Fina Puigdevall: Anima. Les Cols Restaurant.

Montagud Editores, Barcelona 2017. 384 Seiten, Broschur, 50,90 Euro

Vorbemerkung: Die Diskussion um viele oder wenige Elemente auf dem Teller sollte deutlich versachlicht werden. Wenig kann gut sein, viel kann gut sein. Punkt. Aber – mit vielen Elementen umzugehen ist sowohl auf der Seite der Köche wie auf der Seite der Esser sehr anspruchsvoll. Dabei kann es natürlich passieren, dass ein Koch die vielen Elemente sensorisch nicht gut durchdenkt und die Gäste bei weitem nicht das Interesse oder die Sensibilität haben, eine vielteilige Komposition adäquat wahrzunehmen. Das ist dann natürlich nicht wirklich sinnvoll.

Minimalistische Kompositionen sind da wesentlich besser, weil das, was dort beim Essen sensorisch passieren kann, auch meist tatsächlich passiert. Man bekommt es einfach mit, weil sich die Informationsdichte in Grenzen hält.

Die spanische Küche arbeitet schon seit längerer Zeit eigentlich weniger mit „Tapas“, sondern in erster Linie mit minimalistischen, klar strukturierten Gerichten, getragen von einer guten Idee und mit gutem sensorischem Verständnis inszeniert. Das ist dann wie eine Abwandlung des alten Curnonsky-Satzes: „Um gute Küche handelt es sich dann, wenn die Produkte so schmecken wie sie schmecken.“ Er müsste lauten: Um gute Küche handelt es sich dann, wenn man die Produkte/Elemente und ihre Beziehungen zueinander auch mitbekommen und erleben kann…


„Les Cols“ und Fina Puigdevall
Fina Puigdevall ist Jahrgang 1963 und eine sehr bodenständige Köchin, die sich nie weit von ihrer Region Garrotxa in der Nähe von Girona entfernt hat. Im Jahre 1990 eröffnete sie das Restaurant „Les Cols“ und bekam schließlich für ihre strikt regional orientierte, feinsinnige, kompakt und oft minimalistisch ausgerichtete Küche 2010 einen zweiten Michelin-Stern. Das Restaurant hat eine geradezu natürlich-futuristische Architektur mit spektakulären Räumlichkeiten, angebaut an ein traditionelles Haus der Gegend. Die Räume erinnern in ihrer Ausstrahlung ein wenig an das „Azurmendi“ von Eneko Atxa.
Nun hat der wieder intensiver arbeitende Verlag Montagud Editores, zu dem in Barcelona auch die Buchhandlung „Libreria gastronomica“ gehört, ein Buch herausgebracht, das in seiner ganzen Machart bestens zu „Les Cols“ und der Küche von Fina Puigdevall passt, und das – so muss man es wohl sagen – in dieser zurückgenommenen, klaren Form bei uns wohl kaum erscheinen würde.


Das Buch
„Anima“ schafft eine Atmosphäre, die etwas sehr Künstlerisches hat ohne auch nur im mindesten in Richtung der Kunstszene zu schielen. Das Künstlerische an diesem Buch ist eher eine Form der Sensibilität gegenüber den Produkten und der Umwelt, die auf alle Dinge verzichtet, die nach pompöser Inszenierung aussehen. Die erste Seite zeigt einen Farn mit Wurzel, wenig später sind es Blüten, ein paar fast abstrakte Impressionen, die die Ästhetik des Restaurants und seiner Umgebung zeigen, dann eine Hand, die eine Wurst hält, die Wurstscheiben und das erste Rezept, eine hauchdünne Buchweizen-Platte, die zu den Wurstscheiben serviert wird. Es folgen Snacks wie Buchweizen-Blini, Mais-Sandwich, ein Stückchen Schweinebacke zwischen kleinen Stückchen von Körnerbrot.
Die Technik ist dabei – das gilt für das ganze Buch – durchaus State-of-the-Art, verwendet also all das, was sich in der post-französischen Moderne an Kochtechnik entwickelt hat. Wenig später folgt ein Aufsatz eines Philosophen mit dem Titel „Feeling the Season, feeling the Place“, nicht allzu verschwurbelt, aber immer so, dass er zu der oben genannten Atmosphäre passt. Man muss einfach dieses Buch und seine Küche über Sensibilität und Atmosphäre angehen.

Natürlich gibt es alle lokalen Spezialitäten wie den sagenumwobenen Lauch, „Calcot“ genannt, den Requeson-Käse (Ricotta) als Eis mit Trüffeln aus Garrotxa, Radieschen komplett mit nichts anderem als Olivenöl und Salz, ein Royale von rohen Mandeln, Rosenkohl mit minimal Kartoffel, Chili-Öl und den äußeren Blättern, die man sonst wegwirft. Die kleinen Artischocken kommen mit Mandarinen und „warmen“ Gewürzen auf den Teller, dann wieder werden Blätter von verschiedenen Kohlsorten gebündelt und das Bündel mit einer intensiven Rebhuhnsauce kombiniert. Den wilden Eber gibt es als Ragout mit wenig mehr als minimalen Kastanienstäbchen und Punkten von Apfelkompott, die Schnepfe sehr klassisch und ausschließlich mit einem stark reduzierten Jus aromatisiert, und natürlich auch einmal die lokale „Vulkanlandschaft im Frühling“ mit Ratafia, Buchweizen, Blüten und dem Schokoladenersatz vom Johannisbrotbaum. Man gewöhnt sich an den Duktus des Buches, diese Mischung aus Moderne und Tradition in einer Art ästhetisch freigelegten Raum. Wer „Einsunternull“ in Berlin mag oder Esben Holmboe Bang in Oslo oder auch ein wenig die Art und Weise, wie Eneko Atxa in Bilbao die Tradition verarbeitet, wird das Buch schätzen und lieben.

Fazit
Glücklicherweise gibt es die spanischen Bücher jetzt auch quasi immer zweisprachig, so dass sie auch für deutsche Kunden ohne weiteres zugänglich sind. Das Buch gehört in den Bereich, wo im Moment sozusagen der Input ins System der kreativen Küche zu finden ist.
Spezifische Ideen, lokal generiert, minimalistisch und klar und ohne jedes Geschmacksklischee umgesetzt, leicht, ökologisch, naturnah, sehr nah an einer neuen Sinnlichkeit, die viel mit dem zu tun hat, was und wie wir kulinarisch wahrnehmen können. Leider sind nicht von allen der 85 Gerichte auch die Rezepte abgedruckt, dafür aber eben auch immer wieder Texte, die der Einordnung des Ganzen dienen – wie der von Francesco Torralba mit dem Titel „When the Landscape becomes an Offering“, „Wenn die Landschaft ein Angebot wird“.

Das sehr inspirierende Buch bekommt 2 grüne BB

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