Frankfurter Allgemeine Quarterly: Vier deutsche Köche im Herbst

Erläuterung zur Auswahl der Köche Sven Elverfeld, Jan Hartwig, Marco Müller und Felix Schneider

Das Kulturmagazin „Frankfurter Allgemeine Quarterly“ hat als Zielrichtung „Inspirationen und Denkanstösse für die Welt von morgen“. Es ist mir ein großes Vergnügen, in der aktuellen Ausgabe vier deutsche Köche ausführlich vorstellen zu können. Der Text mit dem Titel „Vier deutsche Köche im Herbst“ ist 15 Seiten lang (Fotos: Annette Apel). Von jedem Koch gibt es ein Porträt und Bilder von drei Gerichten, die ich mit einem neuen System beschreibe. Es geht um „Produkte“, „Struktur“ und „Kontext“ – jeweils stichwortartig und ohne lange Sätze beschrieben, um auf knappem Raum möglichst viele und möglichst markante Informationen unterzubringen.

Was ich nicht schreiben konnte, sind meine Gründe für die Auswahl der Köche Sven Elverfeld („Aqua“, Wolfsburg, 3 Michelin-Sterne), Jan Hartwig („Atelier“ im Bayerischen Hof in München, 3 Michelin-Sterne), Marco Müller(„Rutz“, Berlin, 2 Michelin-Sterne) und Felix Schneider („Sosein“, Heroldsberg, 2 Michelin-Sterne). Das möchte ich hier ergänzen – in alphabetischer Reihenfolge.

Sven Elverfeld
Sven Elverfeld ist in absoluter Höchstform und für mich in Deutschland im Moment kaum zu übertreffen. Nachdem er nun auch noch dazu übergegangen ist, sein Menü nicht ständig zu verändern, sondern die allerbesten Gerichte – so lange es die Saison zulässt – längere Zeit im Menü zu lassen, gibt es bei ihm Essen von quasi perfekter Qualität. Elverfeld hat qualitativ durchaus gewisse Phasen hinter sich, zum Beispiel jene Phase vor einigen Jahren, in der er mit der Bodenständigkeit/Rustikalität von Gerichten experimentierte. Das hat sich alles gelöst und entwickelt und ist zu einer Küche zusammengewachsen, die aufs Beste enorme Finesse mit einer klaren Individualität verbindet. Der Geschmack seiner Gerichte ist heute bis in kleinste Nuancen differenziert, wobei sich aromatische Aspekte, Texturen und Temperaturen in einer bestechenden Balance befinden. Ein großes Plus ist die Arbeit mit dem assoziativen Kontext, mit den Erinnerungen der Gäste, ihren Vorerfahrungen, mit traditionellen Geschmacksbildern. Seine Küche hat Nähe, und das in verschiedener Hinsicht: es kann die Nähe der traditionellen Küche bürgerlicher Prägung sein, es kann aber auch der große Fundus an kulinarischen Erfahrungen sein, den echte Feinstschmecker besitzen, die Jahrzehnte von Erfahrungen mit Spitzenküche scannen können. Elverfeld hat sich zudem längst von Gerichten verabschiedet, die einen allzu großen aleatorischen Anteil haben, von Assemblagen, bei denen nie sicher ist, ob die Gäste wirklich mitbekommen, was es mitzubekommen gibt. Er ist entschieden geworden, klar in den Formulierungen und so, dass man sozusagen jedem Ton anmerken kann, dass er aus einer hervorragenden Küche kommt. Es ist mir bisher äußerst selten passiert, dass ich von der Qualität jedes einzelnen Ganges so überzeugt war, wie bei Sven Elverfeld 2019.

Im „FAZ Quarterly“ analysiert:
Gillardeau-Auster mit Rinderrohfleisch, gelierter Essenz, Pinienkernen, Nonpareilles und Sardellen-Zwiebelcreme
Unser Onsen-Eigelb „mariniert“, Nordseekrabben, Blattspinat und Piment d’Espelette
Reh aus heimischen Wäldern, Spitzkohl, Kräutersaitlinge, Graubrot und Sojastaub

Jan Hartwig
Jan Hartwig hat seit seinem Beginn im „Atelier“ eine enorme Entwicklung genommen. Die Zeiten, in denen er manchen Beobachtern als eine mehr oder weniger individuelle Kopie von Sven Elverfeld galt, sind längst vorbei – allerdings noch nicht allgemein bekannt. Ein wenig ist es so, als ob man über Jan Hartwig und bestimmte Elemente seiner Arbeit redet, und während dann die ein oder andere Geschichte die Runde macht, ist er längst weiter. Seine spektakulären Anrichteformen zum Beispiel wurden vielfach bemerkt und in ihrer kulinarischen Substanz (die sie immer hatten) angezweifelt. Natürlich muss ein Koch wie Hartwig, der sich um ein gutes internationales Standing bemüht, gute Bilder erzeugen. Tatsächlich sind seine Entwicklungen aber andere, und sie gehen in eine Richtung, die man nur als „Kochkunst pur“ bezeichnen kann. Es geht ihm um den Geschmack der Gerichte, und da arbeitet er in einer Weise, wie ich sie nur extrem selten erlebt habe (wenn überhaupt). Hartwig hat offensichtlich eine Vorstellung von Geschmack und den geschmacklichen Möglichkeiten von Produkten und Zubereitungen, die eine enorme Tiefe und Subtilität besitzt. Wenn er sich – wie in einem Beispiel im Quarterly – ein Schmorgericht vornimmt, erreicht er heute Qualitäten, die weit über das hinausgehen, was man früher einmal als „hervorragende Küche“ bezeichnet hat. Es fällt sogar schwer, bei diesen Geschmacksbildern noch von „Optimierungen“ zu reden, weil dieser Begriff ja ein wenig voraussetzt, dass man weiß, in welche Richtung die Reise geht. Es fällt auch schwer, nur von „Individualisierungen“ zu reden, weil der optimierende Anteil eben offensichtlich so groß ist. Tatsächlich weitet Jan Hartwig im Moment unser Verständnis von dem, was man an Qualität erreichen kann, teilweise deutlich aus. Besseres kann man über einen Koch kaum sagen. Und – noch ein kleiner Hinweis: lassen Sie sich durch die Beschreibungen der Elemente eines Gerichtes nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten. Ich persönlich bin zum Beispiel schnell mißtrauisch, wenn bei Fisch Früchte eine große Rolle spielen. Dann kam ein Hartwig-Gericht (das ebenfalls im Quarterly besprochen ist) und hat eben deutlich gemacht, dass es keinerlei Vorurteile geben darf und alle Dinge zu höchster Qualität gebracht werden können.

Im „FAZ Quarterly“ analysiert:
Seeforelle in Schnittlauchbutter, getrocknete Tomaten, Pinienkerne und fermentierter Pfirsichtee
Kalbsbäckchen, in Burgunder geschmort, Ochsenmark, Petersilienspinat, römische Nocke und Radicchio-Vinaigrette
Lammrücken vom Franz, Polenta, Ziegen-Vacherin, in Salz gegarte Bete, Anchovis-Zitronen-Confit und Pistou-Jus

Marco Müller
Marco Müller geht es wie vielen Köchen, die über ein kräftiges Selbstbewußtsein verfügen: sie haben nicht ganz die gleiche Lobby wie angepaßtere und/oder zurückhaltendere Kollegen. Ansonsten wäre nämlich nicht zu verstehen, warum er mittlerweile noch keine Höchstnotenversammlung hat. Vielleicht ist das Restaurant ja auch nicht genug Gourmettempel… Wie dem auch sei: Müller befindet sich jederzeit in der kreativen Spitze des Landes, und es gibt gute Gründe, seine Menüs aus 2019 für die besten kreativen Menüs des Landes zu halten. Ich halte sie dafür und habe deshalb in der letzten Zeit eine Menge über diese Küche geschrieben. Stilistisch ist der Hauptpunkt die Zusammenführung von Avantgarde-Elementen und einer Küche mit einer hohen assoziativen Ladung. Zu dieser Ladung zählen bei ihm nicht nur der ein oder andere, meist eher zitierte als ausgewalzte traditionelle Inhalt, sondern auch eine ganz Reihe von Assoziationen die zum Beispiel aus dem künstlerisch-ästhetischen Bereich kommen. Müller spielt zuerst mit der Form, mit dem, was wir erwarten, wenn wir ein Gericht vorgesetzt bekommen. Diesem Spiel folgt das Spiel mit traditionellen Aromen, mal zitiert, mal verfremdet/dekonstruiert. Gefolgt von einem befreiten Spiel mit den Elementen, wenn man sie als das nimmt, was sie sind und von allzu viel Überlagerungen befreit. Das ist höchst intelligent gemacht und voller Besonderheiten und Höhepunkten. Dass er sich gleichzeitig bemüht, auch den klassischen Qualitäten der Kochkunst (also Garungen und Aromatisierungen) noch weitere Spitzen abzugewinnen, macht das Essen auch für traditionelle Gourmets höchst interessant. Marco Müller gehört in die allererste Reihe, zum Beispiel weil er gegenüber manchen Kollegen dort nicht von den typisch deutschen Mainstream-Viren befallen ist. Wer bei ihm noch nicht gegessen hat, sollte das erst einmal tun.

Im „FAZ Quarterly“ analysiert:
Quellforelle, Molke und Kohlrabi, Steinbutt-Bottarga
Waldboden und trocken gereiftes Rind
Schweinekinn und Wacholdergrün, Mairüben in Variationen

Felix Schneider
Felix Schneider ist ein ganz anderer Fall als seine Kollegen. Nachdem seine Bemühungen um eine optimierende Gestaltung seiner Gerichte und mehr Finesse auch bei Michelin zu Anerkennung geführt haben, ist ein wichtiges Anfangsproblem im „Sosein“ beseitigt. Seine Gerichte sind mittlerweile sehr viel besser kommunizierbar und nicht – wie das anfangs gesehen werden konnte und gesehen wurde – schon mal eher spröde Demonstrationen. Der Grund für seine Aufnahme in diese Auswahl ist seine Stilistik, die gerade heute und gerade unter allen Aspekten von Natürlichkeit und Naturerhaltung und ökologischen Zusammenhängen allergrößte Zukunftsperspektiven hat. Schneider geht auf die Dinge zu, mit wachen Wahrnehmungen und nicht mit der Frage, wie man sie denn nun in das verwandeln kann, was allgemein als übliche Zubereitung gilt. Die Suche nach Produkten aus der Umgebung ist immer eine Suche nach dem kulinarischen Potential der Produkte. Und ihr Potential erschließt sich oft erst dann, wenn man sie von dem „Ballast“ befreit, den sie in der Küche seit Urzeiten bisweilen haben. Was bleibt, steht aber nicht allein und schutzlos da, und muss beileibe nicht in allerkürzesten Mini-Nova-Regio-Gerichten demonstriert werden. Was bleibt, hat eine erstaunlich gute Perspektive in Zusammenarbeit mit anderen „Purismen“. Natürlichkeit plus Natürlichkeit ergibt eben nicht wieder „nur“ Natürlichkeit, sondern einen anderen Kosmos an Interaktionen. Darum geht es hier, und auf dem Weg zu dieser wahrlich reformerischen Küche hat Felix Schneider mittlerweile beträchtliche Fortschritte gemacht. Darum gehört er in diese Riege unserer besten und interessantesten Köche, denen vor allem Eines gemeinsam ist: sie weisen auf die Zukunft.

Im „FAZ Quarterly“ analysiert:
Salatstrünke und Kräuter
Lamm
Terroir Wald

Fotos © Annette Apel

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