Juan Mari Arzak/Elena Arzak: Arzak + Arzak. Grub Street, London 2020. 255 S., geb., Hardcover. Ca. 36 Euro (in englischer Sprache)

Wieder ein sehr schönes Buch, das – mit 2 Jahren Verzug – aus dem Spanischen ins Englische übersetzt wurde. Im Mittelpunkt steht die Familie Arzak, die etwas erreicht hat, was auch international außergewöhnlich selten ist. Juan-Mari Arzak (geb. 31.7.1942) hat aus dem Familienbetrieb mit regionaler Küche nach Übernahme von seiner Mutter im Jahr 1966 erst einmal ein Gourmetrestaurant gemacht. Ende der 70er Jahre galt er als bester spanischer Koch, 1989 bekam er den dritten Michelin-Stern. 1995 gründet er dann das Restaurant „Arzak“ in San Sebastian, das heute von seiner Tochter Elena geführt wird. Juan Mari Arzak hat sich stilistisch immer weiter entwickelt und sich dabei eine große Offenheit für die aktuellen Entwicklungen in Spanien erhalten. Es gibt legendäre Geschichten darüber, dass er in der Küche des „El Bulli“ gesichtet wurde, und zwar nicht als Besucher, sondern als Lernender, der sich mit deutlich über 60 Jahren dort die neuesten Entwicklungen nicht nur angesehen, sondern angeeignet hat. Auch so etwas ist selten.

Vor diesem Hintergrund einer großen kulinarischen Offenheit wird auch der Stil des Hauses Arzak verständlich. Auch dieser Stil ist eine Besonderheit, weil er sich wie selbstverständlich zwischen klassisch-traditionellen Einflüssen (vor allem im aromatischen Bereich) und der Avantgarde bewegt, und das bis hin zu einigen plakativen Gags, wie etwa der „Seeteufel bei Ebbe“, ein Gericht, das auf einem I-Pad mit einem Video von Strand und Brandung serviert wird. So etwas passt zu einem Motto von Arzak, das da lautet: „Man muss die Welt mit den Augen eines Kochs und dem Geist eines Kindes betrachten.“ Und noch ein Zitat aus dem Buch: „Wir beschreiben unsere Küche als eine individuelle Küche, als baskisch, kreativ, erfinderisch und avantgardistisch“. – Leider wird die große Spannweite dieser Küche und der entspannte Zugang oft und gerade von Nicht-Spaniern mißverstanden. Neulich las ich in einem der unsäglichen Restaurantbesucher-Blogs, in denen sich Hobbyesser so gerne als Kritiker aufspielen, Bewertungen einzelner Gerichte der „Arzak“ – Küche, die durchweg recht hoch waren. Das Fazit aber war ein Schlechtes. Der Blogger oder die Bloggerin war enttäuscht, weil das nicht die spanische Avantgarde wäre, die man erwartet hatte. So ist das eben. Ein Kritiker sollte erst einmal verstehen, was irgendwo gemacht wird, nach Möglichkeit keine Noten geben und den Oberlehrer spielen, sondern analysieren und vermitteln und vor allem keine vorgefassten Meinungen und/oder Erwartungen haben. Mich erinnert der Arzak-Ansatz leider nicht unbedingt an deutsche Restaurants (vielleicht hat Joachim Wissler hier und da eine kleine Ähnlichkeit), dafür aber an den in einer vergleichbaren „Grundaufstellung“ ganz sensationellen Jonnie Boer von „De Librije“ in Zwolle.

Das Buch
Obwohl es schon eine ganze Reihe von Büchern aus der Hand von Juan Mari Arzak gibt, liefert dieses Buch erst jetzt eine komplexe Vorstellung der Geschichte und Arbeit von Juan Mari Arzak und Elena Arzak – vielleicht, um noch einmal ganz deutlich zu machen, wie eng und gemeinsam und an den gleichen Themen hier gearbeitet wird, dass eine Tradition fortgesetzt wird und nicht etwa Elena früher oder später etwas ganz anderes machen will. Insofern geht es bis auf Seite 111 um Vater und Tochter, das Restaurant und seine Arbeitsweise. Es folgen dann 64 Rezepte aus dem breit gefächerten Programm, aktuell und nicht historisch zusammengestellt.

Der ganze Betrieb und seine Arbeitsweise sind schon lange dafür bekannt, dass hier – wie bei den Rocas oder bei den Adrià-Brüdern und weiteren spanischen und internationalen Köchen – nicht nur gekocht, sondern vor allem auch geforscht wird. Wie jede gute Firma stellt man eben nicht nur Produkte her, sondern hat auch seine Entwicklungsabteilung, die für den kreativen Input sorgt. Man ist eben ein Familienbetrieb und macht, was man für richtig hält. Angestellte Köche in großen Hotels haben solche Möglichkeiten in der Regel nicht. Die Einleitung beginnt übrigens mit einem Zitat von Jonathan Swift, der da gesagt hat: „Visionen sind Dinge, die für andere Leute unsichtbar sind“.

Es folgt ein Kapitel über „einen Vater, eine Tochter und ein baskisches Restaurant“. Danach geht es um Juan Mari Arzak und die Geschichte des Restaurants, in dem sich Juan Mari nach 20 Jahren, in denen er Seite an Seite mit Elena gekocht hat, nicht etwa verabschiedet hat, sondern sich sozusagen ganz langsam aus dem operativen Geschäft zurückzieht. Das für mich schönste Foto zeigt den Meister in seiner Bibliothek, die mit Register-Schildern auf jedem Buchrücken vollständig professionell aussieht, im Dunkeln und an einem kleinen Schreibtisch. Dann wird „Das Laboratorium“ vorgestellt und die berühmte Aromensammlung, die vor vielen Jahren als oft erste Information aus dem Restaurant Arzak international bekannt wurde. Ich habe mittlerweile auch eine große Sammlung von Aromen und kann nur sagen, dass das Riechen an allen möglichen Aromen oft eine enorm wichtige Inspiration ist. (Anmerkung: Mein größter Schatz ist ein Glas mit Pflaumenmus von meiner Großmutter, das zu Beginn der 60er Jahre abgefüllt wurde. Sie machte ein Mus, dass irgendwie unnachahmlich schmeckte und roch. In meinem 60 Jahre alten Glas befindet sich ein dezent elastischer Klumpen, der absolut noch so riecht, wie ich es in Erinnerung habe. Nichts ist verfallen, nichts verschimmelt, es ist wie ein Aromenwunder. So gesehen habe ich noch etwas vom Geschmack meiner Kindheit im Glas). – Teil des Laboratoriums ist eine Versuchsküche mit allen möglichen Gerätschaften, ein echtes Laboratorium also, in dem man getrennt von der Küche forschen kann. Natürlich haben die Beiden auch einen altgedienten Mitarbeiter, der sich auf diese Forschungen konzentriert. Weiter geht es mit dem „Chef’s Table“, der hier als erweiterter Familientisch gesehen wird, und schließlich geht es um „Die Küche“, Untertitel „Elena Arzak und die Zukunft“. Den Abschluss des Teils bildet ein Zitat von Elena: „Meine größte Herausforderung ist es, die unvorhersehbaren Geschmäcker der Leute vorauszusehen und ihnen immer ein Stück voraus zu sein.“

Der Rezeptteil ist bunt gemischt und zeigt sowohl die regionale/lokale/traditionelle Bindung wie die Nähe zur internationalen Avantgarde. Der Aufbau ist klassisch, ergänzt durch ein paar kleine Kommentare bei einigen Rezepten. Es gibt z.B. die „Garnelen und verkohlte Zitronen mit Patchouli“ (ebenfalls auf einem I-Pad serviert, dieses Mal mit Feuer), „Bambus und Kokotxas“, „Fish out of Water“, bei dem der Fisch in einer Art Ballon serviert wird, den spektakulär aussehenden „Kalbseintopf mit ‚Tinte‘“, eine Art essbares Kunstwerk, fast ganz in Schwarz gehalten. Aber – keine Sorge, höchstens ein Drittel der Gerichte haben diese kleinen „Hooks“, also ein nicht im engeren Sinne kulinarisches Element in sich, das unterhält und/oder irritiert – je nachdem. Die „Ente mit Vogelfutter“ (eine Kombination aus Ente und allerlei Körnern) erinnert in der Optik eher an die Reihen von Michel Bras, während die „Seezunge in Süßholz“ sehr produktorientierte Proportionen und eine minimalistische Garung in einem großen Stück Rohrzucker hat. Die sensorische Struktur ist meistens auffällig gut, etwa bei der „Soja-Ente“, die nur von unterschiedlichen Mikros begleitet wird. Die „Mondrian-Austern“ haben einen sehr speziellen, graphisch-künstlerischen Aufbau, aber nicht besonders viel mit Mondrian zu tun, und die „Zertretenen Früchte“ erinnern daran, dass das Restaurant mitten in der Stadt liegt – sozusagen. Bei den Arzaks wird eben auch oft ganz entspannt gespielt, und es kommen Gerichte und Gags auf den Tisch, die bei der vorauseilenden Vorsicht vieler anderer Köche die Diskussionen kaum überstehen dürften. Das ist auf alle Fälle amüsant, und für einen seriösen Geschmack sorgt schon die Tradition des Hauses.

Fazit
Solche Übersichten über die Arbeit der großen Restaurants gehören grundsätzlich in jede gute kulinarische Bibliothek. In diesem Falle ist der kulinarische Inhalt vielleicht nicht ganz mit der Arbeit der kreativen Großmeister zu vergleichen, hat aber dafür eine spannende Mischung aus Tradition, Moderne und Avantgarde und zeigt zudem ein interessantes Spiel mit dem Gast, der eben auch auf diversen anderen ästhetischen Ebenen erreicht wird. Insofern ist das Buch sehr gut und spannend und sicherlich für viele Köche eine Anregung.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Fotos © Arzak/Sara Santos, Grub Street

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