Entkrampft. „Fou de Cuisine“ ist eine Zeitschrift ohne falschen Ballast.

Bei den deutschen Gourmetzeitschriften (im weiteren Sinn verstanden) gibt es ein ganz charakteristisches Merkmal: Sie wollen oft kulinarische Politik machen und wirken deshalb mehr oder weniger verkrampft. Man kann es auch anders formulieren: Sie brauchen einen Gegner, ein Feindbild und definieren sich als das positive Gegenteil zu diesem Feindbild. Mal geht es still und heimlich gegen die Spitzenküche, mal gegen eine bestimmte Art von Spitzenküche, mal gegen die Niederungen, in denen sich Leute aufhalten müssen, die nicht besonders viel Geld haben (das sagt man so natürlich nicht). Letztere fahren gerne ein dicklich-verfettetes Lifestyle-Programm, das sich fast ausschließlich am Konsum orientiert, oder versuchen, als Trittbrettfahrer großer Könner eine Schnitte vom Kuchen zu bekommen. Dass ein publizistisches Konzept vor allem an der Sache und sonst garnichts interessiert ist, kommt eher selten vor. Natürlich gibt es Mischformen und Ausnahmen – aber Sie werden wissen, was ich meine.

Vor ein paar Tagen bekam ich die neue Ausgabe von „Fou de Cuisine“ in die Hand und hatte schon beim ersten Durchblättern unbedingt den Eindruck, als ob man dort wesentlich entspannter und dadurch vor allem informativer arbeitet – von der schieren Materialfülle des Heftes einmal ganz abgesehen. „Fou de Cuisine“ ist nicht neu, die aktuelle Ausgabe ist die Nummer 25, aber das Konzept scheint mir heute klarer denn je zu sein. Den Titel übersetzt man am besten mit „Küchenverrückt“ oder „Verrückt nach Küche“, der Untertitel ist „Culture Chef-Fe“ (gegendert….), also – deutsch-behäbig übersetzt – „Kultur der KöchInnen“.Bei einem Titel wie „Küchenverrückt“ würde man bei uns sofort eine Art BlogerInnen-Küche erwarten, also einen aufgewärmten, zusammengesammelten (um das Wort „Klauen“ zu vermeiden) Mix aus Mediterranem, Asiatischen, Regionalen usw., natürlich alles „ganz einfach“, weil man ja schließlich zwar gut essen, aber nicht dafür arbeiten will.

Bei „Fou de Cuisine“ geht es anders zu. Die Orientierung geht ganz klar in Richtung der besten und interessantesten Köche, Köchinnen und Küchen, ohne einen Hauch Sterneküchen-Allergie, ohne den kastrierten Geschmack halber Sachen, ohne die genussreduzierte Orientierung vieler alter und neuer bürgerlicher Küche, Szenenküche oder wie man das sonst nennen will. Hier ist die Logik klar: es geht um die richtig gut schmeckenden Sachen, und ob sie manchmal etwas teurer oder manchmal etwas schwieriger zu machen sind, bedeutet nicht ihren Ausschluss aus der Berichterstattung, sondern nur, dass man sich da noch etwas mehr an Kenntnissen aneignen muss. Es geht auch nicht nur um Avantgarde, um eine Distinktion, die schnell dazu führen kann, dass man den Überblick verliert. Hier kommt sie vor, aber auch Klassisches, Regionales, gut Reduziertes und immer kombiniert mit einem Zuwachs an Wissen in gut dosierten, gut gemachten Portionen.  Der Inhalt gliedert sich in „Les Tendences“, „Les Chefs“ und „Cahier Technique“. Die Tendenzen betreffen nicht – wie oft bei uns – vor allem das Mitrede-Werkzeug der kulinarischen Schickimickis, sondern alle möglichen Neuigkeiten von Büchern bis zu gerade häufig anzutreffenden Küchentechniken oder auch Küchengeräte. Bei den Köchen verzeichnet die Liste zuerst einmal Michel und Sebastian Bras, die nach wie vor eng zusammenarbeiten und hier u.a. eine neue Version ihres Schokoladenkuchens von 1981 präsentieren.

Es folgt als „Mythos“ die Vorstellung des „Boeuf Wellington“, also von diesem Mix aus britischer und französischer Tradition mit einem sehr gut erläuterten Rezept die (vorne die Erläuterungen, hinten im Blatt die eigentlichen Rezepte). Dann geht es an „Taste of Paris“ über einige junge Köche und Köchinnen in Paris. Dann „bespielt“ Drei-Sterne-Koch Eric Frechon ein neues Chateau, Pascal Barbot (vom „Astrance“) meldet sich wieder zu Wort, und es gibt einen Bericht über Mory Sacko, den dunkelhäutigen, neuen Sternekoch, der bei der Präsentation des neuen Guide Michelin für Frankreich so viel Sympathien bekam. Es folgt Streetfood, danach Bistronomie mit Amandine Chaignot und noch einige weitere Features. – Bei der Kochtechnik werden Kalbsfond und Pfeffersauce vorgestellt und analysiert, und es geht um Pilze. Der Rezeptteil beendet das inhaltlich prall wirkende Heft. Jedes Rezept im Heft ist präzise wiedergegeben.

Das Heft sieht nicht unbedingt teuer aus, es verzichtet also ganz klar auf ein Konzept wie etwa bei uns das „Gault Millau“ – Heft, das „wertig“ wirken will, aber kaum einen nennenswerten Inhalt hat. Wenn man darüber nachdenkt, wer denn hier eigentlich die Zielgruppe ist, muss man das wohl an den Schichten festmachen, die sozusagen mitten im Leben stehen, eher dem kulturell orientierten Teil der Gesellschaft angehören, selber gut kochen und für kulinarische Erlebnisse gerne auch Geld ausgeben. Und auch das muss man wieder in Relation setzen. In „Fou de Cuisine“ ist man nicht am Wettbewerb um das Entlegendste oder Teuerste beteiligt. Man begleitet im besten Sinne, man strebt eine Funktion an, man instrumentalisiert nicht den Lifestyle-Aspekt guter Küche, sondern man ist mittendrin. In Frankreich gibt es eben eine beträchtliche Schicht von intelligenten Leuten, die ihre Intelligenz auch in Richtung Kulinarik richten, sie als Mittel nutzen, um zu verstehe, und nicht – wie leider oft bei uns – als Mittel, um die eigene kulinarische Zwergenposition irgendwie aufzuwerten.

Ich weiß, dass die französische Sprache in der deutschen Koch- und Foodie-Szene nicht übermäßig gut vertreten ist. Dennoch rate ich dringend dazu, sich „Fou de Cuisine“ einmal – um im Bild zu bleiben –  auf der Zunge zergehen zu lassen.

Fou de Cuisine. Pressmaker-Verlag, Paris 2021. Heft September, Oktober, November 2021. 130 S., 7.50 Euro

2 Gedanken zu „Entkrampft. „Fou de Cuisine“ ist eine Zeitschrift ohne falschen Ballast.“

  1. Das Problem ist ja dass nicht nur die Zeitschriften kulinarische politik betreiben und sich feinbilder suchen, sondern natürlich auch die sogenannten kritiker die sich wo immer es geht im Vordergrund stellen wollen, alles wird kritisiert und schlecht geredet und nur der von sich überzeugte kritiker hat recht und die anderen keine Ahnung.

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  2. Danke! Interessanter Artikel von dir. Frankreich, klar würde ich sagen, hat einen -eleganteren- Blick zu dem Thema. Habe ich irgendwie vermisst zu meiner Zeit in DE. Die Zeitschrift aus Hamburg war schon schwer…

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