Ein Koch-Buch, kein Kochbuch

Was erfahren wir üblicherweise von unseren besten Köchen? Nicht wirklich viel. Ich stelle mir gerade selber die Frage, was ich über das Leben unserer besten Köche weiß, mit den ich teilweise seit Jahrzehnten zu tun habe und stelle fest, dass ich fast nichts weiß. Ihren beruflichen Werdegang kenne ich natürlich, aber damit endet es dann auch, weil ich persönlich auch immer eher distanziert arbeite und es nie irgendwelche nennenswerten privaten Kontakte zu ihnen gab. Dass in französischen Zeitschriften schon mal die Großmeister mit ihren Autos vorgestellt werden oder irgendwo von Koch-Fußballturnieren oder Koch-Skirennen berichtet wird, interessiert mich nicht. Und was die TV-Promis unter den Köchen außerhalb ihrer Arbeit machen, weiß ich auch nicht, weil mich Klatschblätter und Ähnliches nicht erreichen.

Das was mich interessiert, habe ich bisher so gut wie nie gefunden. In den Kochbüchern gibt es meist die Rezepte und ein wenig Drumherum, das dann aber oft – sagen wir: gerne ein wenig so eingefärbt ist, wie es der Koch gerne hätte. Bei den Rezepten fehlen vor allem oft Details darüber, warum, wieso, weshalb es zu diesem Rezept gekommen ist und ganz allgemein sind die genuin kulinarischen Überlegungen oft sehr mager. Warum etwa ein Koch an die Spitze gekommen ist und welchen Zusammenhang es da mit seiner Persönlichkeitsstruktur gibt, bleibt fast immer im Dunkeln – möglicherweise auch deshalb, weil es weder „von innen“ noch „von außen“ je reflektiert wird. Gibt es zum Beispiel Eigenschaften ohne die ein Koch nie und nimmer an die Spitze vordringen kann? Es gibt schließlich sehr viele Köche mit einer sehr guten Ausbildung bei den besten ihrer Zunft, die es nie besonders weit schaffen. Warum schaffen es dann diejenigen, die an die Spitze kommen?

Und jetzt kommt dieses Buch von und mit Jan Hartwig, der erst kürzlich nach rasantem Aufstieg seine Karriere im „Atelier“ im Bayerischen Hof in München beendet hat und demnächst auf eigenen Füßen stehen will. Das Buch ist sehr, sehr ungewöhnlich und liefert sehr, sehr ungewöhnliche Informationen, die so gut wie alles in den Schatten stellen, was man bisher über die Arbeits- und Denkweise eines Spitzenkochs wusste. Hier erst einmal die Daten:

Jan Hartwig / Sabine Steinbeck: Sterneleben. 14 persönliche Erfolgsformeln aus der Sterneküche, die auch Sie an die Spitze bringen. Gabal Verlag, Offenburg 2021. 240 S., geb., Hardcover, 29,90 Euro

Ko-Autorin Sabine Steinbeck ist die Tante von Jan Hartwig und kennt ihn, seine Familie und seinen Werdegang von Anfang an. Was man aber zuerst wissen muss ist, dass dieses Buch aus dem Ratgeber-Milieu stammt, aus einem Verlag, der sich mit Coaching, Beratung usw. usf. in alllen Schattierungen befasst. Auch Sabine Steinbeck hat einen solchen Hintergrund, interessiert sich aber seit langem vor allem für die Ernährung, und dort für die Themen Nachhaltigkeit und Co. Sie ist z.B. Geschäftsführerin bei „Foodies mit Haltung“, einem entsprechenden Netzwerk. Für dieses Buch hat sie nicht nur Jan Hartwig detailliert befragt, sondern auch diverse Spezialisten, die jeweils einen Beitrag zum Thema leisten können. Dazu gehören aus dem kulinarischen Bereich auch Eckart Witzigmann, Jan Hartwigs Lebensgefährtin Theresa Geisel (Tochter von Otto Geisel), sein maßgeblicher Lehrer Sven Elverfeld, der ebenfalls sehr markant arbeitenden Winzer und Koch Christian Stahl, Fran und leonhard Riederer von Paar vom für seine exzellente Fleischerzeugung bekannten Gutshof Polting oder Thomas Mack, dem Geschäftsführer vom Europa Park (und auch ich, weshalb ich für dieses Buch am Ende keine Wertung abgeben werde). Alle Beteiligten liefern detaillierte und offene Aussagen nicht nur dazu, wie man Qualität erzeugt, sondern vor allem auch dazu, wie man sein muss, um überhaupt Spitzenqualitäten zu schaffen.

Die Kapitel haben Überschriften, die ab und zu schon ein wenig in Richtung der „14 persönlichen Erfolgsformeln“ gehen, die am Ende des Buches abgedruckt sind und die ich weiter unten ebenfalls auflisten werde. Es wäre aber ein Fehler, nur diese „Erfolgsformeln“ zu lesen, weil der ganz große Mehrwert dieses Buches steckt in den vielen Details, die man über Hartwig und die flankierenden Spezialisten erfährt. Bei Jan Hartwig wird vollkommen klar, dass sein Weg und seine Küche komplett von seiner Persönlichkeitsstruktur abhängen. Wenn Sie je in den letzten Jahren im „Atelier“ gegessen haben, werden Sie wissen, dass die Gerichte dort unglaublich präzise und detailliert waren. Die Voraussetzungen für solche Qualitäten sind den meisten Gästen allerdings nicht klar. Hier nun kann man erfahren, welche minutiöse Detailarbeit, welche „tiefe“ Organisationsstruktur und welcher enormer Einsatz und Konzentration nötig sind, um eine solche Qualität zu erreichen. Nach dem lesen weiß man, warum Hartwig so gut geworden ist, und vielleicht wissen dann auch viele andere Köche und Leser, warum sie wohl nur sehr schwierig jemals zu solchen Leistungen kommen werden. Hartwig ist so, wie erarbeitet und wie seine Produkte. Er ist auch privat ein großer Freund von Ordnung und Struktur (um es einmal milde auszudrücken), was man aber gleich und unbedingt richtig interpretieren muss. Bei diesem Verständnis von Struktur und Präzision geht es nicht um das von Bürokraten, von Dauerputzern und Laubbeseitigern mit dem Kärcher, sondern um eine Art höhere Einsicht, die weiß, dass man auf diesem Wege nicht nur die Grundlagen für Großes schafft, sondern auch den Raum für Kreativität und Freiheit. Wer zum Beispiel über maximale handwerkliche Fertigkeiten verfügt, wird keine Idee beiseite lassen müssen, weil er sie für undurchführbar hält. Und – bei Hartwig sind alle Voraussetzungen für Qualität auch noch besonders stark ausgeprägt. Ich erinnere mich an den Bericht einer Besucherin, die selber aus einem Drei Sterne-Restaurant stammt und nur noch staunte: über die Passion, die Intensität der Arbeit und die Perfektion der Ergebnisse. In diesem Buch wird der Leser all das finden, und zwar – in allen möglichen Details aus der Küchenarbeit. Hartwig teilt mit, und auch das macht er ofen und sehr präzise, inklusive der Fehler, die man machen kann, inklusive der emotionalen Achterbahnen, in die man geraten kann, inklusive der Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern, die man ebenfalls nie schematisch und starr sehen kann, sondern die ebenfalls von einer perfekt greifenden Struktur profitiert. Allein die zwei Seiten eines typischen Tagesablaufs in der Küche zeigen schon, wie komplex die Arbeit ist, wieviel Multitasking in ihr steckt und welche Belastungen es gibt. Um 18 Uhr liegen für Hartwig rund 40 Löffel mit Zubereitungen bereit, die er alle persönlich abschmeckt und kommentiert. Jeden Tag.

Die „14 persönlichen Erfolgsformeln aus der Sterneküche“ will ich hier zumindest in den Überschriften zum Teil erwähnen. Es geht also u.a. um „Das Handwerk erlernen“, „Heute besser sein als gestern und morgen besser sein als heute“, „Zielstrebigkeit leben“, „Leidenschaft finden“, „Selbstreflexion anwenden“, „Ungemütlich sein und dranbleiben“, „Frei sein im Denken und Tun“ und „Spaß haben“. Das war also etwa die Hälfte.

Fazit
Ein hochinteressantes Buch, das nicht nur Wege zu Höchstleistungen aufzeigt, sondern vor allem mit vielen Details glänzt, die nicht das Leben von Spezialisten glorifizieren, sondern zeigen, wie man – auf einer komplett und auffällig menschlichen Ebene – mit seinen Fähigkeiten umgehen kann, wie man sie entwickelt, wie man Pläne umsetzt, wie man durch die richtige, immer rückgekoppelte Struktur von Denken und Verhalten zu Höchstleistungen kommen kann. Das ist nicht nur sehr aufschlußreich, sondern auch sehr nützlich – vor allem für Leute, die nach kulinarischer Qualität (i.w.S.) streben, aber auch und gerade für Leute, die das richtige Verhältnis zwischen Kreativität und Umsetzung suchen.

Wie gesagt: weil ich selber auch in diesem Buch zu Worte komme, enthalte ich mich der Wertung.

Coverfoto © Gabal Verlag

1 Gedanke zu „Ein Koch-Buch, kein Kochbuch“

  1. Erstmal danke für die Buchempfehlung, das Buch enthält in der Tat einige interessante Fakten zum Leben eines Sternekoches, zumal ich auch die Küche von Jan Hartwig sehr schätze. Insgesamt fällt mein Urteil über das Buch jedoch deutlich weniger positiv aus als ihres. Das hat primär mit dem Faktum zu tun, dass, wie sie ja auch schreiben „…dieses Buch aus dem Ratgeber-Milieu stammt, aus einem Verlag, der sich mit Coaching, Beratung usw. usf. in allen Schattierungen befasst.“ Genau das ist aus meiner Sicht das Hauptproblem des Buches: beginnt es durchaus lesenswert, mit der deskriptiven Aufzählung wirklich interessanter Fakten – u.a. die von Ihnen erwähnte Verkostung von 40 Löffeln jeden Abend – so gleitet das Geschriebene gegen Ende immer mehr zu einem Ratgeber mit den plattesten Ratgeber Platituden à la „Glauben Sie an sich selbst“ ab – ehrlicherweise fand ich das Buch gegen Ende fast unlesbar. Wenn ich heutzutage einschlägige Ratschläge wie den zuvor erwähnten (hergeleitet jeweils aus der Vita von Jan Hartwig) lese, dann fällt es mir wirklich schwer, den/die AutorIn ernst zu nehmen. Mir ist auch nicht ganz klar, warum die Autorin nicht viel stärker auf die individuelle Vita von Jan Hartwig eingegangen ist, zumal sie ja als ihm Nahestehende wirklich die Chance dazu gehabt hätte. Nur ein Beispiel: Interessant wäre doch zB gewesen, wie es Hartwig schafft, diese Ordnung (zB die Hemden), diese Struktur permanent hochzuhalten. Aber als Ende des entsprechenden Artikels dann „Versuchen Sie Struktur in ihr Leben zu bringen“ (sinngemäß) fällt dann eben für mich in die Schiene „Berater, die nichts zu sagen haben“, die es wie Sand am Meer gibt. Insgesamt für mich daher leider ein misslungenes Werk. Danke trotzdem für ihre Rezension.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Gerhard R. Antworten abbrechen