Heiko Antoniewicz: Aromen. Das Kochbuch. Kreativ kombinieren für neue Geschmackserlebnisse. Dorling Kindersley Verlag, München 2021. 239 S., geb., Hardcover, 28 Euro

Der wichtigste deutsche Impulsgeber für neue Techniken und Ideen geht mit diesem neuen Buch zwei wichtige Wege, die vielleicht dazu führen, dass er aus dem vorwiegend professionellen oder Privatkoch-Bereich an ein wesentlich größeres Publikum kommt. Schon im Titel von „Aromen“ wird das Wort „Foodpairing“ nicht mehr benutzt, sondern eine allgemeinverständliche Formulierung gewählt. Zur Erinnerung: „Flavour Pairing“ war der Titel des grundlegenden Antoniewicz-Werkes von 2013. Nichts gegen seine bisherigen Verlage und ihre verdienstvolle Arbeit, aber jetzt gibt es einen Versuch bei einem „Major Label“ und das merkt man dem ganzen Buch an. Antoniewicz versucht, das Thema breiter aufzustellen und eine breitere Leserschaft zu erreichen. Dazu gehören – wie zu zeigen sein wird – auch Rezepte, die etwas eher in Reichweite von Lesern liegen, die nicht so ohne weiteres über das ganze küchentechnische Programm und Verständnis verfügen.

Der zweite interessante Weg betrifft das Timing. Es ist in der letzten Zeit sehr klar geworden, dass sich unter Lockdown-Verhältnissen die Eigentätigkeit der Leute in den häuslichen Küchen erweitert hat. In allen möglichen Bereichen von den Umsätzen der Küchenhersteller bis zu Kochbuch-Umsätzen, Online-Aktivitäten und dem Handel wird von einem starken Anstieg berichtet. Natürlich wird sich das nach Aufhebung der Beschränkungen wieder zu einem Teil rückentwickeln. Aber – es ist davon auszugehen, dass ein beträchtlicher Teil auch – im positiven Sinne – irreversibel ist. Wer einmal erlebt hat, dass Eigentätigkeit in der Küche zu guten Ergebnissen führt, die er außerhalb des Hauses entweder kaum so ohne weiteres erleben kann oder die eben außerhalb des Hauses viel teurer sind, wird davon nicht mehr loskommen.

Und an dieser Stelle wird dann unter Umständen auch Platz für massentaugliche Kochbücher auf einem höheren Niveau, als das bisher üblich war. Mich persönlich würde das sehr freuen, weil die üblichen massentauglichen Kochbücher für mich so etwas wie das reine kulinarische Grauen sind. Man möchte einfach so banale und fehlerhaft entwickelte Gerichte gar nicht erst auf dem Teller haben…Antoniewicz wird da mit diesem Buch eine Chance haben – wenn es denn über den Titel und seine Aufmachung (die nicht unbedingt neue Reize versprechen) gelingt, eine Beschäftigung mit dem Buch zu initiieren.

Das Buch
Der Aufbau des Buches entspricht dem Thema, es muss also erst einmal erläutert werden, worum es eigentlich geht. Antoniewicz tut dies mit einer längeren Strecke über „Basics und Grundlagen“. Dann folgen Rezepte, die sich an die weitgehend klassische Aufteilung „Gemüse, Fisch, Fleisch, Frucht“ halten. Der dritte Abschnitt ist dann wieder etwas spezieller. Er bringt „Aromenporträts und Tastings“ mit den Abschnitten „Der Allrounder: Kaffee“, „Bitter: Rosmarin“ (Merkwürdig: meine liebste Rosmarin-Verwendung ist nicht bitter, sondern eher mild, nämlich ein Selleriepüree mit Rosmarin-Infusion zu „Côte de Boeuf und in der Schale gegrillten La Ratte-Karttoffeln…), „Salzig: Sojasauce“, „Süß: Petersilienwurzel“, „Sauer: Grüner Apfel“. Man meint schon am Aufbau des Buches zu erkennen, wie zwischen Verlag und Autor um die Inhalte gerungen wurde.

Die Details zeigen den Anspruch. Von Seite 10 bis 37 gibt es die Grundlagen mit Abschnitten wie „Aromen in Perfektion. Was schmecken wir wirklich?“ Antoniewicz benennt hier Schlüsselaromen und Geschmacksbilder, die man am häufigsten antrifft. Seine Sammlung ist: fruchtig – säuerlich, holzig – herb, würzig – zimthaltig – blumig – frisch, röstartig – erdig, vanilleartig – rauchig und zitrusartig – kräuterig. Danach geht es um die „Kunst der Aromenkomposition“ inklusive diverser Kochtechniken, um „Aromenbooster – Was habe ich zu Hause“, um „Das Spiel mit den Aromen – Dem eigenen Geschmack folgen“ und um „Vermählung – Kontrast“. Es folgen Basiszubereitungen mit diversen reduzierten Jus, Fonds, div. Vinaigrette-Fassungen, Tomatenöl, Risotto, Karamell oder Basilikumöl. Antoniewicz wählt hier oft die direkte Zwiesprache mit dem Leser, was das nicht unkomplizierte Thema sicherlich leichter zugänglich macht. Erfahrungen in der Forschung haben gezeigt, dass die Zuordnung von Geschmacksbildern zu Begriffen zwar für Profis tägliches Brot ist, sich für Laien aber oft als sehr schwierig darstellt.

Bei den Rezepten gibt es ebenfalls eine Hürde, die meist gar nicht gesehen wird. Bei vielen Rezepten gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem, was man sieht, und dem, was man glaubt zu schmecken. Je ungewöhnlicher etwas aussieht und vor allem je ungewöhnlicher die verwendeten, oft ja nicht zu ahnenden Aromen sind, desto abstrakter wird das Ganze. Antoniewicz bietet Gerichte an, die zum Teil „nachvollziehbar“ aussehen, zum Teil aber auch nicht. Im Prinzip liegt hier aber eine große Stärke des Buches, nämlich die hohe Anzahl sehr guter Ideen. Im Grunde könnte man fast jedes Rezept zitieren. Hier eine Auswahl: „Gebackene Avocado mit grünem Tee und Limettenkompott“ (z.B. mit den Aromen Chili, Senfsamen, Ingwer, Haselnüsse, Matcha), „Gebratene Süßkartoffel mit Kokosblütenzucker und Rotweinjus“, „Kartoffelstampf mit Hüttenkäse, und Raucholivenöl auf Kartoffelchips“ (hier ist die Optik der zeitgenössischen Kreativküche sehr ähnlich), „Blumenkohl mit Schokoladensahne, Chili und Spinatsalat“, Eingelegte Makrele mit Buttermilch und Rettichsalat mit Minze“, Miesmuschel mit Karottenkaramell und Maracuja“, „Gurkensalat mit Rhabarber und gebratenem Lammfilet“ oder „Hühnerfond mit Kakao und Aprikosen“.
Technisch sind die Rezepte so kompakt wie möglich gehalten, was natürlich in einer klaren Funktion mit den Ideen steht. Entweder arbeitet man mit viel Aufwand an einem speziellen Geschmack, oder man setzt auf klare, evidente Effekte durch die Idee/die Aromen. Antoniewicz kann Beides und hat sich hier auf klare Effekte konzentriert. Das sollten viele Leser realisieren können – vielleicht mit etwas mehr Aufwand als sonst, aber auch entsprechend klaren Ergebnissen.

Last not Least die Specials, “Aromenporträts und Tastings” (siehe oben) genannt, in denen es etwas mehr in die Tiefe geht und zum Beispiel eine Liste erstellt wird, mit welchen Aromen/Produkten eine „Vermählung“ besonders sinnvoll ist und – was mich aus sensorischen Gründen besonders freut – mit welchen Aromen/Produkten die Kontraste besonders spannend sind.

Fazit
Ein sehr interessantes Buch, das einen breiteren Markt für ein ganz besonders spannendes, die Eigentätigkeit sehr förderndes Thema aufschließen soll. Es bleibt nicht einfach und ist damit auch für anspruchsvollere Leser geeignet, könnte aber den Schritt zu einem – nennen wir es einmal euphemistisch – neuen Mainstream schaffen. Das wäre zu wünschen, weil dann gleichzeitig auch die vielen unsäglichen Discounter-Kochbücher (wie ich sie immer gerne nenne) unter Druck geraten könnten.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Fotos © Dorling Kindersley/Vivi D‘Angelo

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