Laudatio Thomas Imbusch, Restaurant „100/200“, Hamburg, Aufsteiger des Jahres, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.

Vorbemerkung: Am letzten Samstag im Januar findet normalerweise im Ballsaal von Schloss Bensberg die Gala der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zur Ehrung der „Lieblinge des Jahres“ statt. Es ist eine sehr schöne Veranstaltung, die weder mit Promis noch „Feinschmeckern des Jahres“ besetzt wird, sondern ganz den Köchen und Winzern gewidmet ist. Fünf der Preisträger kochen jeweils einen Gang, dazu kommen dann die von meinem Kollegen Stephan Reinhardt prämierten Weine. Für die Auswahl der „Lieblinge“ unter den Köchen, Service, Sommeliers etc. bin ich zuständig, und zwar seit 2007. Die erste Gala fand dann im Jahr 2009 im „Überfahrt“ am Tegernsee statt. Danach sind wir ins Schloss Bensberg gewechselt.

Der Ablauf der Veranstaltung ist sehr klar strukturiert. Es gibt nur eine kurze Begrüßung von einem der FAZ-Herausgeber, dann beginnt das Essen. Zwischen den Gängen werden die Preisträger geehrt, und das jeweils mit einer kurzen Laudatio, der Übergabe der Urkunde und einem Interview. Weil die Veranstaltung auch in diesem Jahr wegen Corona wieder abgesagt werden musste, gibt es natürlich auch keine Laudatio. Das finde ich sehr bedauerlich und möchte das deshalb hier auf www.eat-drink-think.de machen – zu Ehren der Preisträger. Die Urkunden an sie sind gerade versendet, und ich will nun in den nächsten Tagen hier etwas zu den von mir ausgewählten „Lieblingen“ sagen. Als die Liste am 6. Dezember in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlicht wurde, gab es – platzbedingt – nur einen eher kleinen Text. Hier nun kann ich etwas mehr sagen und vor allem auch meine Auswahl genauer begründet.

 

FAS Aufsteiger des Jahres 2021: Thomas Imbusch, Restaurant „100/200“, Hamburg

Die Kategorie „Aufsteiger des Jahres“ ist eine sehr offene Kategorie, die Preisträger aus ganz unterschiedlichen Bereichen haben kann. Bei meinen Überlegungen gibt es deshalb in dieser Kategorie auch immer sehr viele verschiedene Ideen, viele Namen, die sich im Laufe des Jahres durch ihre guten Leistungen in der Erinnerung festsetzen. In diesem Jahr war es zum Beispiel bei mir so, dass ich eigentlich längst eine engere Wahl hatte, bevor sich dann – sozusagen im letzten Moment – eine Begegnung mit Thomas Imbusch (und nicht zu vergessen Sophie Lehmann) vom Restaurant „100/200“ in Hamburg ergab, die so beeindruckend war, dass für mich kein Weg an ihm vorbeiführte. Der Grund ist eine überzeugende kulinarische und gastronomische Leistung, die so ist, dass man sie als Vorbild sehen kann und sich ähnliche Formate auch an anderen Stellen wünscht – verbunden mit dem Eindruck, dass die Leistung von Thomas Imbusch mittlerweile besser als seine gegenwärtige Einstufung in den Führern ist.

Das Ambiente in der ehemaligen Gewerbeimmobilie hat etwas von einem Szene-Club. Auch dazu muss man erst einmal etwas sagen. Es gibt mittlerweile viele ältere Gäste, die keineswegs mit Kronleuchtern, langen Vorhängen, weißen, bis auf den Boden herabhängenden Tischdecken und viel teurer „Tafelkultur“ aufgewachsen sind. Auch sie kennen bereits Szene Clubs und/oder Discos, die viel Schwarz und sichtbare Technik haben und fühlen sich darin durchaus wohl. Insofern hat sich auch dort längst eine Menge geändert. Aber – es geht beim „Aufsteiger des Jahres“ nicht primär ums Ambiente oder ähnliche Dinge. Und da kommt man im „100/200“ erst einmal an eine Klippe, die ausgerechnet ich in der letzten Zeit intensiv diskutiert habe. Es geht um die „Zwangsmenüs“, die den Gästen keine Wahl lassen, den Eintrittspreis erhöhen und sowohl kulinarisch wie gastronomisch oft eine Schwelle sind, die viele Gäste nicht überschreiten wollen. Ich habe das hier mittlerweile auch kulinarisch detailliert kritisiert. Und nun ehre ich einen Koch, der genau das macht und zu allem Überfluß noch ganz extrem. Im „100/200“ gibt es nur ein Menü (für aktuell 144 Euro) und man macht aus dieser Position auch noch „Kult“: „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt“ heißt es auf der Website, und das auch noch ohne die Möglichkeit, irgendwelche Extras zu bekommen.

Warum ich diese Tatsache trotzdem akzeptiert habe und sogar noch dafür werbe, es ähnlich zu machen, liegt ganz einfach an der Art des Menüs. Imbusch „kann“ Menü. Seine Gerichte sind präzise dimensioniert, nie sehr groß, aber auch nie so, dass etwas fehlt, und vor allem ist das Ganze so leicht, dass man überhaupt nicht an die Zahl der Gänge denkt oder in einen Zustand der ansonsten oft zu findenden, vorzeitigen Überfüllung kommt. Während man an anderer Stelle manchmal schon die Snacks vor dem Menü als zu schwer empfindet, wird man hier genau auf dem Punkt gehalten, wo man eigentlich von den Gerichten noch gerne etwas mehr hätte, aber andererseits auch zufrieden mit der Portion ist. Hier wird die Spannunskurve hochgehalten, und das nicht nur wegen der Mengen, sondern auch wegen einer ganzen Reihe degustativer Spezialitäten, also weil das Essen spannend ist. Da ist zum Beispiel seine frühe, inhaltlich klar nachvollziehbare Demonstration der Grundgeschmäcker (süß, sauer, bitter, salzig, Umami), die nicht nur den degustativen Charakter des Menüs frühzeitig erhöht, sondern auch die wichtige Umschaltung (eigentlich: Ergänzung) auf ein stärker reflektierendes Essen schafft. Gleichzeitig muss man hier nicht befürchten irgendwie belehrt zu werden. All das, was hier als Wissen den Genuß erhöht, wird in einer völlig entspannten, nie belehrenden Weise vorgetragen. Man arbeitet im „100/200“ in einer angenehmen Un-Distanz, die deshalb so angenehm wirkt, weil sie nicht mit kumpelhafter Nähe daherkommt, sondern im allerbesten Sinne „normal“ ist. Und weil dann auch noch die Gänge im einzelnen mit viel Kreativität bei gleichzeitiger Süffigkeit daherkommen, lässt es sich hier wirklich gut essen.

Im engeren kulinarischen Sinne ist Thomas Imbusch ein Koch mit einer ungewöhnlichen Herkunft, die bei ihm gleichzeitig zu ungewöhnlichen Schlüssen geführt hat.

Zwischenbemerkung: Die Analyse eines kompletten Menüs mit mehreren „Specials“ finden Sie in der aktuellen Ausgabe von „Port Culinaire“ als Folge Nummer 50 meiner großen „Avantgarde“ – Serie mit Fotos von Thomas Ruhl.

Nach Stationen zum Beispiel bei Marcus Gerlach im „Parkhotel Bremen“ und Christian Bau kam Imbusch zu Tim Mälzer, wo er in der „Bullerei“. kochte, an Büchern mitwirkte und schließlich im „Off Club“ die Küche des „Madame X“ erarbeitete. Üblicherweise ist ja eine Verbindung zu Tim Mälzer nicht unbedingt ein Garant für kreative Höhenflüge. Imbusch aber ließ dort seiner Kreativität erstmals freien Lauf und wurde schnell bekannt. Eine Erklärung für das, was er jetzt macht, ist das alles nicht wirklich., Es scheint eher so zu sein, als ob Imbusch das gefüttert hätte, was er an Talent in sich hat – ohne sich durch berufliche Kontakte allzu weit aus der Bahn bringen zu lassen (um es einmal negativ zu formulieren). Geblieben ist vor allem eine erhebliche Professionalität und ein Geschmacksbild, das fast dazu prädestiniert ist, in Zukunft noch Größeres zu schaffen als bisher. Imbusch scheint keinen spezifischen Stil zu haben oder an einem solchen zu arbeiten. Seine wichtigsten kulinarischen Werte liegen – bei durchaus oft schöner Optik seiner Gerichte – im Geschmack. Man bekommt Kreationen, die sehr zeitgenössisch aussehen, andere, die eher klassisch aussehen und insgesamt hat das Menü eine große Spannweite. Vom kalten Tomatentee und einem Austern-Tartelett über die „Einstimmung“ mit den fünf Geschmacksrichtungen geht es zu einem originellen Brot- und Butter Setup, einem sagenhaft süffigen „Liebesknochen“ (Mark, Kaviar), zu „Wild mit Jasmin und Dill“, zu „Flotzmaul-Harzer-Ei“, zu einer Weltklasse -Interpretation von „Salat und Bisque von Kaisergranat“ oder einem klassisch basierten „Wild – Rettich – Rhabarber, Rouennaiser Sauce“. Als Koch wie als Lehrer für seine Crew geht es Imbusch erst einmal und immer um das Kennen und vor allem Verstehen klassischer Zubereitungen und Qualitäten. Seine ganz große Spezialität ist es nun, diese Qualitäten mit einer Art modernen Süffigkeit und all dem an modernen Elementen zu verbinden, was Sinn und Spaß macht. Diese Abrundung mit einem recht frei entwickelten Lustprinzip bei gleichzeitig klassisch-handwerklicher Qualität hat Zukunft.

Deshalb habe ich Thomas Imbusch zum Aufsteiger des Jahres gewählt.

1 Gedanke zu „Laudatio Thomas Imbusch, Restaurant „100/200“, Hamburg, Aufsteiger des Jahres, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.“

  1. Jedem Wort kann ich nur zustimmen. War zwei mal dort und werde noch häufiger gehen.
    Bin gespannt, was ihm, und vorallem auch Frau Lehmann , noch so alles einfallen wird.
    So spannend. Ein beeindruckendes Paar.

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