Ist billiges Essen demokratisch?

In den letzten Tagen ergaben sich rund um die Diskussionen um billiges Fleisch und seine Herstellung, um Tierwohl und Lebensmittelpreise eine Reihe von merkwürdigen gedanklichen Schlüssen. Das Herstellen und Anbieten von billigen Lebensmitteln sei demnach eine Art demokratischer Akt. Wer die Preise so niedrig wie möglich hält, tut demnach Gutes für die Gesellschaft, weil er es armen Leuten ermöglicht, sich ohne hohe Kosten „normal“ zu ernähren. Man zuckt zusammen – nicht weil die Idee scheinbar plausibel ist, sondern weil sich plötzlich eine Allianz zwischen eher linkem Gedankengut und der Nahrungsmittelindustrie anzubahnen scheint. Tönnies wird zum Wohltäter der Menschheit, und mit dem Tierwohl und der Qualität muss man es einfach nicht so ernst nehmen. Der Mensch hat Priorität, und wenn er sich für wenig Geld keine Sorgen um sein tägliches Brot machen muss, ist das einfach eine gute Sache. – Kann man das so stehen lassen?

Das Märchen von den guten sozialen Absichten
Es hat Tradition, dass Discounter und Lebensmittelindustrie immer wieder versuchen, sich ein soziales Mäntelchen umhängen. Das geht dann bis zu großen Werbekampagnen, mit denen die jeweils aktuellen Fleischskandale etc. aufgefangen werden sollen. Das grüne Image, das sich diverse Discounter immer wieder gerne geben, ist tatsächlich aber keine Aktion, mit der man vorprescht, sondern ausschließlich eine Reaktion auf entsprechende gesellschaftliche Entwicklungen und Trends.

Die immer wieder diskutierte Frage, ob der Handel oder der Verbraucher für die bedauerlichen Entwicklungen rund um die Lebensmittel verantwortlich sei, lässt sich natürlich nicht vollständig klären. Das Hauptgewicht der Schuldzuweisungen liegt oft beim mehr oder weniger „dummen“ Verbraucher, auf „Geiz ist Geil“. Ich selber habe immer wieder spöttisch von dem „Aldi A 6“ geredet, also von der Tatsache, dass sich auf den Parkplätzen der Discounter oft auffällig viele Mittelklasse-Wagen finden, deren Besitzer anscheinend durch Billig-Einkäufe beim Discounter das Geld freistellen, dass sie für mehr oder weniger protzige Wagen brauchen. Ein anderer, im Grunde einfacher Aspekt, kommt dabei aber meistens zu kurz, obwohl er seit Gründung etwa der Firma Aldi die Hauptrolle spielt. Es ist der Verdrängungswettbewerb im Handel. Schon die Geschäftsidee der Gebrüder Albrecht war eindeutig und zielt auf Verdrängung von Konkurrenten – zuerst der kleinen vom Einzelhandel, dann mit dem Ziel, den Marktanteil auch gegenüber den großen Konkurrenten immer weiter zu erhöhen.

Der Schlüssel „Verdrängungswettbewerb“ greift im Handel wie in der Lebensmittelindustrie. Es ist heute für gute Erzeuger unmöglich, mit ihren Produkten bundesweit in die Regale der Discounter zu kommen, weil sie einfach solche Mengen nicht anbieten können. Was wir heute haben, hat sich in einem ständigen Wechselspiel zwischen Industrie und Handel so entwickelt, dass nur noch die ganz Großen übrig bleiben. Und wenn dann – wie es vor wenigen Jahren einmal passiert ist – die ganz Großen mal eine unauffällige kleine Preiserhöhung absprechen (es ging um Kartoffeln), können sofort riesige Gewinne realisiert werden.

Wer angesichts einer solchen Situation meint, niedrige Preise mit den entsprechenden qualitativen Einbußen seien von sozialen Absichten gesteuert, überblickt schlicht die Lage und die Entwicklung nicht.

Der Mensch ist schwach, sein Konsum oft Schwachsinn
Auch im reichen Deutschland haben wir natürlich eine Menge von Leuten mit wenig Geld. Die vielen Berichte, die es über diesen Teil der Bevölkerung gibt, unterschlagen aber oft jede Form von eigenem Verschulden, und falls einmal jemand auf solche Zusammenhänge hinweist, bekommt er gleich einige besonders markante Gegenbeispiele vorgeführt. Die konzentrierte Beseitigung von Armut von der Wurzel her (also von Bildung bis zum manchmal sehr wichtigen Erlernen eines besseren sozialen Verhaltens) wird dabei gerne umgangen und durch gut gemeinte, aber nicht selten oberflächliche Aktivitäten ersetzt.

Ich gehe regelmäßig zu Discountern, um mich über diverse Entwicklungen zu informieren und Produkte zu probieren. Ein für mich hochinteressanter Nebeneffekt war und ist seit vielen Jahren ein Blick auf die Bänder an der Kasse, auf das, was die Kunden einkaufen und auf die Kunden selber. Natürlich können bei solchen Eindrücken Vorurteile eine Rolle spielen, deswegen möchte ich sie auch nur „Impressionen“ nennen, von denen viele aber eine recht große Ähnlichkeit haben. Sagen wir es so: die offensichtlich arme, nicht mehr ganz gesunde Großmutter, die sich ihr Gemüse und Grundnahrungsmittel zu Discounter-Preisen kauft, ist dort sehr, sehr selten zu finden. Wesentlich häufiger gibt es eine bisweilen prollig wirkende, meist übergewichtige Sorte von Kunden, die zum überwiegenden Teil Süßes, Snacks, Fertiggerichte, Alkohol und Co. einkaufen. An dieser Stelle scheinen die Discounter ihr Geschäft mit all dem zu machen, was eigentlich von den für die Gesundheit und Ernährung Verantwortlichen in der Politik für nicht so wünschenswert gehalten wird. Ist vielleicht diese Form der billigen Ernährung „demokratisch“?

Der Mensch ist schwach und gibt sein Geld im Zweifel für sein Belohnungssystem aus – egal, ob das, was er isst, ungesund ist oder nicht. Genau damit machen die Discounter und die Nahrungsmittelindustrie häufig ihre Geschäfte. Die typischen, überwürzten, gedopten Geschmacksbilder der Industrie, die oft weit entfernt von jeder Natürlichkeit sind, bedienen dieses System ganz ausgezeichnet. Und man weiß genau, dass dieser Mechanismus um so besser klappt, je früher und je totaler er zur Anwendung kommt – Ronald McDonald ist nur ein Beispiel. Gute Produkte und gesundes Essen stören da nur, Tierwohl geht total quer, und wenn man den lieben EU-Bürgern aus dem Osten Arbeitsplätze bietet, ist das doch auch etwas Soziales… In jedem Falle ist es für Lobbyisten keinerlei Problem, alle Informationen in diesem Bereich so zu drehen und zu wenden, dass Industrie und Handel geradezu nobelpreiswürdig dastehen.

Die Nebenwirkungen
Es gab zu Sozialismus-Zeiten (aber auch aus den USA etc.) oft Bilder von riesigen Feldern, auf denen gleich ganze Kolonnen von Mähdreschern das Korn ernteten. Auch im Bio-Sektor gibt es das natürlich längst: riesige Flächen irgendwo, wo sie noch möglich sind, „Natur kaputt“, aber das Produkt nach EU-Bio-Richtlinien produziert. Dass Discounter und die Übermacht industrieller Lebensmittelerzeugung den Einzelhandel, die Bauern und die handwerkliche Lebensmittelerzeugung bereits fast vernichtet haben, ist eine Nebenwirkungen dieser „Demokratisierung“, die viel zu wenig beachtet wird. Es gibt massenhaft Städte, die mangels Einzelhandel verödet wirken, und wer sich einen individuellen Konsum leisten möchte (sagen wir: statt großer Autos lieber gutes Essen kauft) hat in vielen Gegenden längst Schwierigkeiten, überhaupt noch gute Lebensmittel zu finden.

Es gibt noch viele andere Nebenwirkungen, die alle nur einen Schluss zulassen: die Arbeit der Nahrungsmittelindustrie und der Discounter vernichtet eher „demokratische“ Strukturen im Sinne einer möglichst freien Entfaltung unterschiedlicher Kräfte, die nicht ständig unter den Druck des Stärkeren geraten. Wer unterstützen will und gleichzeitig Qualität will, muss durch entsprechende politische Eingriffe das Gute fördern. Dass die Erzeuger von Unfreiheit und Abhängigkeiten (also Tönnies, Aldi und Co.) das nicht wollen, ist kein Wunder.

7 Gedanken zu „Ist billiges Essen demokratisch?“

  1. Die billigsten und künstlich-industriellsten Essen sind mir die erinnerungs=geschmacksbildendsten gewesen:

    BALM-Rindfleisch mit Zwiebeln, Curry + Nudeln (4 Jahre während des Studiums, fast täglich), dazu halblieblichen Rotwein (Kardaker oder so?) für 99 Pfennig/Flasche vom Fleischer nebenan
    Salami-Brötchen (mehrere!) für 1 Mark jeden Mittag aus der Kantine mit ’nem miesen Filterkaffee.
    Zu Festtagen FONDOR-Hühnchen bei Muttern (das Fleisch war nicht so wichtig, sondern das ausgebratene Fett mit FONDOR und einem geil-industriellen Weissbrot zum Tunken), Sauerbraten mit Sauerbraten-FIX und Klössen ausser Tüte und Rotkohl aussem Glas, natürlich feinsinnig nachgewürzt.

    Ich hab’s überlebt. Aber nicht-nie vergessen. Geschmacksbilder sind Heimatbilder.

    Heute kämpfe ich gegen diese Erinnerungen. Ich kann mir gesundheitlich solche Kapriolen nicht mehr leisten (und meine Frau schimpft immer, wenn ich Brühwürfel verwende). Bei dem Scheiss wird mir leider inzwischen einfach schlecht!

    Aber: ES WAR SCHÖN!!!

    So schön, wie Lesen-Lernen mit Karl May – schreckliche Sprache, doofe Sujets, schiefe Moral … aber dieses Schreckenstraining hat es mir ermöglicht, Kafka, Beckett und Adorno zu lesen und zu verstehen (hoffe ich jedenfalls).

    BALM, FONDOR + MAGGI-FIX – meine Heimat, mein Startpunkt. Ganz egoistisch + total undemokratisch.

    Antworten
  2. Nicht Trübsal blasen, sondern Alternativen zeigen!

    Sorry, aber der Beitrag schlägt unnötig aufs Gemüt. Und um zum gewünschten Ergebnis zu kommen, vermischt er Äpfel und Birnen.

    Zunächst ist Demokratie die (mittelbare) Herrschaft des Volkes in einem Staat. Die im Artikel zur Diskussion stehende optimale Versorgung der Bevölkerung mit kostengünstigen (nicht billigen) Lebensmitteln ist Aufgabe der (sozialen) Marktwirtschaft.

    Die Marktwirtschaft mag Fehler haben, aber sie gewährleistet durch ökonomisches Prinzip (Wirtschaftlichkeit) und erwerbswirtschaftliches Prinzip (Gewinnmaximierung) die optimale Verteilung knapper Produktionsfaktoren auf die bestehenden Verwendungsmöglichkeiten (Optimalallokation). Sie ist damit der Schlüssel für Wohlstand und Lebensqualität.

    Dabei zieht die soziale Marktwirtschaft für den freien Ausgleich von Angebot und Nachfrage traditionell gesetzliche „Leitplanken“ ein, um z.B. Unterschiede in der Einkommensentwicklung, Marktbeherrschung und Kartellbildung, Umwelt- und Klimaschäden (soziale Kosten) zu vermeiden. Dies sind bei uns in Deutschland dann demokratisch legitimierte Entscheidungen der Parlamente; diese zeichnen sich auch in Bezug auf die Fleischindustrie ab.

    Insgesamt führt die soziale Marktwirtschaft aber zu dem großartigen Ergebnis, dass jeder von uns nach seiner Facon glücklich werden kann. Und interessanter Weise nutzt die Mehrheit der Menschen auch diese Möglichkeit. Während die Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel insgesamt weitgehend stagnieren, wachsen Nischen wie regional und saisonal, bio und handwerklich, vegetarisch und vegan oftmals zweistellig. Fast alle Menschen kaufen zumindest gelegentlich derartige Waren. Daraus ergeben sich dann auch Chancen beispielsweise für die Herstellung von besonderer Wurst und Fleisch, Brot und Rohkosttörtchen. Gleichzeitig greift die absolute Mehrheit der Bevölkerung im Supermarkt und beim Discounter aber auch nach vorverpackter Ware, gibt sich mit Mindeststandards zufrieden. Aber Aldi ist mit einem Marktanteil von über 15 Prozent seit einigen Jahren bereits größter Bio-Händler.

    Nach dem Prinzip der Marktwirtschaft werden die Verbraucher aber ihre Nachfrage dort ändern, wo sie jenseits von herkömmlichen Sortiment neue Angebote mit einem individuell größeren Nutzen entdecken. Zu deratigen Entdeckungen könnte auch dieser Blog beitragen. Also: Nicht Trübsal blasen, sondern Alternativen zeigen!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Andreas Ullrich Antworten abbrechen