Die Jan Hartwig-(&Christian Hümbs)-Festspiele. Folge 5

In Bayreuth laufen ja gerade wieder einmal die berühmten Festspiele rund um Richard Wagners Werk. Wir sehen mit Interesse, dass sich die Größen der Republik dort einfinden, vor allem auch die Spitzen der Politik. Wir wollen dem eine Reihe von Folgen der Jan-Hartwig-Festspiele gegenüberstellen, nicht zuletzt auch mit der Hoffnung, dass die Spitzen von Staat und Gesellschaft auch in seinem „Atelier“ einmal vermehrt ein- und ausgehen werden und ihre Kulturbeflissenheit und -teilhabe auch in diesem Bereich zum Ausdruck bringen.

Die Gerichte der Jan-Hartwig-Festspiele habe ich vor wenigen Tagen in München gegessen. Unter ihnen sind Arbeiten, die schon im Kern zu den Klassikern des Hauses zählen, solche aus den aktuellen Menüs und auch natürlich auch ganz neue Kreationen. Sie zeigen die enormen Entwicklungen, die Hartwig im Atelier genommen hat. Die große Oper ist ganz auf unserer kulinarischen Seite.
Ich werde in jeder Folge unterschiedliche kulinarische Aspekte in den Mittelpunkt stellen. – Und weil es in dieser Folge um die Arbeit jenseits der Hauptgerichte geht, ist sie mit Jan Hartwig-&Christian Hümbs-Festspiele überschrieben.

Folge 5: Jenseits der Hauptgerichte. Die neue Welt von Käsegängen und Desserts
Der „alte“ Zustand nach den Hauptgerichten in einem traditionellen Gourmetmenü hatte immer eine Menge mit dem Alkoholpegel und Übersättigung zu tun. Man war längst satt, aber dann ging es an den Käse und damit in der Regel auch an den Rotwein. Was danach übrig blieb, war nur noch ein suchtähnliches Bedürfnis nach Zucker, das dann auch prompt bedient wurde. Heute sind die Menüs wesentlich degustativer aufgebaut. Die Portionen sind meist viel kleiner, um dem Gast die Möglichkeit zu geben, eine Vielzahl von unterschiedlichen Dingen probieren zu können. Dass sich dabei die Küche optimal präsentieren will, versteht sich von selber. Dieser neue Menüaufbau hat aber auch Konsequenzen für das, was nach dem Hauptgericht kommt, und diese Konsequenzen werden längst noch nicht überall gesehen. Kurz: Ein degustatives, kleinteiliges Menü und ein riesiger Käsewagen wollen nicht so recht zusammenpassen, und auch im Grunde simple, nur rund um Zucker und Fette aufgebaute Desserts gehören in eine ältere kulinarische Welt.
Jan Hartwig ist es gelungen, mit Weltklasse-Patissier Christian Hümbs einen guten Freund nach München zu holen. Hümbs ist einer der ganz wenigen Köche in Deutschland, die wirklich über ein klares, individuelles Profil verfügen, das auch international Bestand hat. Seine Crossover-Desserts gehören im Detail und als Stil zu den am meisten kopierten Gerichten und haben eine ganz eigene faszinierende Aromenwelt. In München passt er seine Desserts natürlich ein wenig an den Stil des Hauses an, bleibt aber immer unverkennbar. Zusammen mit den Käsegängen hat man im Atelier auch jenseits der Hauptgerichte ein echtes Programm und enorme kulinarische Qualitäten zu bieten. Hier ein paar Details.

Stilton – Kiwi, Blätterteig und Portwein lässt in der ganzen Finesse (und auch in der Optik) erkennen, dass Jan Hartwig keinen Zentimeter von der Qualität seiner anderen Gerichte abweichen will. Im Mittelpunkt steht – wie auch beim Chaource – nicht wirklich der Käse, sondern eher die geschmackliche Anregung, die er gibt. Der Akkord Stilton – Portwein ist ein klassisch-britischer Akkord, der aber hier mit diversen Kräutern und vor allem dem frischen Kiwi-Aroma eine deutliche Wendung in Richtung Finesse bekommt. Dabei wird die gewisse Strenge im Aroma des Stilton abgefangen, sein typischer Geschmack aber durchaus erkennbar.

 

Beim Chaource de Champagne – Kreuzkümmel, Papadam und kandierte Walnuss kommt es dann auch zu einer echten Akkorderfindung, also zu einem Aroma, dass man unter „weitgehend unbekannt“ verbuchen muss. Ausschlaggebend ist dabei ein Wechselspiel zwischen den eher süßlichen Elementen Kreuzkümmel und Walnuss mit dem Staudenselleriearoma, das auch den Duft des Gerichtes bestimmt. Selbstverständlich inszeniert Hartwig auch solche scheinbaren Kleinigkeiten mit der gleichen sensorischen Sorgfalt – immer nach dem Motto: die Textur inszeniert das Aroma.

 
 

Den souveränen Stil von Christian Hümbs kann man schon an der Beschreibung vom Waldsauerklee – griechischer Joghurt, gepickelte Preiselbeere und gesäuertes Brot erkennen. Ist dies noch ein Dessert oder schon etwas anderes? Die Frage ist nicht ganz korrekt, weil sie prämissiv ist, also Dinge voraussetzt – in diesem Falle die Vorstellung, dass Desserts grundsätzlich eine beträchtliche Süße haben müssten. Bei den Desserts von Hümbs ist durchaus Süße vorhanden, aber nie so, dass sie sich in mehreren Elementen addiert. Sie ist zudem immer in Aromen eingebunden, die die Süße nur als Teil eines Aromas hat. Hier zum Beispiel bei dem sagenhaft intensiven Sorbet vom Waldsauerklee. Auf die berechtigte Frage, wie viel Waldsauerklee man für ein solches Sorbet eigentlich braucht, antwortete Hümbs übrigens nur: „Viel. Sehr viel“. Das Säurespiel ist besonders faszinierend, weil es als Hintergrund eine Art sandige Textur bekommt, die eine geradezu natürliche Plastizität entfaltet.

Und so ereignet sich auch Gurke – Petersilie, karamellisierte weiße Schokolade und Ginger Ale genau in jenem Zwischenbereich, den Christian Hümbs wie kein Zweiter definieren kann, weil er ihn in jahrelanger Arbeit regelrecht erforscht hat. Dabei kann man an dieser Stelle vielleicht einmal verraten, dass Hümbs im Laufe der Jahre durchaus bedeutende Entwicklungen in seinen genialen Arbeiten gehabt hat, die die Ergebnisse immer klarer werden ließen. So hat er etwa den Anteil an Bindemitteln immer weiter reduziert, bis die Ergebnisse auf eine möglichst natürliche Art und Weise zustande kamen. Bei zu viel Bindemitteln, Stabilisatoren und Co. besteht immer die Gefahr, dass die Produktaromen zu weit in den Hintergrund geraten. Hümbs hat durch die Reduzierung sehr viel dafür getan, dass die Desserts aus ihrer Bastelecke gekommen sind und sich zu den Produktaromen ähnlich verhalten, wie herzhafte Küche neuester Prägung. Das schon „klassische“ Dessert-Spiel mit Gurke und Petersilie ist hier äußerst beeindruckend.

Bei Heumilch – Johannisbeerstrauch, Kaffee und Fenchel ist vor allem unbekanntes Neuland erreicht – auch in der bestechend frei wirkenden Optik. Bei der Reduktion der Bindemittel hat Hümbs glücklicherweise nicht vergessen, wie wichtig Texturen für seine Arbeit sind und wie zwischen initialen krossen Texturen und cremigem Mittel- und Hintergrund die Aromen aufblenden, sich mischen oder nur kurze Blitze an die Geschmacksnerven senden. Wer der Beschreibung folgt und allzu Konkretes sucht, wird schnell erkennen, dass hier ein Meister am Werk ist, der einfach mehr schmeckt als andere. Man verfolgt den Fenchel in mehreren Zuständen, kommt dann aber letztlich zu dem Ergebnis, daß dieses Dessert vor allem das typische Hümbs-Spektrum hat: mild und vielschichtig, mit einer Vielzahl von Mikroreaktionen der Elemente und dabei definitiv immer neuartig.

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