Die Süddeutsche Zeitung präsentiert im „Lokaltermin“ wieder einmal Schwaches. Betroffen: Das „Einsunternull“

Die Süddeutsche Zeitung lässt in ihrem „Lokaltermin“ Autoren einer Art zu Wort kommen, die man an anderer Stelle – sagen wir: bei klassischen Konzert- oder Literaturbesprechungen im Feuilleton – wohl kaum einsetzen würde, weil sie nicht über genügende Fachkenntnis und einen entsprechend ausgewogenen Überblick verfügen.In der Ausgabe vom 8., 9. und 10. Juni (Pfingsten) zeigt Autorin Harriet Köhler alle Symptome einer typisch genussreduzierten Esserin. Diesen Typus, der nur eine bestimmte, eingeengte Art des Genusses kennt und akzeptiert, findet man ansonsten vor allem bei Anhängern der gutbürgerlichen Küche, die außer ihrer Lieblingsküche nichts gelten lassen.

 

Eine Unsitte kulinarischer Kritiker: der aggressive Vergleich
Es gibt viele Kritiker, die es regelmäßig kaum schaffen, eine Küche in ihren eigenen Qualitäten präzise zu erfassen. Statt dessen benutzen sie einen oft aggressiven Vergleich zu anderen Küchen. Im Falle von Harriet Köhler geht dieser Vergleich in Richtung des Vorgängers eines Kochs. Betroffen sind das Restaurant Einsunternull in Berlin und Kreativkoch Andreas Rieger, der das Haus vor einigen Wochen verlassen hat und nun attackiert wird, um seinen Nachfolger in ein gutes Licht zu stellen. Gleich zu Beginn macht Harriet Köhler ihre Position klar: „In den letzten Jahren sah es fast so aus, als sei der Bauchmensch und Genussesser zusammen mit dem alten, weißen Mann auf der Mülldeponie der Geschichte abgeladen worden. Zumindest in Berlin schlossen Gourmetrestaurants alter Schule… stattdessen brachte der Guide Michelin Restaurants zu höchsten Ehren, in denen man sich brutal lokal der Selbstvollendung entgegenfermentierte.“

Die Einengung der Vorstellung von Genuss auf die „alte Schule“ und auf „Bauchmenschen und Genussesser“ ist eine höchst naive Vorstellung. Essen geht immer und jederzeit zuerst über den Kopf. Die Reduktion des Genusses auf eine nicht weiter erläuterte „alte Schule“ entspricht einer Haltung zur Gourmandise, wie sie vor Jahrzehnten gepflegt wurde und eben auch einer Vorstellung, die man gerne als „Stammtischniveau“ bezeichnet. Im übrigen gelangten die Restaurants nicht zu „höchsten Ehren“, sondern nur zu einem Michelin-Stern.
Es geht weiter: Das Einsunternull wird korrekt als ein Restaurant bezeichnet, das „Fans wie Feinde hatte, .. weil es eine anstrengende Küche servierte, die bisweilen so wirkte, als wolle Küchenchef Andreas Rieger seine Gäste nicht verwöhnen, sondern ihnen…vor allem etwas zu denken geben.“

Es gibt außergewöhnlich viele Leute, die die Küche von Andreas Rieger in keiner Weise als „anstrengend“, sondern – ganz im Gegenteil – als erfrischend neuartig, leicht und in einer wundervollen Weise individuell und modern empfunden haben. Die Einschätzung der Autorin beruht auf dem klassischen Kritiker-Fehler, seine eigenen Vorlieben nicht zu reflektieren, sondern zum Maßstab zu machen. Diese nicht weiter begründete, einseitige Position, von der aus abweichende Meinungen und Erscheinungen in einer manchmal durchaus populistisch anmutenden Weise attackiert werden, wird noch verstärkt:

Einseitige Orientierung, Missverständnisse und Unkenntnis
„Dazu schenkte man Getränke aus, die zum Teil eher wie etwas schmeckten, was die Speiseröhre hinaufkriecht, statt dass es sie hinunterfließen sollte (Stichwort: Brottrunk, faulig riechender Öko-Cider).“
Die Attacken gegen spontan vergorene Weine, oxydativ ausgebaute Weine und all das, was von der einseitig-klassischen Weinbegleitung abweicht, sind nicht neu. Mittlerweile sollte aber klar sein, dass bestimmte moderne Gerichte und diverse andere Getränke zusammen geradezu ein kreatives Universum abgeben können. In der kreativen Spitzenküche sind weltweit und bei den besten Restaurants längst eine Vielzahl von unterschiedlichen Getränken im Einsatz. Ivo Ebert war und ist ein Meister darin, Gerichte mit ganz unterschiedlichen Weinen und Getränken adäquat und kreativ zu begleiten. Seine Arbeit mit Andreas Rieger war kongenial, Maßstäbe setzend und hervorragend. Sie in dieser nicht erläuterten Weise gezielt misszuverstehen und abzuqualifizieren ist schlicht unkorrekt.

Die Süddeutsche Zeitung wird vermutlich den „Lokaltermin“ als einen Platz verstehen, bei dem unterschiedliche Stimmen zu Worte kommen. So etwas ist natürlich keine Qualität an sich, sondern öffnet – gerade dann, wenn eine übergeordnet redigierende, konzeptionierende Redaktion fehlt – schnell den Weg zur Beliebigkeit. Ohne eine möglichst gute professionelle Grundlage leidet gerade die Restaurantkritik unter diesem Phänomen.
O-Ton Harriet Köhler: „Auch der ‚Blumenkohl‘ ist eine Wonne: Späne, Blätter, Röschen und Asche versinken zusammen mit einem Eigelb voller Wollust in der ganzen Üppigkeit einer Schüssel voll Hollandaise – eine klare Ansage und ein harter Bruch mit der bisherigen Linie des Lokals.“

Niemand will natürlich Frau Köhler ihre ganz persönlichen Freuden nehmen. Aber – so könnte man auch über die Lieblingspommes „rot-weiß“ schreiben. Die Anmerkung, dass es sich um einen „harten Bruch mit der bisherigen Linie des Lokals“ lässt zudem darauf schließen, dass die Autorin das Programm des Restaurants unter Andreas Rieger kaum gekannt haben kann. Die Deklination eines Produktes bis hin zur Asche gehörte zum typischen Handwerkszeug der Küche. Und der Broiler in der Fassung Rieger mit Eigelbcreme und der sensationell abgeschmeckten Suppe mit Lebercreme darin hat im Effekt ebenfalls eine klare strukturelle Ähnlichkeit mit dem von der Autorin zitierten Gericht.

Die Kombination aus der Unfähigkeit, Küchen wirklich zu begreifen, Unkenntnis und sprachlichem Gourmetkitsch ist eine höchst bedauerliche Entwicklung.

3 Gedanken zu „Die Süddeutsche Zeitung präsentiert im „Lokaltermin“ wieder einmal Schwaches. Betroffen: Das „Einsunternull““

  1. Dieses gegenseitige Rumgepöbel bringt uns doch nicht weiter. Und ich stimme JD zu, dass immer mehr Kritiken von Leuten geschrieben werden, die ihre eigene Kuh fliegen lassen oder schlicht und einfach keine Ahnung haben. Ist aber auch egal, weil die wichtigen Bewertungen heute auf Tripadvisor und co. stehen und mühelos von jedermann manipuliert werden können. TA überprüft bekanntlich nicht einmal, ob die Scorer überhaupt in dem Laden gewesen sind. Irre. Analoge Presse? Tot. In dreißig Jahren, habe ich in einer amerikanischen Studie gelesen, wird die letzte Zeitung gedruckt. Ich bin mir nicht sicher, dass es noch so lange dauert, angesichts dessen (und, bitte sehr, angesichts der Tatsache, dass mich Freunde aus Sachsen und der Eifel anrufen, ob ich ihnen meine Donnerstags- oder Sonntagszeitung nach dem Lesen postalisch weiterleiten kann, weil sie in ihren Dörfern diese nicht mehr abonnieren können, tut euch das mal rein…) – ignorieren. Andere Kommunikationsmittel nutzen. Gerade für die jungen Leute, die an den Genuss herangeführt werden sollen, die lesen keine Zeitung mehr, keine Bücher mehr, die musst du anders kriegen. Insofern unfassbar schwachsinnige Rezension, aber genauso unfassbar irrelevant. Arboreo-Sack und so.

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    • Vielen Dank für diese interessante Reaktion. Ihre Anmerkungen sind mit ein Grund, warum ich letztlich dann doch einen Facebook-Account eröffnet habe und bei eat-drink-think – auch schnell und spontan – auf viele aktuelle Sachen eingehe. Kollegen in einer ähnlichen Position wie ich und allgemein meine Altersklasse machen sehr häufig immer noch einen großen Bogen um alle Online-Aktivitäten.

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  2. so, ich war grad auf der homepage des einsunternulls und hab mir die beiden menus durchgelesen- durchweg sachen auf der karte, die spannend klingen, neugierig machen, einem im kopf rumgehen. schade, dass sich frau köhler da nicht drauf einlassen wollte/konnte. was das problem mit der weinbegleitung angeht- ich denke, es wäre sicher kein problem gewesen, statt einer kleinteiligen begleitung zu jedem gang eine flasche zum durchtrinken fürs ganze menue zu finden. nur hätte das bedeutet, mit dem sommelier zu kommunizieren, eigene wünsche und die ideen hinter der weinbegleitung abzugleichen und einen gemeinsamen nenner zu finden. das klappt natürlich nicht, wenn dafür keine bereitschaft und offenheit vorhanden ist.

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