Interview Heinz Reitbauer jr. vom „Steirereck“ in Wien

Jürgen Dollase: Herr Reitbauer, Sie haben auf der „Chef-Sache“ in Düsseldorf mit einer ganzen Palette von Pilzrezepten unter Verwendung einer großen Anzahl verschiedener Sorten geglänzt. Gehört es zu Ihrem kulinarischen Konzept, solche Naturprodukte in Ihre Küche zu integrieren, die man normalerweise eher selten antrifft?

Heinz Reitbauer: Wir sind permanent auf der Suche nach neuen Geschmäckern unseres Landes, die unsere Küche bereichern und die auch mehr geschmackliche Vielfalt in unsere Küche bringen.

JD: Gibt es unter den Pilzen so etwas wie „Luxussorten“ und eher „einfache“ Sorten? Machen Sie da überhaupt einen Unterschied?

HR: Natürlich gibt es geschmackliche Unterschiede und natürlich auch persönliche Präferenzen. Sehr häufig ist die Qualität auch eine Frage der Proportion im Zusammenhang mit anderen Aromen. Vor allem aber sollte man offen für eine geschmackliche Neuvermessung des Gaumens sein. Das ist dann natürlich eine Herausforderung, der sich vielleicht nicht alle Gäste stellen wollen.

JD: Für viele Leute schmecken Pilze einfach „nach Pilz“. Sehen Sie klare Unterschiede, und wenn ja, können Sie einige beschreiben?

HR: Natürlich gibt es bei den Pilzen geschmackliche Unterschiede, von mild-nussig, über waldig-erdig bis aromatisch-würzig und bis zu arttypisch-unverwechselbar; es gibt da ein sehr großes Spektrum.

JD: Gehen wir ein wenig weiter ins Detail. – Für die Zubereitung von Pilzen gibt es ein paar klassische Standards, die man in der klassisch orientierten Küche normalerweise für jede Sorte einsetzt. Empfiehlt es sich, bei den diversen Sorten zu differenzieren und individualisierte Kochtechniken einzusetzen, um das ganze Aroma herauszuarbeiten?

HR: Klassische Standards sind meistens eine gute Richtschnur, allerdings zeigt sich bei der detaillierten Arbeit mit unterschiedlichen Pilzen, dass viele Pilzsorten in der Profiküche kulinarisch kaum verwendet wurden. Daher gibt es hier keine Richtschnur und somit eine vollkommen freie Auseinandersetzung mit diesen Sorten.

JD: Ich habe Sie das auf der Bühne nach Ihrem Vortrag schon gefragt, möchte die Frage aber hier wiederholen: Wie sollte man bei der Begegnung mit neuen Naturprodukten und ihren Aromen vorgehen? Sollte man die Frage stellen, ob man sie in eine eher normale, traditionelle geschmackliche Basis integrieren kann oder sich voll und ganz auf das neue Aroma einlassen und dann eine spezifische aromatische Fassung entwickeln?

HR: Es ist abhängig davon, wie viel Risiko man nehmen möchte und natürlich auch ökonomisch „zwangsbedingt“ nehmen kann. Letzteres bewegt sich natürlich eher auf der risikolosen sowie schneller umsetzbaren Ebene. Aber nach unserem Dafürhalten hilft man damit neuen Produkten und Geschmäckern nicht, in unserem aromatischen Spektrum langfristig einen Platz zu bekommen. Dieser Verlust an Authentizität eines Produktes kann langfristig nicht gewünscht sein.

JD: Kann mit unbekannten Produkten auch so etwas wie ein neuartiges Geschmacksbild entstehen? Ich frage das umfassender, also nicht nur auf die Pilze bezogen. 

HR: Das sehen wir auf jeden Fall so.

JD: Ein alter Satz eher klassisch orientierter Köche ist, dass schon alles entdeckt ist und man keine neuen Produkte erfinden kann. Ich persönlich glaube eher, dass es umgekehrt ist: die Kochkunst hat sich aus eigentlich wenig überzeugenden Gründen auf immer weniger verschiedene „Spitzenprodukte“ beschränkt. Tatsächlich arbeitet man vielleicht mit 10 oder 20% der möglichen Realien, und die anderen 80% sind noch gar nicht richtig in die Küche integriert. Wie sehen Sie das?

HR: In früheren Jahrhunderten war unser Produktangebot wesentlich vielfältiger. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden in Europa mehr als 6000 Apfelsorten & ca. 2000 Birnensorten gezüchtet. Heute bestimmen zwei Birnensorten und einige Apfelsorten 95% des Marktes. Und dies kann man auf fast alle Pflanzengruppen umlegen. Glauben wir wirklich, dass in diesen wenigen Sorten eine geschmackliche Vielfalt abgebildet werden kann bzw. diese optimal selektioniert wurde? Wenn wir in Kochbüchern aus vorigen Jahrhunderten blättern, entdecken wir oftmals eine Sortenvielfalt von der wir heute nur träumen können.

JD: Müssen Köche lernen, analytischer zu schmecken? Müssen sie nicht nur abschmecken, ob etwas perfekt ist, sondern sich viel stärker auf den reinen Produktgeschmack und seine Möglichkeiten einlassen?

HR: Dies ist sicherlich bei jedem Koch etwas anders. Wir sind immer auch auf der Suche nach dem neuen, überraschenden Geschmack, der unsere Gäste vielleicht auch ein zweites Mal hinschmecken lässt und sie auch ab und zu fordert.

JD: Wie lange dauert es, bis sie bei neuen Produkten das Gefühl haben, sie hätten jetzt eine Idee, die gut genug für das „Steirereck“ ist?

HR: Grundsätzlich kommt es diesbezüglich primär auf die „Gefälligkeit“ des Produktes an. Ein neues Produkt bzw. Artenvielfalt, dass aber geschmacklich nicht wesentlich vom Grundgeschmack variiert, ist einfach zu integrieren. Wenn allerdings der Geschmack „neu“, vielleicht auch etwas befremdlich ist, dann benötigen wir im Team manchmal schon eine gewisse Zeit um die positiven Eigenschaften für uns zu erkennen. Deshalb ist eine häufige Auseinandersetzung mit diesen neuen Geschmäckern so essenziell, denn nur darüber erlernen wir sie. Ich kenne fast Niemanden, dem das erste Bier sofort geschmeckt hat. 

JD: Wer Neues in sein Restaurant bringt, muss damit rechnen, dass er bei dem ein oder anderen Gast Irritationen auslöst. Wie sehen Sie dieses Problem? Sollen die Gäste in Ihrer Küche immer einen kleinen Reiz mitbekommen?

HR: Dies ist natürlich auf der einen Seite abhängig von der Ausgewogenheit des Neuen und auf der anderen Seite von der Balance in der Speisenfolge. Ein Menü, welches permanent Irritation auslöst wird wahrscheinlich bei den meisten Gästen ein unbefriedigendes Erlebnis hinterlassen. Aber eine uninspirierte, altbekannte Geschmackswelt ohne Ecken & Kanten wird im Gegenzug wiederum kaum einen Aha-Effekt auslösen.

JD: Gibt es Produkte, bei denen Sie zögern, sie in der Küche des „Steirereck“ zu verwenden? Wenn ja, warum?

HR: Mehrere! Wenn ein Kollege oder Gastronom mit einem Produzenten eine enge Zusammenarbeit hat und dies auch kommuniziert, lassen wir die Finger davon. Es soll ja eine Einzigartigkeit des Betriebes, der Region und der Zusammenarbeit erhalten bleiben; dies würden wir nur untergraben, wenn wir die gleichen Spezialitäten verwenden, wie dies Kollegen tun. Auch wenn Produkte besonders inflationär verwendet werden, versuchen wir, diese ebenfalls zu meiden. Ein dritter Punkt ist: Wenn Produkte/Lebensmittel nicht nach unserem Naturverständnis gezogen, gezüchtet oder verarbeitet werden, so kommen diese ebenfalls nicht in unsere Küche. Und – viertens – natürlich wenn es einfach nicht schmeckt.

JD: Verstehen Sie sich ein wenig wie ein kulinarischer Forscher? Und – ist es die Aufgabe der kreativen Spitze der Kochkunst, Neues nicht nur zu entdecken, sondern so in die Kochkunst zu integrieren, daß neue Produkte und Zubereitungen wirklich überzeugen können?

HR: Die Veränderung ist die Triebfeder für die tägliche Arbeit. Wir sind natürlich tagtäglich in unserer engen Routine gefangen, aber für uns bringt die konstante Veränderung mit sich, dass der normale Alltag aufgelockert wird. Ich glaube es gibt kein „must do“ in unserer Branche. Aber die Möglichkeit über Produkte, Techniken & Philosophien einen positiven Einfluss auf die Landwirtschaft und somit auf unsere Kulturlandschaft zu nehmen ist schon ein schöner Gedanke und auch sehr sinnstiftend. 

JD: Wie schätzen Sie die Belastbarkeit Ihrer Gäste in dieser Richtung ein? Haben Sie heute ein eher traditionell-konventionell orientiertes Publikum oder ein Publikum, das sich mit Offenheit und Interesse Neuem nähert?

HR: Ganz klar Letzteres, obwohl wir ein von vielen Stammgästen geprägtes Haus sind. Aber erstens haben sich viele unserer Gäste auch in ihrem Umfeld verändert & entwickelt und zweitens sind wir immer so flexibel, dass wir auf Sonderwünsche sowie klassische Vorlieben, die ja oftmals nur den einen oder anderen am Tisch betreffen, eingehen können.

JD: Haben Sie einen Tipp für junge, kreative Köche? Was sollen sie machen, was vermeiden, wenn sie mit neuen Ideen arbeiten?

HR: Ich habe es immer vermieden, anderen Ratschläge zu geben. Außerdem sieht man als junger Mensch gottseidank sowieso alles anders!

JD: Kann man eine moderne Küche wie Ihre, die mit vielen ungewöhnlichen Produkten arbeitet, auch in einem preisgünstigeren gastronomischen Format realisieren? Wäre z.B. ein Tapas-Restaurant denkbar, in dem die Küche sehr modern ist, die einzelnen Gerichte aber nur wenige Euro kosten?

HR: Ja sicherlich, hier liegt ein großes Zukunftspotential.

JD: Wohin wird Ihre persönliche Entwicklung gehen? Was sind – kulinarisch und gastronomisch – Ihre weiteren Pläne?

HR: Wir haben und hatten in den vergangenen Jahren das Glück, dass Vieles was wir uns vorgenommen haben und hatten, auch dank eines großartigen Teams, zur Realität geworden ist. Viele kleine „Gärten“ wurden mit neuem Leben erfüllt und diese zu pflegen und sie gemeinsam weiterzuentwickeln ist spannend und sinngebend.

Aber in der geschmacklichen sowie in der landwirtschaftlichen Entwicklung geht nichts von heute auf morgen. Unser Geschmacksbild ist über Generationen hinweg von unserer Heimat, unseren Produkten sowie unserer Familie geprägt. Man muss erkennen, dass eine Küche immer das Spiegelbild seiner Landwirtschaft und Gesellschaft ist und mit und in dieser muss man langfristig planen. Wir glauben, dass eine kultivierte Biodiversität der Schlüssel zur geschmacklichen sowie landschaftlichen Veränderung sein wird. Und dies zu unterstützen ist für uns eine Herzensangelegenheit.

JD: Herr Reitbauer, ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch

 

Fotos: www.chef-sache.eu

2 Gedanken zu „Interview Heinz Reitbauer jr. vom „Steirereck“ in Wien“

  1. Herr Reitbauer hatte bei seiner Präsentation bei der Chefsache 2017 eine starke postive Ausstrahlung. Man konnte seine Faszination für die Pilze, die er mitgebracht hat, merken. Ich bin froh, dass ich seine Präsentation erleben durfte.

    Eine Frage: Wie sieht das rechtlich aus? Kann ein Koch Pilze im Wald sammeln und dann in seiner Küche verarbeiten oder muss da eine „Institution“ noch mal drüber schauen und bestätigen, dass die Pilze für den Einsatz in der Gastronomie geeignet sind?

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