Ganz kleines Karo in Wien. Die lokalen Journalisten kommen mit dem dritten Stern für Juan Amador nicht zurecht

Eigentlich müßte sich jeder, der irgendetwas mit gutem Essen zu tun hat, über den dritten Stern für Juan Amador in Wien freuen. Es trifft schließlich einen Koch, der das Kunststück vollbracht hat, in drei verschiedenen Restaurants dieses Niveau zu realisieren. Jeder Praktiker weiß, dass so etwas nicht von heute auf morgen geht, sondern akribische Arbeit in einem komplizierten, multifaktoriellen System voraussetzt. Die Auszeichnung für Juan Amador trifft also einen echten Profi, einen echten Meister seines Faches.

Dem ein oder anderen Kollegen in Österreich passt das aber offensichtlich gar nicht. Die Reaktionen auf die Ehrung Juan Amadors zeigen teilweise ein überraschend niedriges Reflektionsniveau, sind unsachlich, unlogisch, auch aufgeregt und verraten zudem im Hintergrund erstaunlich autoritäre Positionen. Ich habe einige der Aussagen zusammengestellt und kommentiert.

Hier die Aussagen von Journalisten in wörtlichen Zitaten oder als Thesen zusammengefasst (soweit die Zuordnung möglich ist):

Juan Amador
Juan Amador, Foto: Inge Prader
Aussage: „Michelin favorisiert offenbar einen Küchenstil, der die Region nicht abbildet“ (Severin Corti im „DerStandard“ vom 29.3.2019)
Die Aussage stimmt nicht. Im Michelin wurden und werden immer wieder Restaurants ausgezeichnet, die eine deutlich regional bis lokal geprägte Küche anbieten. Das Spektrum reicht vom Drei Sterne – „Maaemo“ in Oslo und vielen anderen skandinavischen Restaurants bis zu Felix Schneider vom „Sosein“ in Heroldsberg (jüngst 2 Sterne) oder dem Österreicher Sebastian Frank vom „Horváth“ in Berlin (zwei Sterne), der sich dort z.B explizit mit seinen kulinarischen Wurzeln in Österreich befaßt. In Frankreich selber werden in allen Regionen seit Urzeiten Restaurants mit intensiven regionalen Bezügen ausgezeichnet.

Aussage: Österreichs Köche müssten bei einem eigenen Michelin-Führer für Österreich ihre Ausrichtung ändern, weil Michelin so abgehoben von lokalen Küchentraditionen benotet (Corti)
Das müssten die Köche ganz sicher nicht – siehe oben. Michelin benotet nicht „abgehoben von lokalen Küchentraditionen“. Es könnte höchstens sein, dass man über eine höhere Bewertung lokal/regional orientierter Küchen diskutieren kann. Die Frage, wie denn eigentlich eine perfekte, traditionelle Regionalküche bewertet werden sollte, ist noch nicht wirklich beantwortet.
Man sollte allerdings wissen, dass Severin Corti den österreichischen Slow Food-Führer mitverantwortet und insofern an einem Konzept beteiligt ist, das die besten Küchen – selbst solche mit starken regionalen Bezügen und einer möglichen Vorbildfunktion – aus dem Führer ausschließt. Das klingt nach einem ungelösten Widerspruch.

Aussage: Amador hat einen Küchenstil, der sich auf teilweise jahrzehntealte „Signature-Dishes“ konzentriert (Corti)
Diese Aussage wirkt bei Corti kritisch bis abfällig und nicht als sachliche Feststellung. Man kann aus der Tatsache, dass Juan Amador auch Gerichte anbietet, die er so oder ähnlich schon längere Zeit im Programm hat, keineswegs Negatives folgern, ganz im Gegenteil. Es war und ist immer wieder zu bedauern, dass Köche hervorragende Gerichte nicht weiterhin anbieten, sondern sich dem nicht selten modischen Diktat einer steten Veränderung/Anpassung ihrer Karte beugen. Dass zum Beispiel Marc Haeberlin in der „Auberge de l’Ill“ Traditionsgerichte aus der Hand seines Vaters anbietet, ist ein Gewinn für die gesamte Gourmandise, weil es mittlerweile nur noch wenige Restaurants gibt, in denen man solche Geschmacksbilder finden kann.

Zudem impliziert diese Aussage abermals einen immanenten Widerspruch. Wenn man denn jemals auch eine perfekte klassische Wirtshausküche in den Rang von hohen Bewertungen in den Restaurantführern befördern würde (was ja im Sinne des Autors sein müßte), wären diese Gerichte möglicherweise noch viel älter.

Und noch etwas: soweit mir bekannt ist, haben die Wiener Philharmoniker immer wieder Stücke im Programm, die sogar schon seit Jahrhunderten gespielt werden…

Aussage: Amador verwendet importierte Luxusprodukte (Corti)
Auch diese Aussage ist bei Corti kritisch gemeint und keine sachliche Feststellung. – Es ist immer wieder unschön, wie sich im kulinarischen Journalismus autoritäre Strukturen zeigen, wie offensichtlich der Versuch gemacht wird, einseitige Vorstellungen von guter Küche durchzusetzen. Allgemein sollte in diesem Zusammenhang gelten, dass die wenigen Spitzenrestaurants – und zumal die kreativen unter ihnen – „Artenschutz“ genießen müssen. Auch die Kochkunst braucht Freiheiten, und zwar nicht nur hinsichtlich der Kreativität im engeren Sinne, sondern auch hinsichtlich der verwerteten Produkte und der Setzung qualitativer Maßstäbe. Man kann ohne weiteres versuchen, eine andere Position zu definieren, also etwa dafür zu werben, ausschließlich mit regionalen Produkten zu arbeiten. Hier aber wieder einmal und immer noch das alte Luxus-Vorurteil auszupacken, verrät keine besondere Übersicht.

Aussage: Bei Amador/Michelin handelt es sich um eine inzwischen sehr überkommene Idee von feinem Essen
Bei dieser Aussage ist wohl der Wunsch oder die private kulinarische Politik Vater des Gedankens. Amador ist mit seiner Küche kein Aussenseiter, sondern befindet sich in bester Gesellschaft. Die Idee von feinem Essen hat darüber hinaus unterschiedliche Aspekte. Ihre wichtigsten sind nach wie vor handwerkliche Qualitäten und nicht unbedingt ästhetische Aspekte im weiteren Sinne. Wenn man sich heute von der sehr oft unersprießlichen Hektik um neue Restaurantformate und eine angeblich neue Art des Essens so anstecken lässt, dass man höchste handwerkliche Qualitäten als „überkommen“ bezeichnet, begibt man sich in Gefahr, eine handwerkliche Erosion der Kochkunst zu betreiben.

Aussage: „Das ist ein Offenbarungseid für den Guide Michelin, weil er zeigt, dass er mittlerweile fachlich irrelevant ist“ (Florian Scheuba, Kabarettist und Food-Journalist)
Es gilt das oben gesagte. Kochkunst kann diverse Aspekte von höchster Qualität annehmen. Man sollte die unterschiedlichen Aspekte akzeptieren, ja sogar dafür eintreten, dass auch sehr unterschiedliche Aspekte gleichrangig gesehen und bewertet werden. Das Publikum liebt die Vielfalt, die Kritiker auffällig oft nicht. Das Publikum der Spitzenküche hat einen oft erstaunlich hohen toleranten Anteil, die Kritiker oft nicht. Das Publikum will auch nicht immer recht behalten…

Aussage: Im Falle Amador wird eine Küche forciert, die nicht 2019 ist (Scheuba)
Diese Aussage scheint mir aus dem Sprachkatalog von Schickimicki-Bobos zu stammen, für die es nur noch von Interesse ist, das Neueste zu konsumieren oder Dinge zum letzten Schrei auszurufen. Die Aussage kann man zudem mit etwas schlechtem Willen auf rund 95% der Sternerestaurants beziehen, je nachdem, wie eng man die Dinge betrachtet. Eine solche Formulierung, die in manchen Kreisen als eine ultimativ herablassend-herabmindernde Formulierung gilt, ist inhaltlich kompletter Unsinn.

14 Gedanken zu „Ganz kleines Karo in Wien. Die lokalen Journalisten kommen mit dem dritten Stern für Juan Amador nicht zurecht“

  1. Also ich freue mich für ihn. Bin aber der Meinung das es bessere gibt in Österreich, und unter denen sind auch deutsche Köche. Die ganze Bewertung kannst ja sowieso nicht vereinheitlichen da eh jedem alles anders schmeckt. 10 Tester -> 10 verschiedene Ergebnisse.

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    • Lieber Klaus M,
      sie haben Recht und das wirft ein schlechtes Licht auf die Tester, denen es meist an einer adäquaten Ausbildung mangels. Ich fände es gut, wenn es demnächst einmal ein Konzept zur Ausbildung zertifizierter Gastronomiekritiker gäbe. Da könnte dann einmal definiert werden, was man eigentlich können und wissen sollte, das könnte die geschmackliche Wahrnehmung trainiert und überprüft werden und vor allem das Denken in großen Zusammenhängen um dieser komplexen Materie gerecht zu werden.
      Ich habe vor vielen Jahren schon einmal für die Deutsche Akademie für Kulinaristik Kurse für Kritiker durchgeführt. Teilnehmer waren viele nette und gute Leute, aber kaum jemand, der wirklich täglich mit der Materie zu tun hat und schon gar nicht diejenigen, die sich in großen Medien über Restaurants verbreiten dürfen…

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  2. Severin Corti ist EIN Kritiker.
    Florian Scheuba wird im Artikel als „Food-Journalist und Kabarettist“ bezeichnet.
    Macht also insgesamt zwei Kritiker.

    Gegen die Verallgemeinerung „die lokalen Journalisten“ möchte ich mich hiermit verwehren.
    Ich lasse mir die Freude über die drei Sterne jedenfalls nicht trüben.
    Ein weiteres Mal: Herzliche Gratulation an Juan Amador und sein Team!

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  3. der in meinen augen entscheidenste aspekt ist noch nicht genannt worden, ich presche mal vor und nenne das problem, dass teile der wiener gastrokritik zu haben scheinen : nicht das steirereck hat den 3. stern geholt, sondern amador. die erneuerer der wiener küche, die förderer lokaler spezialitäten und traditionen stehen bei zwei sternen; der aus deutschland importierte amador, der so kocht, wie er es auch sonst wo weltweit tun könnte, der keine nennenswerte wiener tradition zu haben scheint, hat drei. eine zum himmel schreiende ungerechtigkeit, die die freude über den 3, stern gehörig vermiest und amador zum schuldigen einer nicht nachvollziehbaren michelinpolitik macht.

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  4. der deutsche amador , wurde von einem authentischen urwiener nach wien geholt und von daher ist sein erfolg auch ein wiener erfolg ! wo zur hölle ist dann da das problem ? die 3 sterne sind das produkt eines weitblickenden , traditionellen wiener heurigenschenkers und winzers aus stammersdorf , der den richtigen riecher gehabt hat , den mann nach wien an einen herd in ein lokal im 19ten zu holen , das er aufgesperrt hat . der erfolg ist ein am ende ein wiener kind ! fair ! also…seid ein bisserl versöhnlicher . die ausführungen von helmut knall leuchten ob ihrer logik auch ein !

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  5. Als überzeugter Österreicher bin ich sehr stolz auf den Deutschen, der uns den herbeigesehnten 3. Stern geschenkt hat. Respekt und Gratulation an Juan Amador und seinem Team. Die Wiener Nörgler und Giftspritzer gehören halt zur Österreichischen Kultur wie der Senf zum Würstl und der Kasperl zum Krokodil. Sachlichkeit und Freude am Erfolg Anderer sind in Wien keine Königsdisziplinen.

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    • Wenn der Österreicher Sebastian Frank in Berlin mit seinem „Horvath“ einen dritten Stern bekäme, gäbe es wohl kaum kritische Stimmen…Ich jedenfalls würde mich darüber keinesfalls beschweren..

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  6. Statt sich einmal wirklich zu freuen, wird wieder das „Salz in der Suppe“ gesucht. Ich hatte die große Freude Juan Amador hier in meinem Weinclub auf Mallorca begrüssen zu dürfen. Juan hat hier für 24 Mitglieder ein Essen gezaubert, über das wir heute noch schwärmen. 3 Sterne fallen nicht vom Himmel. Juan ist ein Ausnahmekoch und sollte auch als solcher angesehen werden. Wir freuen uns schon auf seinen erneuten Besuch am 15. Juli und wünschen ihm, dass derartige Kommentare ihm nicht die große Freude an dieser wunderbaren und verdienten Auszeichnung nehmen.

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  7. Ich würde die Meinung der beiden, die im selben Medium publizieren, jetzt allerdings nicht als generelle Kritik aufwerten. Denn so stimmt es nicht. Die überwältigende Mehrheit der Branche gratuliert Juan Amador und ist froh, dass es endlich einen Drei-Sterner in Österreich gibt.
    Die Kritik richtet sich gegen Michelin, die Österreich halt nie wirklich ernstgenommen haben, zuerst die Österreich-Ausgabe zu spät gegründet hatten und kurz darauf wieder einstellten, weil hier mit Gault Millau und A la Carte bereits die Platzhirschen festgelegt waren. Wenn man dann eben Österreich mit der deutschen Mannschaft „nebenbei“ mitbetreut – und dabei nur Wien und Salzburg überhaupt bearbeitet, dann entstehen halt im Lauf der Zeit Animositäten. Gegenüber dem Verlag, nicht gegenüber Juan.
    Dass es andere Lokale in Österreich gibt, die über Jahre Höchstleistungen bringen, ist Fakt. Denn die stehen in internationalen Rankings anderer Guides ziemlich weit vorn. Ob sie nun 2 oder 3 Michelin-Sterne wert sind, wenn sie in einer der beiden Städte liegen, ist halt Ansichtssache. Aber ausser Corti und Scheuba eifert eigentlich kaum jemand deswegen.
    Lieben Gruss aus Wien
    Helmut O. Knall
    Editor Wine-Times

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    • ….Herr Knall hat hier alles wunderbar formuliert…..stimme ihm zu!…. ( den Kabarettisten Scheuba würd ich nebenbei als Hobbykritiker bezeichnen…)

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    • Lieber Herr Knall,
      ich habe Ihren Text gelesen. Für mich sind das zwei Sachen. Ich habe es immer als eine unmögliche Angelegenheit bezeichnet, dass Michelin für Österreich keinen Führer mehr hat und damit eine ganze Reihe von hervorragenden Köchen keine Bewertung (nebst der damit verbundenen Promotion) haben. Bei Leuten wie Dollerer oder den Obauer-Brüdern geht es da um wenige Kilometer… Ich habe auch schon einen Michelin-Alps vorgeschlagen…

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  8. ICH BIN ENTSETZT!! Wie kann man eine Spitzenleistung so herabwürdigen. Ich weiß jetzt warum der Michelin Österreich eingestellt wurde. Die Verantwortlichen vom Michelin haben schnell erkannt das Sie von vielen Gastronomen an der Nase durch dir Arena geführt werden.

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