Gusto 2019/2020. Die besten Restaurants und Landgasthäuser aktuell getestet und bewertet. 29,90 Euro inkl. Online-Login

Der Gusto-Restaurantführer machte kürzlich Schlagzeilen, weil sich der ZS-Verlag vom Gault-Millau-Führer getrennt hatte und ankündigte, in Zukunft stattdessen mit dem Gusto zusammenzuarbeiten. Als Begründung wurde unter anderem die mangelnde Unterstützung beim Gault-Millau für die Online-Aktivitäten genannt. Beim Gusto sieht die Lage tatsächlich deutlich anders aus. Man aktualisiert online mittlerweile die Daten zeitnah nach einem Besuch. Der heute erscheinende Führer in Buchform ist insofern eine Art Zusammenfassung zum Stichtag und vor allem für die Veröffentlichung der Sonderpreise des Jahres gedacht. Nach anfänglichen Irritationen wegen der Gebühr für Restaurants für eine umfangreichere Berichterstattung (wer nicht zahlt, wird dennoch besucht, bekommt aber nur einen kleinen Text) hat sich bei den Restaurants ein Pragmatismus und die Einsicht durchgesetzt, dass man mit dieser Art der Finanzierung einer weitgehend sachlichen Berichterstattung gut leben kann.

Grundsätzliches und Schwachstellen
Ich plädiere seit langem für eine realistischere Bewertung, die nur noch theoretische Höchstnoten kennt. Natürlich gibt es Gerichte, die man sich nicht besser vorstellen kann. Aber jedes Spitzenrestaurant hat auch eine ganze Reihe von Gerichten, auf die eine solche Beurteilung nicht zutrifft. Im ersten Moment mag eine realistische Bewertung nicht besonders kommerziell erscheinen. Aber – gerade in einer Zeit, in der es vor Bewertungen nur so wimmelt, wäre eine realistische Bewertung ein neuer Wert, der dafür sorgen könnte, das Vertrauen in Bewertungen allgemein wieder deutlich zu erhöhen. Im Falle Gusto zum Beispiel gäbe es kein Problem, wenn es eine theoretische Höchstnote von – sagen wir: 12 gäbe. Von diesem theoretischen Wert eines absoluten Spitzenrestaurants hätten die Gusto-Maximalbewertungen von 10 mit einem Pfeil nach oben dann einen nachvollziehbaren Abstand.

Auch die Begründungen für die jeweiligen Bewertungen sind – wie bei fast allen Führern – in ihrer positiven Ausrichtung zu extrem. Ich habe dazu hier auf www.eat-drink-think.de bereits einen ausführlichen Text geschrieben. Die 10 Pfannen mit einem Pfeil nach oben etwa werden für „Perfektion in allen Bereichen, keine Qualitätsschwankungen“ vergeben. Ein Restaurant, auf das so etwas zuträfe, ist mir in meinem ganzen Leben noch nie begegnet. Diese – natürlich für die Restaurants immer sehr gut zitierbare – Positivismen ziehen sich durch alle Bewertungsstufen. Wenn ein ganz normaler Gast auf der Website eines Restaurants liest, bei Gusto hätte man das Restaurant mit Begriffen wie „Sehr gute, handwerklich sorgfältig zubereitete Küche aus überdurchschnittlichen Produkten“ oder „es wird klar auf überdurchschnittlichem Niveau gekocht“ eingestuft, könnten seine Erwartungen die Leistungen deutlich übertreffen. Bei Gusto ist das nämlich nur die Note 6.

Und eine solche Note wäre dann im Vergleich zum Gault Millau (Höchstnote 20) wie 12 Punkte – wenn man die Sache einfach einmal halbiert bzw. verdoppelt. Wenn man so verfährt – was ja eigentlich naheliegend ist – hätten dann Heinz Winkler, das Sosein oder das August und eine ganze Reihe weiterer Restaurants 16 Punkte – obwohl sie im Michelin zwei Sterne haben. Und – es hätten gleich 17 Restaurants (= 10 Pfannen oder 10 Pfannen plus Pfeil nach oben) die Höchstnote 20.

Das klingt dann doch ein wenig merkwürdig und erinnert fatal an die Arbeit von Führern wie Aral und Co., die ziemlich locker mit den Höchstnoten um sich werfen. Dass die Texte durchaus ihre differenzierenden Seiten haben, spielt in der primären Außenwirkung dann kaum eine Rolle.

Ergebnisse
Dennoch lohnt natürlich ein Blick auf die Bewertungen im Detail. „Koch des Jahres“ ist Torsten Michel von der „Schwarzwaldstube“, also der gleiche Koch, den ich auch bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in diese Position gewählt habe. Hier hat man bei „Gusto“ offensichtlich ebenfalls die Entwicklung in den letzten 1 ½ Jahren mitbekommen und daraus sinnvolle Konsequenzen gezogen. Auch der „Aufsteiger des Jahres“ ist bemerkenswert. Stefan Ruggaber vom „Lamm“ in Rosswag hatte mich bei meinem letzten Besuch sehr positiv überrascht. Ich hatte darauf hingewiesen, dass ähnliche Küchenleistungen an anderer Stelle mit zwei oder drei Sternen belohnt werden (Ruggaber hat nur einen). Weitere Auszeichnungen gehen an Stephan Krogmann vom „Gutshaus Stolpe“ (8, Newcomer des Jahres), Jakub Koscielniak vom „Skykitchen“ in Berlin (Sommelier des Jahres) oder das „luma by Dyllong & De Luca“ in Dortmund (Neueröffnung des Jahres).

Die absolute Spitze scheint mit sechs Restaurants nicht sehr breit, hat aber mit Michel, Hartwig, Elverfeld, Bau, Fehling und Otto auch echte Schwergewichte. Interessant ist – neben der Abweichung vom Michelin beim Adlon Esszimmer – die Distanz zu anderen Drei-Sterne-Größen und damit eine doch beträchtliche Differenzierung. Wissler, Erfort, Jürgens und Rambichler gehören in die zweite Gruppe (10, ohne Pfeil nach oben), Lumpp vom „Bareiss“ gar in die dritte (9, Pfeil nach oben).

Gut gefällt mir die Platzierung von Kreativen wie Sebastian Frank vom Horvath in der zweiten Gruppe (10 ohne Pfeil) und Marco Müller vom Rutz in der dritten (9 mit Pfeil). Große Diskrepanzen zu anderen Führern gibt es zum Beispiel bei Harald Rüssel (8, ohne Pfeil) oder Tim Raue (9, ohne Pfeil).

Fazit
Der Gusto hat mittlerweile seine Freunde, und dies vor allem wegen der im Vergleich zum Gault-Millau sachlicheren und nicht so polemischen Texte. Offensichtlich hat man unter den Testern nicht so viele Dominanzler und Oberlehrer wie beim Gault-Millau, der nun durch die Trennung vom SZ-Verlag erst einmal einen weiteren Imageschaden hinnehmen muss. Dennoch bleibt man ein klassischer Gourmetführer, eben letztlich eine Variante zu Gault-Millau und keine vollständige, konsequenten Alternative. Das liegt vor allem auch daran, dass man – wie bei den anderen Führern – noch keine Lösung für die sachgerechte Bewertung von Regionalküche und Co. gefunden hat, also für Küchen, die in ihrer Art exzellent sind, sich aber deutlich vom Typus des üblichen Gourmetrestaurants unterscheiden. Die gegenüber anderen Führern auffälligere Öffnung gegenüber den Kreativen ist zweifellos ein gutes Zeichen, könnte aber auch noch entschiedener ausfallen.

9 Gedanken zu „Gusto 2019/2020. Die besten Restaurants und Landgasthäuser aktuell getestet und bewertet. 29,90 Euro inkl. Online-Login“

  1. Hallo Herr Dollase, viel zu positive Bewertungen , zu pauschale Bewertungen, Bewertungen ohne klare Grundlage sind ein grosses Ärgernis, das sehe ich genau so wie Sie. Ihre Forderung nach Einführung einer als unerreichbar zu denkenden Höchstnote 12 halte ich für problematisch und unsinnig. Ich bin Lehrerin und habe es jeden Tag mit Noten zu tun, die mit einem Spektrum von 1-6 bzw 0-15 beschrieben werden. Jede Notenstufe muss für jeden Schüler, jede Schülerin erreichbar sein. Lege ich als Lehrerin das Leistungsniveau so, dass ich einen unrealistisch hohen Erwartungshorizont ansetze, so vermeide ich zwar Spitzenwertungen, bekomme aber Wertungen, die im oberen Leistungsbereich verzerrt sind. Das würde in Konsequenz bedeuten, dass jegliche Binnendifferenzierung und die Förderung leistungsstarker und -williger Schülerinnen und Schüler Mumpitz ist, weil ich von vorn herein auf mittleres Niveau abziele. Übersetzt heisst das für die Restaurantkritik, dass “ starke“ Köche an theoretisch zu erreichenden Phantasiewertungen nicht wachsen können, weil es keine Luft nach oben, sondern einen Deckel gibt und dass die Phantasienote 12 im guten/zufriedenstellenden Leistungsbereich realistische Einschätzung erschwert, statt sie genauer zu machen.

    Antworten
  2. „Ein Restaurant, auf das so etwas zuträfe, ist mir in meinem ganzen Leben noch nie begegnet.“
    Dies ist sehr betrüblich. Dann folgen Sie doch vielleicht einmal dieser Empfehlung:
    https://www.faz.net/aktuell/stil/essen-trinken/das-besondere-restaurant-die-ganz-grosse-kulinarische-oper-13812908.html
    Die Bewertungen sind mehr als vielversprechend:
    „von max. 10:
    Produktqualität 10
    Handwerkliche Qualität 10
    Komposition & Struktur 10
    Kreativität 10
    Zuverlässigkeit 10
    Service 10
    Preis-Leistungs-Verhältnis 10“
    Auch wenn diese Bewertungen nicht ganz mit Ihrem „Ich plädiere seit langem für eine realistischere Bewertung, die nur noch theoretische Höchstnoten kennt“ übereinstimmen und „fatal an die Arbeit von Führern wie Aral und Co., die ziemlich locker mit den Höchstnoten um sich werfen“ erinnern, könnte dies ja vielleicht doch etwas sein.

    Beste Grüße

    Antworten
    • Lieber Marius,
      die Zeit scheint mir bei weitem noch nicht reif für ein realistisches Bewertungssystem zu sein. Bis es soweit ist, bediene ich ein System, das bekannt ist und den allgemein eingeübten Erwartungen entspricht. Meinen eigenen Vorschlag für ein realistisches Bewertungssystem, das zudem verschiedene Probleme mit der Bewertung von regionaler Küche oder kreativer Küche löst, habe ich hier auf http://www.eat-drink-think.de unter dem Titel „Das Bonus-Malus-System“ in der Rubrik „Gastronomie“ bereits vorgestellt.
      Gruß JD

      Antworten
  3. Erstens: die Trennung vom ZS-Verlag ist für die globale Marke Gault-Millau kein Imageschaden, sondern ein Imagegewinn.

    Zweitens: der unterhaltsam-kritische, amüsierende, gelegentlich auch mal spitze und pikante Ton (was ein Koch – egal ob Brogsitter selig oder Veyrat – für Hochverrat in Tateinheit mit Majestätsbeleidigung und Blasphemie hält, ist in vielen anderen Bereichen längst ganz normal sachbezogene Kritik; nur noch Journalisten sind ähnlich empfindlich, nicht einmal mehr Musiker) ist kein Adiaphoron, sondern der MarkenKERN des Gault-Millau.
    Diesen – vorübergehend – anlässlich einer sich beleidigt dünkenden Karen Morandin (netzöffentlich protestierende Saaltochter beim Dorfwirt – doch, so heißt der Laden wirklich) aufgeben zu wollen zugunsten einer Heilen Welt, wir drucken einfach nur noch (veraltete) Speisekartenauszüge ab, alles was zukünftig sonst noch inhaltlich gedruckt wird, ist nunmehr positiv (O-Inhalt der Verlegeräußerung von Jürgen Brandt) und alle unsere Tester heißen jetzt ex officio Pittiplatsch (scil. „der Liebe“), war daher erstens grundverkehrt, und zweitens eine Selbstaufgabe dessen, was gerade diesen Guide ausmachte. Dann brauhct man den GM aber nicht mehr.

    Drittens: die Qualität der Gault-Millau-Tester gerade in der Fläche ließ oft zu wünschen übrig. Vielfach wurden Erstbewertungen über Jahre hindurch stumpf perpetuiert, Wandel wurde nicht oder nur sehr verspätet wahrgenommen, Restaurants wurden verwechselt (Oberbergen !), und die Wahrnehmungslatenz für gute Newcomer betrug zuletzt zwischen 3 und 4 Jahren (!!). All das ist eigentlich, wenn wir ehrlich sind, nicht tragbar, im digitalen Zeitalter gleich doppelt nicht. Ebensowenig wie Klischeephrasen zum Weinangebot. Das schadet gerade guten Beginnern, die eh‘ schon zu kämpfen haben. Das klar beste Restaurant Freiburgs etwa erschien durch mehrere Jahre hindurch niemals im GM, bis es schließlich schloss.

    Viertes: mehr Sachlichkeit und eindringlichere, förderlichere Kritik (statt sich über die Art des Eingießens zu mokieren, was aber auch im GM die ganz große Seltenheit und Ausnahme war) scheitert nicht nur an den Testern – berühmte Phrase: „Ich habe kochen gelernt, jetzt sollen die essen lernen !“ -, sondern vor allem an Redaktion, verfügbarem Platz und dem Wunsch, nicht nur den ersten Rang, sondern auch die „rank and file“ in der Provinz präsentieren zu können.

    Viertens: Inflation bei hohen Bewertungen war in meiner Sicht eher ein Problem des GM-Weinführers als des Restaurantguides. Unzuverlässig – weil völlig arbiträr – war eher der Bereich zwischen 12,5 und 16.

    Fünftens: nicht erst seit dem OLG Köln vor ein paar Jahren wird bei Abwertungen eine „Zweitbegutachtung“ gefordert. Ich halte das auch sachlich für geboten und fair. Ob GM jedes Restaurant jedes Jahr erneut durch zwei Leute hat testen lassen, weiß ich nicht.

    Antworten
    • Lieber Alexander,

      vielen Dank für den Kommentar. Ich verfüge nach wie vor über eine ganze Sammlung von Hintergrundinformationen, die teilweise wirklich bizarr sind. Ich weiß allerdings noch nicht, ob ich sie jemals einsetzen werde. Gruß JD

      Antworten
    • Lieber Alexander,

      vielen Dank für den Kommentar. Ich verfüge nach wie vor über eine ganze Sammlung von Hintergrundinformationen, die teilweise wirklich bizarr sind. Ich weiß allerdings noch nicht, ob ich sie jemals einsetzen werde. Gruß JD

      Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Marius Antworten abbrechen