Ducasse, dunkelgrün?

Alain Ducasse/Christoph Saintagne/Paule Neyrat: Ducasse Nature II. 150 Rezepte für eine „Cuisine naturelle“. Hädecke Verlag, Weil der Stadt 2017. 281 S., geb., 34.00 Euro

Vorbemerkung
Beinahe hätte ich das Buch ungelesen zur Seite gelegt. Es ist von der Gestaltung her einfach so penetrant grünlich-öko angelegt, dass man vermuten muss, Kulinarisches werde hier keine große Rolle spielen. Das Cover ist in grün und braun bedruckt wie auf roher Pappe, im ganzen Buch gibt es allerlei Zeichen und Symbole mit Bio-Background und die Fotos – was am meisten stört – sehen aus wie frisch aus einem Prospekt für Krankenhauskost, blass, oft überbelichtet und irgendwie entleibt. Und dann auch noch gleich zu Beginn ein Interview mit Ducasse, seinem Koch Christoph Saintagne und dem Ernährungswissenschaftler Paule Neyrat, das auf den ersten Blick nur eine Wiederholung von Grundsätzen zu ökologisch korrektem Verhalten in der Ernährung ist wie wir sie seit vielen Jahren immer wieder hören und lesen.

Glücklicherweise wollte ich dann doch einmal im Detail sehen, was Ducasse dort eigentlich an Rezepten anbietet. Es hat sich gelohnt.

Die Spitzenküche war schon immer „bio“ und „öko“
Der Inhalt des Buches hat viel mit der festen Meinung vieler Spitzenköche zu tun, dass sie bei der Auswahl ihrer Produkte wie bei der Beachtung saisonaler Aspekte schon immer das gemacht haben, was auch ökologisch korrekt ist (so zumindest die Theorie). Selbstverständlich richtet man sich strikt nach der Saison und verwendet die Erdbeeren lieber nur ganz kurze Zeit und im Bestzustand, man denkt regional, baut sich eine Kette von individuellen Erzeugern auf, geht ständig auf den Markt und verarbeitet Tiere, denen es in ihrem Leben besser geht als vielen Menschen. Man bearbeitet die Produkte schonend und achtet selbstverständlich auch darauf, die Reste sinnvoll zu verwerten. Im Vorwort ist alles da, was man in diesem Zusammenhang schon gehört hat, und es wird formuliert wie ein pädagogisches Programm zur kulinarischen Erziehung (um das Wort „Umerziehung“ zu vermeiden…) des Menschen, vorzugsweise auch der jüngeren Konsumenten.

„Nature“ à la Ducasse zu leben, ist nicht ganz so einfach
So weit, so normal. Während man aber in vielen Bio-Läden und insgesamt der Bio-Szene oft den Eindruck haben kann, dass die Sache mit dem Essen nicht so freudvoll gesehen wird, wie man das eigentlich könnte und es beim Essen vor allem darauf ankommt, dass auch „Bio“ draufsteht, ist und bleibt Ducasse Gourmet. Und das bedeutet, dass er tatsächlich nur ganz konsequent mit den besten, reifsten usw. Produkten zu ihrem absoluten Saisonhöhepunkt arbeitet und sonst nichts. Dass so etwas in einem krassen Gegensatz zu vielen Marktständen bei uns steht, wo es zwar nach Bauer aussieht, aber bis auf ein paar Kleinigkeiten alles aus dem Großhandel stammt, wird schnell deutlich. Außerdem hat Ducasse ein hoch entwickeltes Verständnis von Kochtechnik und Präzision und denkt auch in diesem Buch nicht daran, qualitative Einbußen vorzuprogrammieren.

Die Rezepte stecken also oft voller guter Ideen und einem entwickelten Verständnis von Geschmack, das sich wohltuend von dem „Gematsche“ absetzt, das ansonsten so häufig die Unmengen von entsprechenden Koch-Ratgebern bestimmt. Es gibt z.B. „Grünen Spargel mit wachsweichem Ei und Vinaigrette“ oder ein ausgetüfteltes „Mandel-Hähnchen mit Chicoree“. Beim „Hühnereintopf“ wird nicht geschludert, sondern das Huhn erst einmal ohne Zutaten aufgekocht und abgeschäumt. Immer wieder sind die Zutatenlisten eher übersichtlich, die Erklärung der Zubereitung aber relativ lang – ein wichtiges Zeichen für die Bedeutung einer guten Kochtechnik gerade im Zusammenhang mit eher einfachen Produkten. Immer wieder geht es auch um Produkte, die in der avancierten Küche normal sind, in vielen „Ratgebern“ aber nicht vorkommen: eine „Lauchterrine mit Rochenflügel“, ein „Carpaccio von Jakobsmuscheln mit schwarzem Rettich und Erdnüssen“, „Mit Hering gefüllte Wirsingpäckchen“ oder „Gnocchi mit Algen, Bottarga und Lachskaviar“. Gut sind auch die Anmerkungen von Ducasse zu jedem Rezept. Kenner werden jedenfalls in quasi jedem – auch dem einfachsten – Rezept kochtechnische Präzision entdecken, die geeignet ist, ein wirklich guten Geschmack zu erzeugen. Das „Prinzip ‚Nature’“ ist eben „Wer gut kocht, der braucht kein Salz, wenig Zucker, wenig Schmalz“.

Defizite: der Blick ist französisch-eng
Nach der Lektüre fällt allerdings auf, dass Ducasse eben ein von sich und seiner Küche im höchsten Maße überzeugter Franzose ist und bleibt. Die Unmengen von neuen Sehweisen und Kochtechniken aus der Nova Regio – Küche (die mittlerweile weltweit nicht nur verbreitet sondern gerade in der kreativen Spitze von großer Bedeutung ist) kommen quasi nicht vor. Das ist schade, weil z.B. bei der Verwendung aller Teile von Pflanzen und der Verwendung ungewöhnlicher Pflanzen etc. auch eine Art neuer Bio-Ästhetik entsteht, die geeignet ist, Konsumenten auch von solchen Produkten zu faszinieren. Insofern schränkt der eher klassische Blick in diesem Buch ein wenig die Funktionalität ein.

Fazit
„Nature II“ ist ein sehr gutes Buch, weil es endlich einmal ein Gegengewicht von Rang zu den unendlichen Mengen kulinarisch meist sehr unersprießlicher und wenig weiterführender Büchern der „kulinarischen Ratgeber-Literatur“ schafft. Ducasse ist ein Meister seines Faches, dem die Reduktion gelingt, der mit seinen Ideen den Alltag so bereichern kann, dass man sich einen offenen kulinarischen Blick erhalten kann (oder ihn bekommt).

Das Buch bekommt 2 grüne BB

(Fotos: Hädecke Verlag)

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