Leben mit Wein (1)

Ich beginne heute eine neue Unterabteilung/eine neue Serie über das Leben mit Wein. Für mich wirken schriftliche Weinbewertungen manchmal wenig informativ bis sinnlos – auch wenn ich weiß, dass sie von einem zuverlässigen Kenner der Szene stammen. Klar, alle haben irgendwie den Duft nach reifen Kirschen, dunklen oder hellen Beeren, exotischen Früchten usw. usf. Was solche Zuschreibungen wert sind, erlebt man spätestens bei den Discountern, die immer wieder „Experten“ finden, die mit solchen Erläuterungen auch noch den allerletzten Fusel trinkbar erscheinen lassen.

Wenn man einmal etwas länger über die Situation nachdenkt, fällt vor allem auf, dass die professionelle Verkostung (aber auch die Verkostungen in vielen Probierstuben) nicht sehr lange dauern und außerdem mit beträchtlichen Variablen arbeiten, die zu sehr unterschiedlichen Eindrücken führen können. Ein kurzes Nippen am Glas aber schafft nur einen sehr kurzen Eindruck. Auch ich kann zu jeder Tages- und Nachtzeit nach einem kurzen Schluck Wein sofort eine ganze Reihe von Sätzen formulieren. Ich bin ja selber Wein-Profi, und das in einem besonders komplexen Bereich, der Begleitung von Wein und Speisen. Meine Serie läuft in „Fine. Das Weinmagazin“ seit Beginn und ich habe die Arbeit der besten Sommeliers Deutschlands und darüber hinaus analytisch begleiten können. Zusammen mit dem Essen hat der Wein deutlich mehr „Leben“, weil der Zusammenhang komplexer ist und man ihn oft über einen längeren Zeitraum beobachtet. Und „Leben“ bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem, dass er sich unter Umständen in dieser Zeit deutlich ändert. Wenn man das Ganze auch noch auf den häuslichen Bereich, also etwa auf das Abendessen überträgt, wird es noch einmal anders. Man sitzt oft länger mit dem Wein als im Restaurant, es ist kein Sommelier in der Nähe, der bereits vorverkostet hat, man trinkt zum Essen, was man gerade trinken möchte und was vielleicht so ungefähr passen könnte, man ist sich nicht sicher, ob man den Wein hätte dekantieren sollen oder öffnet ihn aus irgendwelchen Gründen eher spontan und ziemlich kalt, wo er doch eigentlich besser temperiert werden sollte.

Das ganz normale Leben mit dem Wein ist eben nicht besonders akademisch, und die Akkorde mit dem Essen sind oft eher mentaler Art: das Essen und der Wein schmecken irgendwie gut zusammen, zumindest wenn sie sich zeitlich nicht zu nahe kommen. Vielleicht ist es aber auch so, dass man oft Weine zu einem Essen trinkt, die man eigentlich nicht dazu trinken sollte, weil der Wein darunter leidet. Käse und Wein sollen ja angeblich gut zusammenpassen. Das mag für bestimmte Weine mit bestimmten Sorten gelten, aber auch da oft nur dann, wenn man genügend zeitlichen Abstand hält. Tatsächlich pflegen wir oft eher das mentale Bild von Käse und Wein und nicht wirklich das kulinarische.

Und das ist noch nicht alles beim „Leben mit Wein“. Natürlich gehört der Einkauf dazu, die Gründe, warum man eine Flasche gekauft hat, die Geschichte, die man vielleicht mit dem Wein schon erlebt hat. Und all das trifft sich dann am Tisch wieder und sorgt für ein sehr differenziertes, vielfältiges Geschehen, das oft so ganz anders als die Verkostungsnotizen ist, die man vielleicht über diesen Wein gelesen hat. Weil ich nicht von nennenswerten Vorräten in meinen eigentlich sehr schönen zwei Weinkellern zehren kann (sie waren einmal viel größer…) und außerdem immer gut informiert sein muss, was so alles an Weinen unterwegs ist, wird es in „Leben mit Wein“ auch nicht nur um die Besten der Besten und die Teuersten der Teuren gehen, sondern ganz im Gegenteil um ein eher breites Spektrum zwischen Discounter und einer erschwinglichen Mittel- und Oberklasse. Ich selber bin schon immer so unterwegs und habe das, was ich in den Restaurants oder an anderen Stellen an hervorragendem Material probieren konnte, immer durch das ergänzt, was viele Weinfreunde täglich zu sich nehmen – selbst dann, wenn es einmal Tage gibt, an denen man den nächsten fetten Süditaliener am liebsten nicht mehr anrühren würde.

Hier nun die erste Folge.

2016er Amarone della Valpolicella, Prima Pietra, Cantina di Monteforte, Monteforte de Alpona. (EK Rewe, 19.99 Euro)

Einkauf. Ich streife regelmäßig entlang der Weinregale unserer Supermärkte, die ja oft von Filiale zu Filiale erstaunliche Unterschiede zeigen. Den Großteil der Weine kenne ich (zumindest der etwas besseren), so dass mir in der Regel sofort auffällt, wenn wieder einmal ein neuer Wein auftaucht. Warum man bei Rewe in quasi jeder Filiale in unserer Gegend eine ganze Reihe unterschiedlicher Weine hat, leuchtet mir nicht so ganz ein. Bei Edeka-Filialen in unserer Gegend spielt offensichtlich der Standort eine große Rolle. Die größte Filiale – übrigens am Borussenstadion – hat schon so etwas wie einen Weinhandel mit einem auch bei deutschen Weinen recht breiten (wenn auch in der Spitze eher dünnen) Angebot. Bei Rewe ist das deutlich schwächer ausgeprägt und es fällt manchmal schwer, überhaupt einen Wein zu finden, der etwas Spaß macht. Und weil man in Richtung Bordeaux – wie überhaupt Frankreich – quasi nichts findet und nur ein paar Süditaliener und Spanier dabei sind, interessiere ich mich immer für Amarone oder bisweilen auch für die „abgespeckte“ Ripasso-Version. Hier nun war es einerseits das, andererseits der Name Prima Pietra. Dazu habe ich eine Geschichte

Erinnerung. Ich erinnere mich lebhaft an eine Weinprobierstube mitten in Soave. Ich weiß nicht genau, wann das war und ob es sie heute noch gibt. Jedenfalls hatten wir eigentlich keine großen Erwartungen und wollten einfach nur etwas essen und trinken, das Hotel vor den Toren der Stadt war nur eine Station, um diverse Restaurants in der Gegend zu besuchen. Dann kam die große Überraschung, die wir seitdem nie wirklich vergessen haben. Es gab ein paar einfache Pastagerichte mit frisch gemachten Nudeln und exzellent puristischen Tomatensaucen etc. Es schmeckte sehr gut, offensichtlich mit einer anderen Geschmacksvorstellung zubereitet, sauber und intensiv nach bestem Ausgangsmaterial. Dazu gab es dann offene, glasweise angebotene Weine aus der Gegend, und zwar in einem großen Spektrum von den einfachen lokalen Weinen bis zu einer ganzen Reihe von Amarone-Weinen. Die besten waren auch nicht gerade billig, aber wir hatten wegen der guten Qualitäten allen Grund, uns langsam nach oben zu trinken. Kurzum: es hat wirklich Spaß gemacht und seitdem war für mich ein guter Amarone immer ein Genuss, vor allem dann, wenn er über eine gute Struktur verfügt, nicht dicklich süß, sondern weinig ist, oder wenn die massiven Fruchtnoten noch gut eingebunden sind.

Es ist natürlich unnötig zu sagen, dass man in deutschen Supermärkten oft eher merkwürdige Amarone bekommt, die oft – man muss es so sagen – ihr Geld einfach nicht wert sind. Aber – in Soave gab es eben auch Prima Pietra Weine von der Cantina di Monteforte und so habe ich bei Rewe einen Ripasso und einen Amarone gekauft.

Am Tisch. Die Flasche habe ich etwa 15 Minuten vor dem Essen geöffnet, ein wenig unterhalb der Zimmertemperatur, die Temperatur wirkte jedenfalls angenehm. Im Glas geht die Nase erst einmal in Richtung eines erstaunlich großen Weines mit einer eingebundenen Frucht, weinig und vielversprechend. Der erste Schluck zeigt aber ein deutlich anderes, eher enttäuschendes Bild. Der Wein wirkt eher leicht und man bekommt einen kurzen Süße-Flash mit auffallend wenig Säure. Richtung Abgang und Nachhall wird er immerhin – deutlich verfolgbar – ein wenig komplexer. Und während man noch darüber nachdenkt, ob es sich wieder um einen dieser Handels-Amarone handelt, entwickelt sich im Glas in wenigen Minuten eine Frucht von beträchtlicher Intensität. Das wiederum erinnert ein wenig an den Ripasso aus der gleichen Quelle, dem man seine stabile, weinige, seriöse Fruchtigkeit unbedingt als Pluspunkt anrechnen muss. Und es geht weiter. Nach rund 20 Minuten legt der Wein weiter zu (natürlich aus der Flasche nachgeschenkt). Die Fruchtnoten werden dunkler und origineller, der Wein wirkt deutlich größer.

Wir probieren ein paar Käsesorten, können dem Wein aber letztlich nur etwas Ziegenfrischkäse zumuten. Alles andere hinterlässt mehr oder weniger deutliche Abstriche, selbst wenn man zwischen Essen und Wein etwas wartet. Irgendwann identifiziert man eine interessante Note wie nach Feuerwerkskörpern, irgendwann überlegt man auch, ob man die ganze Flasche zwischen 10 und 25 Minuten nach dem ersten Schluck aus dem Glas komplett und zügig trinken sollte. Aber – er verändert sich weiter. Die nächste Stufe bringt wieder mehr Frucht in die Nase und am Gaumen noch mehr Nuancen, die gut schmecken und nicht etwa dicklich oder plakativ. Bei rund 45 Minuten wird er stabil mit einer stabilen Frucht von Körper bis zum Abgang und zum Nachhall – darin dem Ripasso wieder ein wenig ähnlicher, aber eben komplexer und durchaus sein Geld wert.

Kaufen? Dieser Amarone ist ein etwas schwieriger Kandidat wegen seiner Empfindlichkeit an der Luft. Sollte man ihn Dekantieren? Das kann für eine frühere Stabilität sorgen, wobei aber der Ausgang ein wenig ungewiss ist. Es kann auch sein, dass er dann nach einer kurzen, früh eintretenden Hochphase schnell an Substanz und Struktur verliert.

Mir gefällt er trotzdem und scheint auch seinen Preis wert zu sein, weil er nicht nur meine Erinnerungen antriggert, sondern eben auch ein eigenes Spektrum entwickelt, das ihn wegen seiner Seriosität nicht in Gefahr bringt, banal zu werden. Der Preis in Dänemark (siehe unten) ist hoch, weil dort Wein allgemein sehr teuer ist, so viel sollte man nicht für diesen Wein bezahlen. Wer den Typus „sehr guter, fruchtiger französischer Landwein“ liebt, sollte den Ripasso aus der gleichen Serie einmal probieren.

Wer, was, wie? Auf der Suche nach ein paar Informationen habe ich im Netz quasi nichts gefunden bis auf eine dänische Quelle. Dort kostet der Amarone etwa 35 Euro, und irgendwo gibt es auch ein paar kleine Anmerkungen zu dem Ripasso. Weil der Wein auf der Website der Cantina nicht zu finden ist, muss es sich um eine nicht näher definierte Abfüllung für irgendeinen Markt handeln. Die ähnlichen Etiketten bei Ripasso und Amarone lassen darauf schließen, dass es sich vielleicht um den Versuch handelt, die beiden Abfüllungen als eine Handelsmarke zu etablieren. Man muss erwarten, dass er bei zum Beispiel Rewe eine zeitlang im Regal steht und dann wieder verschwindet. Das passiert oft, man kauft Kontingente, man hat gerne einen Amarone im Programm, legt aber anscheinend nicht unbedingt viel Wert auf Kontinuität.

1 Gedanke zu „Leben mit Wein (1)“

  1. Ich habe diesen Artikel im Moment gelesen und dadurch neue Informationen bekommen.
    Herzlichen Dank für diese umfangreiche schriftliche Arbeit,

    Antworten

Schreibe einen Kommentar