Ist Kochen Kunst? Man sollte das Thema wesentlich selbstbewußter diskutieren.

 Die Frage, ob Kochen – zumindest in der avancierten Form zum Beispiel von kreativen Spitzenrestaurants – Kunst ist, wird immer wieder diskutiert, oft aber auch schnell ad acta gelegt. Es gibt den Begriff der „Kochkunst“, der schon lange existiert (früher gab es – etwa in Frankfurt – eine jährliche „Kochkunstausstellung“), der aber nie im Vergleich zu anderen Künsten wie etwa der Kunstmusik oder der Bildenden Kunst verstanden wurde, sondern eher wie bei „kunstvolle Möbelherstellung“ oder wie bei „Kunstradfahren“. Heute gibt es unter den Köchen eine starke Fraktion, die darauf besteht, ausschließlich Handwerk zu praktizieren. Damit ist dann allerdings einseitig nur die Herstellung von Gerichten gemeint, und der gesamte Prozess der Rezeption  bleibt außen vor. Eine solche Einordnung mag verständlich sein, greift aber wesentlich zu kurz. Die Motivation der Köche, die „Kunst-Frage“ zu klären, ist dabei oft gering, was zum Beispiel daran liegt, dass sie es nicht besonders lieben, wenn aus ihrer Sicht handwerklich eher schwache Restaurants zum neuesten großen Ding hochgejubelt werden, und dabei schwache handwerkliche Leistungen irgendwie als kunstnah durchgehen.

 

Warum es gut und nützlich ist, die „Kunst“- Frage zu klären

Man kann natürlich im Prinzip gut leben, ohne die „Kunst“ – Frage überhaupt zu klären. Mir geht es auch weniger um eine Gleichstellung der avancierten Kochkunst mit anderen Künsten wie Literatur, Bildender Kunst, Kunstmusik, Ballett usw. als um eine Gleichbehandlung. Wer die Feuilletons der deutschen Tageszeitungen oder die Inhalte großer Magazine betrachtet, wird schnell feststellen, dass die avancierte Kochkunst kaum irgendwo einen Platz hat, und wenn, dann oft in einer so banalisierten Form, dass es schon fast unverschämt ist. Dagegen wird über jede Kleinigkeit aus dem sogenannten Kulturbetrieb ausführlichst berichtet, was u.a. dazu geführt hat, dass man auf diese Weise eine Schicht von „Künstlern“ erzeugt hat, deren Selbstbewußtsein im grunde weit jenseits ihrer Bedeutung liegt. Es gibt eine große Schicht von Kunsttreibenden der verschiedensten Fächer, die sich in der subventionierten Welt so gut eingerichtet haben, dass sie auf eine entsprechende Kritik schon gar nicht mehr reagieren (brauchen). Dieser Status wird vor allem durch eine Presse unterstützt, die sich seit vielen Jahren absolut eins zu eins als ganz selbstverständliches Sprachrohr dieser im wahrsten Sinne oft sehr abgehoben agierenden Schicht versteht. Von einer solchen Unterstützung durch eine Interpretations- und Präsentationsindustrie sollte die avancierte Kochkunst ebenfalls profitieren können – nicht zuletzt deshalb, weil bei genauerer Betrachtung schnell klar wird, dass sie oft sozusagen eine ganz besonders gute Kunst ist.

Die avancierte Kochkunst gehört ganz selbstverständlich in die Feuilletons. Dass sie dort kaum vertreten ist, fällt auf diejenigen an den Schaltstellen der Meinungsmache zurück, die nicht in der Lage sind, eine adäquate Berichterstattung zu realisieren.

 

 

Ein paar Vergleiche

Die Vergleiche der Kochkunst mit anderen Künsten fallen erst einmal ziemlich gut aus. Ein Spitzenkoch verfügt über eine ganz ähnliche handwerkliche Grundlage wie professionelle Musiker etwa in den Orchestern (deren Arbeit regelmäßig in den Feuilletons gewürdigt wird), eher noch wie die Solisten unter den professionellen Musikern, also denjenigen, die nicht anonym im Orchester sitzen, sondern namentlich bekannt werden. Die handwerklichen Leistungen sind darüber hinaus auch jederzeit mit jenem Teil der Bildenden Kunst vergleichbar, die vor allem durch überragende handwerkliche Leistungen glänzt. Niemand wird ein Gemälde, eine Skulptur, eine Architektur, die erkennbar höchst kunstvoll erarbeitet wurde, als Nicht-Kunst, sondern als pures Handwerk bezeichnen. Im Vergleich zu den anderen Künsten bildet die kleine Zahl von Köchen mit zwei oder gar drei Michelin-Sternen sogar eine definierte Elite, die es in den anderen Künsten in dieser Form nicht gibt.

Man kann alle möglichen Künste im Vergleich zur avancierten Kochkunst scannen und wird immer wieder feststellen, dass dort eine hohe handwerkliche Qualität geschätzt wird und durchaus nicht dazu führt, andere als primär handwerkliche Qualitäten zu negieren. Es gibt da allerdings eine Art von Kunstverständnis (vor allem in der moderne und zeitgenössischen Bildenden Kunst), das das Kunsterleben vor allem in einer Art immateriellen Beziehung, im Ausdruck der Kunstwerke und im Kunsterleben sieht. Das Erleben von Kochkunst wird andererseits zum Beispiel deshalb als eher banal beiseite gelegt, weil es zu körperlich sei. Kunst entfaltet sich demnach immer erst in einer vielfältig kodierten Distanz, nicht aber dann, wenn man sich etwas in den Mund steckt und es „lecker“ findet (sollte letzteres tatsächlich in Reinkultur möglich sein, würde ich sogar zustimmen). Diese Position ist in erster Linie dafür verantwortlich, dass sich die Feuilletons weiterhin weitgehend weigern, sich ernsthaft mit der Kochkunst auseinander zu setzen. Was passiert dort?

 

 

Wer definiert, was „Kunst“ ist und warum?

Es ist immer wichtig, zu klären, wer eigentlich aus welchen Gründen bestimmte Dinge so verstehen will, wie sie dann verstanden werden. Fallen wir gleich mit der Tür ins Haus: eine Schicht von Kunstliebhabern in der Bildenden Kunst, die sich mit Dingen befasst, die ihre Evidenz längst weitestgehend verloren hat (die also dem allergrößten Teil der Bevölkerung völlig unverständlich sind) hat schon seit vielen Jahrzenten ein genuines Interesse daran, unter sich zu bleiben. Wenn man schon keine Wirkung erzielt, will man wenigstens das Bewußtsein haben, die „wirkliche“ Kunst zu praktizieren und sich per Selbstdefinition über den Rest der Welt zu erheben. Die – salopp gesprochen – Verschwurbelungsindustrie der zeitgenössischen Bildenden Kunst ist mittlerweile so selbstreferentiell geworden, dass es wohl auf lange Zeit nicht mehr möglich sein wird, ihre Arbeit in der Mitte der Gesellschaft zu positionieren. Die Arroganz des selbstreferentiellen Denkens zeigt sich dabei als so groß, dass die Akzeptanz der avancierten Kochkunst nach wie vor ein absolutes Unding ist. Ich lese fast seit Beginn vor rund 50 Jahren das Magazin „Kunstforum“. Dort wird das Problem in aller Deutlichkeit sichtbar.

Die avancierte Kochkunst sollte sich nicht einem Kunstbegriff unterwerfen, der vor allem interessengesteuert ist und viele Züge des Sektiererischen trägt. Natürlich ist man nicht „Kunst“ unter den Aspekten zeitgenössischer Kunstdiskussionen. Und das ist gut so. Man könnte genau so zurückfragen, ob diese abgeschotteten Zirkel denn tatsächlich noch etwas mit Kunst zu tun haben und ob der Kunstbegriff nicht einer Revision bedarf, die ihn wieder stärker in eine individuelle (und eben nicht nur irgendwie definierte „gesellschaftliche“ Funktion setzt). Die avancierte Kochkunst sollte da wesentlich selbstbewusster werden.

 

 

Die Begegnung mit Kochkunst als komplexer Erlebnisform wird kaum jemals wirklich erfasst und begriffen

Wie dem auch sei: wenn man sich trotzdem einmal mit dem Argument befasst, das Erleben von Kochkunst sei vor allem ein körperliches und insofern als Kunst nicht satisfaktionsfähig, wird man schnell feststellen, dass die Rezeption der „Gegenseite“ naiv und in keiner Weise auf dem Stand der Dinge ist. Das Erleben von Kochkunst ist ein sehr komplexer Vorgang, der weit über den Abgleich mit Vorerfahrungen hinaus in jedem Falle wirksam ist – auch dann, wenn der jeweilige Esser dies verneint. Demjenigen, der sich – einem Museumsspaziergänger vergleichbar – nur oberflächlich den Dingen nähert, wird genau so viel entgehen, wie dem, der die vielen Stränge der Beziehungen zwischen Werk und Rezeption nicht begreifen kann oder will. Mein ehemaliger Lehrer an der Kunstakademie Düsseldorf, Gerhard Hoehme, hat einmal ein Bild gemacht (es war eine eher ungegenständliche Arbeit mit einigen plastischen Elementen), das den Titel trug: „Denn siehe das Bild erst im Zwischenbereiche“ (oder so ähnlich..). Genau das ist der Punkt. Essen hat nicht nur etwas mit „Emotionen“ zu tun, wie dies vielfach stark vereinfachend genannt wird, sondern mit einem komplexen, assoziativen Kontext, mit einer Vielzahl von bewussten oder unbewussten Reaktionen auf ganz verschiedenen Ebenen. Kochkunst ergreift tatsächlich, weil sie von der direkten körperlichen Reaktion bis zu jeder Art von „Tiefgang“ in anderen Reaktionen oder Aktionen alles hat. So gesehen ist sie mehr Kunst als alles andere, sie „ergreift“ tatsächlich und lässt viele der anderen Kunstformen weit hinter sich. Dass das von den Anhängern eines verengten, oft genug interessengesteuerten Kunstbegriffs so nicht gesehen wird, ist verständlich. Man hat da einfach wenig zu bieten.

Insofern kann man den besten Köchen nur raten, auch in diesem Punkt mehr Selbstbewußtsein zu entwickeln, nicht die Bittsteller zu geben, wenn es um den kulturellen Rang der Kochkunst geht, und gerne auch klar zu machen, dass die Wirksamkeit der entwickelten Kochkunst, ihr Hineinwirken in alle Teile der Ernährung, Ökologie und Gesellschaft oft genug höher ist als die der traditionellen Künste.

 

 

Nachbemerkung

Ich selber habe die Frage, ob Kochen Kunst ist, lange Zeit sehr vorsichtig angegangen und zum Beispiel gesagt, dass Kochen „unter bestimmten Umständen“ Kunst sein kann (so etwa in einem Feature über mich in der Zeitschrift „Art“). Als Beispiel für eines der ersten echten „Kunst“ – Objekte in der Kochkunst habe ich „Tutte le lingue del mondo“ von Massimo Bottura angeführt, bei dem er sich selber explizit auf den Künstler Lucio Fontana bezieht.

Mittlerweil bin ich zu dem Schluß gekommen, dass man die Sache offensiver angehen muss – siehe oben, und dass mein Bezug zu Bottura noch zu sehr in Kategorien stattgefunden hat, die „von außen“ kommen. Die Kochkunst sollte sich davon stärker befreien und mit ihren eigenen Werten und Bezügen arbeiten, die eben zeigen, dass sie eine sehr, sehr gute Kunst sein kann.

 

 

 

 

 

 

9 Gedanken zu „Ist Kochen Kunst? Man sollte das Thema wesentlich selbstbewußter diskutieren.“

  1. Kubelka konnte zwar wenig mit der „Sterneküche“ anfangen, allerdings war die Küche von Ferran Adrià (der im Artikel gar nicht auftaucht) auch für Kubelka von Interesse. Er ist z.B. im Buch „Food for Thought“ teil eines Tischgesprächs im elBulli.
    Es gibt sicher spannende Parallelen zwischen Küche und Kunst, und natürlich kann auch Küche als Kunst verstanden und rezipiert werden. Allerdings dominiert selbst bei hochdekorierten Köchen ein Verständnis von Kochkunst als handwerklich perfektes und schön angerichtetes Essen. Dabei wird in der Küche immer auch konzeptuell gearbeitet und das auch ganz bewusst wie bei Adrià oder Bottura. Interessant ist es zu sehen wie Künstler*innen im Gegensatz zu Köch*innen mit Essen umgehen. Es zeigen sich dabei allerdings auch Parallelen, die Welten lassen sich durchaus verbinden.

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    • Konnte? War? Der Mann lebt ja meines Wissens noch 😉 Nach dem Besuch im El-Bulli zeigte er sich ja vor allem von der Maschinerie dort beeindruckt… Wofür er allerdings schon immer plädierte, war eine Rückbesinnung auf regionale Prägnanz, lange bevor es ein Trend oder eine Bewegung wurde. Jedenfalls, sein Kunstverständnis/Kunstbegriff in Bezug auf das Kochen ist sehr anders, als das, was zB Herrn Dollase vorschwebt, glaube ich. Ganz wertneutral gesprochen. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Trotzdem kommt man um Kubelka bei dem Thema eigentlich nicht herum. (Muss direkt mal recherchieren, ob dieser Aspekt auch bei der Hommage im Centre Pompidou 2017 Thema war – sollte man in Frankreich ja meinen…)

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      • Richtig, er lebt natürlich noch und tritt immer wieder mal mit Vorträgen in Erscheinung. Ich denke auch, dass sein Kunstbegriff diesbezüglich ein anderer ist aber unbedingt in einer solchen Diskussion berücksichtigt werden sollte. Andere kochende Künstler bereichern ebenfalls diesen Diskurs z.B. Rirkrit Tiravanija, Daniel Spoerri, die Futuristen aber auch Beuys und andere.

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  2. Schade, dass hier die Chance vertan wurde, zu definieren, wo die Berührungspunkte von Kochkunst und Kunst liegen könnten. Stattdessen weitestgehend wohlfeiles bashing des aktuellen Feuilletonbetriebs. Garniert mit einem Kunstverständnis aus dem 19. Jahrhundert – Kunst in erster Linie = perfektes Handwerk – als hätte es Marcel Duchamp, Warhol oder auch Beuys und den erweiterten Kunstbegriff niemals gegeben. Und dass Essen etwas mit einem komplexen assoziativen Kontext zu tun hat, wurde dem Bildungsbürger schon vor 100 Jahren von Proust durch die berühmte Madeleine Episode erklärt. Zur Ausgangsfrage trägt diese Erkenntnis nur bedingt bei, da sie sich lediglich auf die Rezeption von Essen bezieht. Aber ab wann ist denn nun Kochen Kunst?

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    • Lieber Marius,
      ich habe dazu ganze Berge geschrieben, bitte aber um Verständnis dafür, dass es hier sehr viel praktischer und nicht so theoretisch zugeht. Ich sehe aber einmal nach, ob ich etwas finde, dass einigermaßen kompakt ist – vielleicht aus dem Bereich der FAZ-Geschmackssachen. – In diesem Text hier geht es mir mehr darum, sich nicht durch Definitionen, die ganz andere Ziele verfolgen, auf eine Spur bringen zu lassen, die nichts bringt. Ich rede auch nie davon, dass perfektes Handwerk im traditionellen Sinne Bedingung für Kunst ist. ich rede davon, dass bei der Kochkunst perfektes Handwerk . im Moment noch, muss man eigentlich sagen – notwendig ist, und dass es eine Menge von „anerkannten“ Künsten gibt, bei denen es genau so ist.

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      • Lieber Herr Dollase,

        besten Dank! Falls Sie tiefergehende Analysen zu dem Thema entweder aus der Geschmackssache oder Ihren Büchern verlinken oder zitieren könnten wäre ich sehr dankbar.

        Herzliche Grüße und besinnliche Feiertage

        M.

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        • Ja, mache ich wahrscheinlich. Ich habe einmal eine zeitlang für die „Kunstzeitung“ exakt zu dem Verhältnis von Kunst und Kochkunst geschrieben, darunter auch eine Serie namens „Fast Forward“. Daraus werde ich hier dann einmal etwas heraussuchen. Gruß JD

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  3. Nun ja, an der Frankfurter Städelschule (nicht unbedimgt die schlechteste ihrer Art) unterrichtete der österreichische Künstler Peter Kubelka über Jahrzehnte hinweg „Film und Kochen als Kunstgattung“. Für ihn ist Kochen seit jeher die älteste Bildende Kunst überhaupt. Kubelka kommt allerdings von einer Hardcore-Avantgarde und findet die Kunst beim Kochen auf anderen, abstrakteren Ebenen, wenngleich er in seinen Beispielen sehr konkret ist (legendär ist sein Vortrag über das Wiener Schnitzel). Solche Sachen, wie die von Bottura, würde er vermutlich belächeln. Bezeichnend ist aber auch hier, dass dieser Aspekt seiner Theorien und Lehre z.B. bei Wikipedia nur ganz am Rande vorkommt. Man drängt das in der Rezeption beiseite.

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