Die besten Kochbücher der letzten 30 Jahre. Folge 8

Joel Robuchon/Patricia Wells: L‘Atelier de Joel Robuchon. Hachette Livre, Paris 1996. 248 S., geb., Hardcover

Alain Ducasse/Jean-Francois Revel: L’Atelier de Alain Ducasse. Hachette Livre, Paris 1998. 248 S., geb., Hardcover.

(beide Bücher in französischer Sprache. Es existieren auch englischsprachige Ausgaben. Nur noch antiquarisch erhältlich. Die Bücher gehören zu einer Reihe mit dem Titel „Collection ‚Les Maitres de la Gastronomie‘“. Der dritte erschienene Band ist Alain Senderens gewidmet. Danach wurde die Reihe nicht fortgesetzt).

Um die Bücher dieser Reihe einordnen zu können, muss man sich die Zeit ihrer Entstehung vergegenwärtigen. Im Jahr 1996 galt Joel Robuchon unbestritten als bester Koch der Welt. Die Diskussion darum, wer denn der beste Koch der Welt sei, war damals übrigens völlig normal und wurde recht ernsthaft betrieben. Rankings wie heute hab es allerdings noch nicht. Robuchon kochte 1996 in seinem Restaurant in der Avenue Raymond Poincaré – und beendete seine Laufbahn dort, obwohl er erst 1994 eröffnet hatte. Die Welt stand als ohne ihren besten Koch da. Dass Robuchon später gewaltig zurückkehren würde, war nicht abzusehen. Man begann in Frankreich sofort nachzudenken, wer denn eigentlich als Nachfolger in Frage kommen könnte und kam schnell auf Alain Ducasse, dessen überragende Arbeit in Monte Carlo längst aufgefallen war. Und – tatsächlich übernahm Ducasse das Restaurant und wurde als neuer Küchenpapst gefeiert. Die beiden Bücher repräsentieren also einerseits das Ende der Arbeit von Joel Robuchon als voll aktiver Küchenchef und andererseits ganz frisch das, was sein Nachfolger gemacht hat.

Was man noch bedenken muss, ist die Lage der französischen Kochkunst zu dieser Zeit. So unumstritten die Fähigkeiten der beiden Meister waren, so deutlich interessierten sich viele Gourmets mittlerweile für die neue Garde der französischen Kreativen von Gagnaire über Bras bis zu Roellinger, die selber schon hochinteressante Bücher veröffentlicht hatten. Aber – sie waren nicht unumstritten, und es entwickelte sich eine Art Zweiteilung der französischen Spitzenküche, die zwar nur ein paar Jahre dauerte, in der damaligen Zeit aber durchaus aggressiv diskutiert wurde. Hier die Vertreter der großen französischen Kochkunst rund um absolute Spitzenprodukte und exzellente Kochtechniken (also rund um Köche wie Robuchon und Ducasse), dort die „Revolutionäre“, die sich aus der Sicht der „Klassiker“ zum Beispiel mit seltsamen Kombinationen, Gewürzen oder Kräutern befassten. Die Bücher dieser Hachette-Kollektion waren so etwas wie die Antwort des Imperiums. Man demonstrierte in aller Klarheit und mit den besten Rezepten, wie gut die Großmeister arbeiten und machte dies, indem man von einem „Atelier“ redete, was in diesem Falle ein wenig wie „Schule“ verstanden werden muss. Es gibt in den Bänden Rezepte der Meister und Interpretationen zum gleichen Produkt von ihren besten Schülern.

Die Bücher
Die Bände sind Inszenierungen großer Küchen-Künstler, die auch schon einmal gerne als „Genies“ bezeichnet werden. Es beginnt also mit dem Lebenslauf und der ausführlichen Würdigung der Arbeit, inklusive einer Schilderung des typischen Tagesablaufs in der Küche. Bei Robuchon (ich nehme für diesen Teil den Text von Robuchon, bei Ducasse sieht es ähnlich aus) steht die ungeheuer präzise Arbeit im Mittelpunkt. Es ist typisch, dass eines der letzten Bilder dieses über 50 Seiten langen Teils die leere, aufgeräumte Küche nach dem Service zeigt. Von Robuchon ist bekannt, dass er darauf achtete, dass buchstäblich nichts mehr übrig blieb und an jedem Tag alles von neuem frisch und mit frischen Produkten hergestellt wurde. Es folgt die kurze Vorstellung seiner fünf Meisterschüler (Dominique Bouchet, Christophe Cussac, Philippe Groult, Benoît Guichard, Maurice Guillouet), bevor es an die verwendeten Produkte und die Produkteure geht. Bei Robuchon sind die Produkte Kartoffeln, Kaviar, Coquilles Saint-Jacques, Steinpilze, Kalbsbries, Trüffel, Marone und Mandel. Bei Ducasse Olivenöl, Spargel, Getreide (Anm. für Pasta), Alba-Trüffel, Wolfsbarsch, Steinbutt, Lamm und Zironen/Zitrusfrüchte. Die Ducasse-Schüler sind Franck Cerutti, Jean-Louis Nomicos, Jean-Francois Piège, Sylvain Portay und Alessandro Stratta. Dem Meisterrezept auf mehreren Seiten – mit Step-by-Step-Abbildungen der wichtigsten Techniken – folgen die Rezepte der Schüler auf jeweils zwei Seiten.

Was in den Büchern vor allem von Robuchon und Ducasse präsentiert wird, ist ein Höhepunkt der Kochkunst, der in diesem Sektor kaum zu übertreffen ist und wohl auch kaum übertroffen werden kann. Die sagenhafte Kochtechnik von Robuchon findet sich auch bei Ducasse, wobei dieser auch noch mit einer sehr gut entwickelten Geschmacksvorstellung glänzen kann. Dass die beiden Großmeister zu kommerziell höchst erfolgreichen Weltstars geworden sind, ist in diesen Fähigkeiten begründet. Die Bücher repräsentieren einen Stand der Dinge, den die Meister selber später so gut wie nie übertroffen haben. Aus diesen Fähigkeiten konnten ihre Imperien entstehen, sie hatten bei Ducasse die Substanz, geradezu gewaltige Lexika zu veröffentlichen und sie reichten bei beiden aus, um sich in ganz verschiedenen Küchenrichtungen zu betätigen.

Die Meisterrezepte sind bei Robuchon u.a. natürlich das Kartoffelpüree, das Gelée de Caviar à la crème de chou-fleur, die mit Thymian gegrillten und von Auberginenkaviar begleiteten Steinpilze, das sagenhaft süffige Kalbsbries mit Stängeln von Romana-Salat, die Trüffel-Tarte mit Zwiebeln und geräuchertem Speck und der getrüffelte Hummer, mit Maronen in einer Cocotte gegart. – Bei Ducasse (der ja den Band von Robuchon kannte) geht es noch spektakulärer zu. Da ist die sagenhaft aufwändige und präzise Gemüsetarte (Pithiviers de légumes du Sud) mit Taggiascha-Oliven und Tomatensirup, die ganzen Generationen von Köchen eine Idee davon gab, was Gemüseküche sein kann. Oder der „Grünspargel mit Parmesan, reduzierter Rinderjus mit Oliven und Mark“, ein Gericht mit einem Geschmack, der ebenfalls prägend wurde. Dann eines der für mich besten Gerichte aller Zeiten, „Pâtes mi-séchées, crémées et truffées au ris de veau, crêtes et rognons de coq“, dessen Geschmack man in etwa als eine paradiesische Kombination von frischer Pasta, Sahne, Trüffel und hellem Fleisch bezeichnen kann – sehr aufwändig, sehr meisterlich, und – noch besser in einer Restaurantfassung (die ich gegessen habe) ohne Hummerstücke, aber mit Massen der für Ducasse typischen extrem fein gehackten Trüffel. Genauso gut auch das Filet vom Wolfsbarsch mit Lauch, Kartoffeln und Trüffel oder die „Mutter aller Steinbutt-Rezepte“, der Turbot aus der Bretagne mit Muscheln – eine im höchsten Maße verharmlosende Beschreibung (das Rezept habe ich im Restaurant allerdings mit gewissen Schwächen bei den Proportionen bekommen…). Die Rezepte der Schüler werde ich hier nicht weiter erwähnen, auch sie sind natürlich hervorragend.

Fazit
Diese Bücher sind das pure Muss für jeden ernsthaft Interessierten. Wer diese meisterlich beherrschte Sparte der Kochkunst nicht kennt, hat nicht nur etwas verpasst, sondern hat Lücken. Wenn man sieht, wie heute gekocht wird und sieht, was hier manifestiert wird, kann man schon mal ins Grübeln kommen. Es geht nicht darum, dass „früher alles besser war“. Es gibt immer wieder historische Phasen, in denen bestimmte Spitzen erreicht werden, die einfach gültig bleiben. Man darf bestimmte Maßstäbe nicht vergessen, sie müssen irgendwo in Köpfen von Köchen oder auch Kritikern vorhanden sein, weil sonst zu viel vergessen wird und oft auch einfach zu wenig Energie in die Perfektionierung gesteckt wird. Glücklicherweise haben wir zumindest immer einige (wenn auch nicht sehr viele) Köche, die bei ihren Arbeiten nach maximalen Qualitäten streben.

Fotos © Hervé Amiard

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