Kollektion politisch nicht ganz so korrekter Weine (die man trotzdem immer wieder so erstaunlich gerne trinkt).

Folge 3: Brutalis

Ich zitiere aus einer Online-Beschreibung: „Der Brutalis ist eine Cuvée der autochthonen Traubensorte Alicante Bouschet und dem internationalen Cabernet Sauvignon. Der Wein hat ein intensives Bukett von Cassis, Kirschen, Vanille, Kakao, Minze und Zeder. Am Gaumen wuchtig, dicht, intensive Frucht mit sehr dichtem Tanninmantel und ein langer Nachhall, der Wein ist ein wahrer Kraftprotz.“

BrutalisDie routinierte Weinbeschreibung in allen Ehren: Aber das ist nicht das, worum es hier geht. Als ich die Flasche zum ersten Mal im Regal entdeckte, musste ich schmunzeln. Eine erkennbar dicke Flasche mit einem Namen, der irgendwie ein wenig mit der Tiefenpsychologie der Weinfreunde zu spielen schien. Einen „brutal“ schmeckenden Wein stellt man sich so extrem intensiv vor, dass die fein schmeckenden Weinnasen sich mit Grausen abwenden. Es gibt ja schließlich auch Leute, die keinen sortenreinen Syrah anrühren, weil sie sich einfach nicht vorstellen können, dass man aus solchen Trauben einen guten Wein machen kann. Dicke Flaschen signalisieren außerdem gehobene Qualität und wenn dann noch der Korken durch Siegellack verschlossen ist, suggeriert das natürlich allerhöchste Qualität, für jahrzehntelange Lagerung gut gerüstet – sozusagen. Das Tier im Weinfreund reagiert auf so etwas.

Apropos „dicke Flasche“. Es wird sich herausstellen, dass die dicke Flasche ein merkwürdiges Problem mit sich bringt. Man gießt die Gläser ein, und hält die Flasche wegen ihres immensen Gewichts für voller, als sie eigentlich ist. Plötzlich ist sie leer, und man hat immer noch das Gewicht einer vollen Flasche in der Hand…

Nun denn, der Geschmack. Erst einmal hält er sich in Grenzen. Frisch im Glas ist man also erst einmal ein wenig enttäuscht, weil man von der aromatischen Keule, die man erwartet hat, noch nicht so besonders viel erkennt. Er braucht also Luft und wird die Anklänge von dem, was oben beschrieben ist, erst nach geraumer Zeit zeigen. Ja, es gibt Kirsche und Co., aber bei weitem nicht so intensiv, wie erwartet. Erst einmal schmeckt es unfertig und es stellt sich die Frage, ob man die Sache mit dem Siegellack-Verschluss doch ernst nehmen und den Wein erst einmal 15 Jahre lagern sollte. Tatsächlich meint aber „unfertig“ noch etwas Anderes. Es gibt Frucht und Tannine, die weder gut zusammenkommen noch so wirken, als ob sie irgendwann einmal zu einer sensationellen Mischung finden werden.

Stellt man die Flasche nun enttäuscht zur Seite? Nein, es gibt Gründe, den Wein exakt in dieser Kollektion vorzustellen. Wenn man sagen würde, dass er „portugiesisch“ schmeckt, sind die Freunde der besten portugiesischen Weine vielleicht nicht gerade erfreut. Ich meine das aber nicht in Bezug auf die Weinstruktur und -qualität, sondern in Erinnerung an Weine in südlichen Gefilden, an enge, wuselige Altstädte nach einem warmen Tag, an kleine Restaurants oder Bars, in denen möglicherweise ein großer Wein nicht wirklich schmecken würde, ein „Brutalis“ aber schon. Vielleicht würde man ihn dort gekühlt trinken, dekantieren und erst als Erfrischung sehen, um sich dann langsam aber sicher in Richtung seiner Aromen fortzutrinken. Die 14 Vol.% sorgen für schnelle Wirkungen, vor allem in Verbindung mit den kräftigen Tanninen, und der Tisch, auf dem die Flasche steht, muss nicht unbedingt mit weißem Tuch bedeckt und fleckenfrei sein. Man wird ihn zu dem trinken, was man isst und sich nicht darum kümmern, ob ein Weißwein besser wäre, weil der „Brutalis“ zu allen kräftig-südlichen Essen gut schmeckt. Und man wird sich wieder ärgern, wenn die Flasche plötzlich leer ist, obwohl sie noch so schwer in der Hand liegt.

3 Gedanken zu „Kollektion politisch nicht ganz so korrekter Weine (die man trotzdem immer wieder so erstaunlich gerne trinkt).“

Schreibe einen Kommentar zu Jürgen Dollase Antworten abbrechen