benz 170 Diesel, der fast nie ansprang. Es folgte Lloyd Arabella, Glas S-1004, Ford Taunus 17 M, Auto Union DKW 1000, Ro 80, NSU Prinz, Fiat 850 Coupé und die moderneren Citroen CX, Ente, Toyota Previa und Ford Granada 2,8 i,. Nur eine kleine Auswahl der Karrenbauer, aber die älteren Modelle sind heute gefragte Oldtimer. Genuss für die Augen. Warum haben wir sie nicht eingelagert? Schnüff! Der fiktive Erlös zur heutigen Zeit böte genussvolle Perspektiven in allen Genusstempeln. Sofern diese jemals wieder den Betrieb aufnähmen. Damals war man froh, wenn die Mühlen jemand in Zahlung nahm. Die Autos heute: CW-Wert orientierte Designsünden. Und, wer sich bei den Elektromodellen umsieht, stellt vielleicht fest, dass bei einigen, neben dem hohen Preis, auch noch schlechter Geschmack mitspielt.

Aber zurück zu unseren Erkundungen. Adieu Madame Tonquedec, Adieu alle netten Menschen in St. Benoit. Adieu Soupe jaune du hast in unserem Geschacksarchiv dauerhaft einen würdigen Platz erhalten. Wir hatten in einem Prospekt vom Cap Fréhel gelesen. Eine Landzunge mit siebzig Meter hohen Klippen, auf denen sich Seevögel tummelten und kreischend ihrem Brutgeschäft nachflogen. Eine Land – und Seemarke zugleich war der imposante Phare aus dem Sandstein dieser Gegend. Unweit vom mächtigen Fort La Latte, einer beeindruckenden Burg, die in etwa 4 km Entfernung auf einer Felsbarriere thront. Auf dem Weg zu diesem Landsend wies ein kleines, verwittertes Tableau auf ein Restaurant namens Relais de Fréhel hin. Da es Mittagszeit war, entschlossen wir uns, das angebotene Menü zu testen und es war in jeder Hinsicht empfehlenswert. Wir konnten, nach der Tagessuppe, zwischen Salade, Crudites et Terrine oder einem Dutzend Austern als Vorspeise wählen. Ich liebte inzwischen frische Austern und langte beherzt zu. Die Baguettescheiben warteten auf die geschmackvolle Salzbutter und umgekehrt. Die, mit deutschem Akzent, Englisch sprechenden Mittagsgäste, waren bereits gesättigt, als ihre Vorspeise serviert wurde, denn sie hatten den Brotkorb bereits komplett geleert.

Die Hauptgerichte boten die Auswahl an Salm, der vor den Augen der Gäste in einem mächtigen offenen Kamin über Holzfeuer zubereitet wurde und dann eben als Saumon grillé aufgetragen wurde. Neben Côte du porc und Faux Filet auch Araignées l´amoricaine. Meerespinnen, eine Krabbenart serviert mit einer kräftigen Kräutersoße. Eigentlich Hummer für Arme. Eine Piddelei ohne Ende, die harten Scheren zu knacken, aber es lohnte sich.  Ich bewunderte mal wieder die französische Langsamkeit der Nahrungsaufnahme. Ein ergiebiges Genießen. Und ich entdeckte eine neue Gaumenschmeichlerei, nämlich  Raie au beurre noir, Rochenflosse mit schwarzer Butter und Kapern. Dazu Salzkartoffeln oder Reis und einen gut temperierten Rosé von der Loire. Schmatz, Großartig! Das Fischgericht wechselte täglich, denn die kleinen Märkte in der Nähe boten alles, was dem Gaumen Freude bereitet. Als Dessert bot Madam Lemercier, so hieß die Patronin, mehrere Möglichkeiten: Far Breton, Crème caramel, Tarte aux pomme, Galettes au Blé noir et Coup de glace. Dabei verfiel sie in einen Singsang, den wir heute noch nachahmen. Tja, mit Coup de Glace hatte ich bereits ein peinliches Erlebnis in einem Restaurant mit Außenbewirtung auf dem Pointe de Grouin, nahe Cancale gehabt. Ein Aussichtspunkt der Sonderklasse. Ich hatte im deutsch-französichen Pons nach Eisbecher gesucht und bestellte im akzentfreien Französisch, wie ich meinte, Brise Glace, einen Eisbrecher. Der Garcon lächelte nachsichtig und wies auf das Meer hinaus, so etwas sollte ich wohl viel weiter nördlich bestellen. Später waren wir noch einmal dort und Töchterchen wollte kein Glace, (Glas) sondern lieber Eis. Die Fettnäpfchen-Krajewskis on tour.

Madame Lemercier führte ein strenges Regiment in ihrem Restaurant, sie beaufsichtigte das Personal mit unbestechlichem Blick und sorgte so für reibungslosen Ablauf im Service. Kein Patati Patata. Wir registrierten, dass auch einige Chambres tout confort vermietet wurden und machten das Relais zum Stützpunkt unserer kommenden Entdeckungen. Die Zwischenwände der Zimmer waren vermutlich nur zwei aneinandergeklebte Tapeten, man hörte alles und irgendwann vermuteten wir, dass es den anderen Gästen wohl ähnlich erging. Die kleinen Buchten zwischen der Landspitze des Caps und dem Ort Sables-d`Or-les-Pins waren kaum besuchte Traumstrände. Wir zogen nach dem Frühstück los, versorgt mit Baguette, Paté, Saucisse und dem wohlschmeckenden Rotwein Bon Tonneau oder Blanc de Blanc und genossen den Strand, das Meer und die mitgebrachten Leckereien. Die Bucht bot genügend Treibholz, um die Würstchen oder Schweinsteaks zu grillen. Die Felsen lieferten wilde Moules, die ebenfalls kurz in der Glut garten. Vor dem Abendessen ruhten wir vor dem Relais in den Liegen auf der großen Gartenwiese, schlürften den Cidre und beobachteten den Haushund, der in den Randbüschen kleinen Kaninchen das Leben schwer und das Ende leicht machte. Ich bin heute überzeugt, dass er ein Ururopa von Max, dem Trüffelhund, war, der später noch mitbellt. Am letzten Abend eines unserer kulinarischen Orgien servierte der Küchenchef Jakobsmuscheln die berühmten Coquilles Saint Jacques, Ein Traum. Wir verlängerten noch am Abend um einen Tag, hätten die Abfahrt aber sowieso verpasst. Muscadet und Calva sei Dank. Dafür düsten wir am folgenden Morgen bereits um vier Uhr Richtung Heimat. Dummerweise benutzte auch ein Hühnerlaster den selben Weg, es regnete weiße Federn und ein Überholen war unmöglich, trotz Citroen CX Pallas. Das Frühstück hatten wohl schon andere Abreisende verzehrt, der Kaffee in der Thermoskanne war fast alle, wir fanden nur Brotreste und den Lichtschalter auch nicht. Wahrscheinlich hatten wir nur den falschen Tisch ertastet, es war noch finstere Nacht. Wir hatten eine Umhängetasche an der Garderobe vergessen, die hing tatsächlich immer noch dort als wir ein Jahr später wieder an diesen schönen Fleck der Bretagne zurück kehrten. Diese Gegend bietet alles, was das Wissen um schönes Leben vergrößert und läd ein, immer mehr der Geheimnisse zu lüften, die sie so einmalig macht.

Unsere nächste Reise, diesmal mit Peter und Ursel zusammen, führte uns wieder ins Relais de Fréhel. Wir grillten am Strand diesmal zu viert, genossen bekannte und unbekannte Leckereien. Wir erkundeten die zerklüftete Küste und das bezaubernde Hinterland. Das Restaurantfranzösich war inzwischen besser geworden und auf Bitte von Madame Chefin übersetzten wir die Speisekarte ins Deutsche, denn immer mehr Landsleute besuchten das Gasthaus und erfreuten sich an der Landschaft und den gebotenen Spezialitäten. In den späten 80er Jahren haben wir nochmals dort gegessen und siehe da, die Karte gab es immer noch. Warum sollte man Gutes auch ändern? Das Restaurant existiert heute noch unter anderer Leitung, alles ist etwas moderner gestaltet, der Charme ist geblieben und er durchweht und schmückt meine Erinnerungen, wenn ich die alten Bilder betrachte, auf denen komischerweise alle so viel jünger aussehen. Da diese Blicke in die Vergangenheit inzwischen diffuser werden sind auch die Bilder nostalgisch weich gezeichnet.

http://www.relaiscapfrehel.fr

Frank-Krajewsk
Foto © Claus Kuhlen

Freuen Sie sich nächsten Sonntag auf ein weiteres, neues Kapitel aus dem spannenden kulinarischem Leben von Frank Krajewski.

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