Ist dies eines der besten kulinarischen Bücher?

Andrea Fazzari: Sushi Shokunin. Japan’s Culinary Masters. Assouline Publishing, New York 2020. 280 S., geb., Hardcover mit Prägedruck und Seidenbezug. (in englischer Sprache, erhältlich z.B. über Amazon, 69,99 Euro)

Bei all dem Ärger, den wir in unserer Szene seit viel zu langer Zeit haben, muss man sich zwischendurch auch einmal wieder richtig freuen können und dürfen…

Es gibt ganz, ganz selten Bücher, die lösen bei mir so viele spontane Inspirationen aus, dass ich in der Nacht noch weiterdenke. Dieses Buch ist ein solcher Fall, und das liegt daran, dass hier alles mögliche, sensationell Gute zusammenkommt. Es gibt natürlich längst eine ganze Reihe von Büchern, die irgendwie „Sushi“ im Titel haben. Aber – sie befassen sich meist mit dem, was hier bei uns in den Sushi-Bars oder neuerdings auch vermehrt in Verkaufsstellen für Sushi und Co. in Supermärkten angeboten wird. Und das ist – um es einmal freundlich zu formulieren – eben eher Snack-Bar-Niveau und hat mit den sagenumwobenen Meistern des Faches in Japan nichts zu tun. Insofern bin ich auch immer auf der Suche nach japanischen Quellen, oder nach Büchern, die in Japan über Japan geschrieben werden. Das ist nicht ganz so einfach, weil wirklich substantielle Bücher selten sind, nicht immer übersetzt werden und im übrigen viele der genannten Sushi-Meister dadurch „glänzen“, dass sie keinerlei Rezepte verfassen. In einer Szene, wo man jahrelang immer die gleichen Routinen einüben muss und erst dann als Meister gilt, wenn man viele Jahre in seinem Fach gearbeitet hat, ist das mit der schriftlichen Überlieferung schwierig.

Dieses Buch stammt von Andrea Fazzari, einer Fotografin, die in den USA schon diverse Preise gewonnen hat und – was sich hier sehr auszahlt – einen wunderbar sensiblen Zugang zu dem gesamten Phänomen „Sushi“ hat. Natürlich setzt sie auf die Macht der Bilder, aber das macht sie so gut, dass dem interessierten Leser schon beim ersten Durchblättern des Buches der Atem stocken kann. Dieses Buch ist nicht nur schön und gut, es scheint so etwas wie eine Macht zu haben, eine Überzeugungskraft, die so bestechend inszeniert ist, dass man sehr viel zu denken bekommt.

Das Buch
Bevor ich den Aufbau des Buches beschreibe, will ich erst einmal versuchen klar zu machen, was an diesem Werk so faszinierend ist. Es gelingt Andrea Fazzari, alle Mythen, die man je über die berühmten Sushi-Meister gehört hat, ohne jeden Trick mit äußerst klaren, scharfen und in gewisser Weise sogar manchmal nüchternen Bildern perfekt in Szene zu setzen und sozusagen bildlich zu verifizieren. Man sieht, wie es schmeckt, man sieht den ungeheuren Aufwand an Wissen, der sich hier in scheinbar minimalistischen Kreationen äußert, und man begreift, dass nur wir mit unserer europäischen Sicht so etwas minimalistisch nennen können. Allein das ist schon wunderbar gemacht. Dazu kommt dann noch, dass man beginnt, diese Art der kulinarischen Arbeit mit unserer Arbeit zu vergleichen und schnell feststellt, dass man bei diesem Level von Sushi-Meistern anscheinend auf einem anderen Planeten arbeitet. Und dann kommt auch noch der nächste gedankliche Schritt (und das ist der, der mich nachts noch im Schlaf beschäftigt hat), und der besteht in der Frage, ob man so etwas bei uns und mit unseren Produkten realisieren könnte oder sogar müsste. Steht uns die Entwicklung zu einer solchen Sensibilität noch bevor? Haben wir noch gar nicht den Weg zu einer solchen „minimalistischen Tiefe“ (wie ich es nennen möchte) gefunden? Das kann schon sehr zum Denken bringen.

Es geht also um 20 Sushi-Meister, die zum überwiegenden Teil in Japan arbeiten. Diese Meister sind Kult, und das auch bei sehr vielen Köchen aus allen Teilen der Welt, haben aber nicht unbedingt Michelin-Höchstnoten. Den Anfang macht Takashi Saito, es folgen Takaaki Sugita und Yasuhiko Mitani (nur so nebenbei: Degustationsmenü 280 US-Dollar, geöffnet täglich, mittags und abends) und die anderen Namen, die aber bei diesem Buch nicht wirklich das Wichtigste sind. Es gibt noch eine Unzahl weiterer Meister in Japan, deren Namen bisher nie den Weg um die Welt geschafft haben.

Nehmen wir Mitani. Der hagere Koch mit dem Aussehen eines Mönches hat eine Warteliste von vier Jahren und hält sich auch an diese Liste. Selbst Barack Obama hatte da keine Chance. Wenn man ihn voller Ernst bei der Arbeit sieht, meint man, es bestünde irgendein direkter Draht zu irgendwelchen metaphysischen Kräften. Oder – genauer: es bestünden 10.000 Drähte, und alle müssten eine perfekte Verbindung haben, damit das Ergebnis der Arbeit perfekt werden kann. Aber – lassen wir das, ich gerate ins Schwärmen. Das Kapitel über Mitani beginnt mit einem Porträt, dem ein Text von der Begegnung mit ihm und seinem Restaurant folgt. Man erfährt zum Beispiel auch, dass er gerne Frankreich bereist und viel von Wein versteht. Es gibt ganzseitige Bilder und Detailfotos, den Meister beim Beten vor dem Hausaltar, die Hände beim Formen eines Nigiri-Sushi, den Meister im blauen Anzug wie ein Außerirdischer, einen Bericht vom Menü und Sushi-Detailfotos. Was es nicht gibt, und zwar im ganzen Buch, sind Rezepte. Es gibt die ein oder andere Kurzbeschreibung, aber das ist dann auch alles. Wie sollte man auch zum Beispiel Schnitttechniken beschreiben oder Details der Produktbehandlung, oder andere Details, die sich üblicherweise nie in einem Rezept finden würden und mehr mit dem Leben und Aufgehen in einer Art Gesamtästhetik zu tun haben? Wie sagt es Hidefumi Namba: „Wenn man mir Sushi wegnimmt, habe ich nichts mehr. Es ist mein Leben“.

Der Blick fällt in manchmal winzige Interieurs, puristisch, minimalistisch, kahl, nicht luxuriös wirkend, nicht prätentiös wirkend, dennoch teuer, weil hier an einem Maximum an Qualität mit unglaublichen Produkten gearbeitet wird, ohne Kompromisse, ohne die Hektik des „Coup de feu“ der französischen Küche, weil man ohne Ruhe und Konzentration kein Maximum schaffen kann. Und – keine Sorge, privat sind viele von ihnen durchaus „normale“, oft eher heitere Menschen.

Fazit
Zuerst einmal ist dies ein sehr schönes Buch, das ohne viel Worte die Atmosphäre und die Qualitäten rund um die großen japanischen Sushi-Meister einfängt. Allein das reicht schon für Höchstnoten aus, weil die Auswahl und Art der Bilder auch sehr einfühlsam und entspannt gemacht wurde. „Lernen“ im engeren Sinne kann man hier nichts, weil man nicht in Rezepten nachsehen kann und auch sonst nicht systematisch mitgeteilt wird, was man denn machen muss, um solche Qualitäten zu realisieren. Und dennoch entwickelt sich hier die zweite Ebene, und die führt unbedingt zu der Frage, ob wir in Europa vielleicht in unserer kulinarischen Sicht noch ein ganzes Stück weit zurück sind und noch ganz andere Sensibilitäten aufbauen müssen. Nimmt man diese Ebene dazu, wird das Buch wirklich großartig und eines der besten Bücher, die ich in den letzten Jahren in der Hand gehabt habe.

Das Buch bekomm 3 grüne BBB, und das auch noch mit***

Fotos © Verlag, Assouline Publishing

4 Gedanken zu „Ist dies eines der besten kulinarischen Bücher?“

  1. Die minimalistische Tiefe wie sie es nennen wird hier in Deutschland nicht zu schaffen sein,ich habe das Glück jeden Tag japanisches Essen genießen zu dürfen bin mit einer Japanerin verheiratet,und würde so gar soweit gehen dass viele 1 und 2 sterne Köche nicht mal das Niveau haben die alltägliche japanische alltagsküche zu übertreffen,Japan hat natürlich auch eine ganz andere Mentalität,im Vergleich japanische Küche und deutscher Küche ist die deutsche Küche kreisliga.

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  2. Das scheint mir erfreulicherweise weit entfernt von Wasabi aus der Tube und Soyasauce für 1,50 € die 2 Literflasche. Selbst die kleinen Fotos lassen auf höchste Kochkunst hoffen.

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  3. Erfährt man denn etwas zu den Fisch Sorten ? Sojasoße die auch ihren Namen verdient? Oder handelt das Buch tatsächlich nur um die Sushi Meister an sich ?

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