Der Koch und ich – Kapitel 17 Kräuterwissen oder: Viele Köche vererben den Brei

Mit der legendären Biologin Brigitte Klemme kam ich zum ersten Mal in Kontakt, als sie mit meiner Klasse, in der Altenahrer Jugendherberge Kräuterbrötchen auf Gierschbasis backte. Brigitte war im Rahmen solcher Projekte buchbar und führte Generationen von Schulklassen in die Kräuterkunde ein. Sie kannte Jean-Marie Dumaine und er erzählt noch heute, dass sie auch ihm die Welt der Kräuter eröffnet hat. Weg von üblicher Petersilie und Majoran zu unendlichen Genüssen, die die Grenzen im Kopf beseitigten. Auch mein Blick richtete sich auf andere grüne Offenbarungen als die üblichen. Brigitte veranstaltet inzwischen Kräuterführungen in den himmlischen Gärten.

Wer glaubt, dass vor zehn Jahren die Kräuterküche in Deutschland weit verbreitet war, irrt. In neuerer Zeit gibt es Restaurants, auch der Nobellinie, die das als letzten Schrei anbieten, was im Vieux Sinzig schon vor zwanzig Jahren serviert wurde. So ähnlich formulierte es einst Jürgen Dollase. Wie soll sich aber Cuisine entwickeln, wenn Mainstream gelehrt wird? Die Köche sind auf Eigeninitiative angewiesen, auf Fortbildung. Jean-Marie ist hier wohl die erste Wahl, wenn es um Wildkräuterküche geht. So war es nicht verwunderlich, dass wir beide mal wieder gemeinsam in eine schöne Gegend Deutschlands fuhren. Im Rahmen des Projektes Essbares Fichtelgebirgegetragen vom Bund der Selbstständigen dieser Region, war Jean-Marie eingeladen, neben anderen Veranstaltungen, ein Seminar zu moderieren, welches die TeilnehmerInnen zu zertifizierten KräuterwirtInnen ausbilden sollte. Unsere Basisstation war das Hotel Schönblick in Fichtelberg, das vom Ehepaar Hecht-Heusinger geführt worden war. Die Beiden freuten sich, Jean-Marie, den mitgereisten Jungkoch Daniel und mich in Ihrem Domizil zu begrüßen. Nach Ankunft, gab es eine Vorbesprechung, die die Aktivitäten der beiden folgenden Tage festlegen sollten. Die Kräuterspezialisten der Hotelküche, wurden hinzu gezogen und es begann ein akribisches Durchgehen von Zutatenlisten für die anstehenden Kochorgien. Mich interessierte ehrlicherweise eher das, was zum Abendessen serviert werden würde, und als es endlich losging wählte ich die Kalbsleber auf Schmelz von Kartoffelpüree mit knusperigen Zwiebeln, dazu Salatteller. Jean-Marie bestellte seine geliebte, aber selten zu bekommende, Forelle Blau. Auch Daniel genoss die Leber so gut es ging, denn er war vergrippt und schleppte sich durchs Leben. Anschließend gab es Fernsehfußball aus Südafrika auf den Zimmern und ich bedauerte, dass ich mir nicht ein weiteres des ausgezeichneten dunklen Bieres mitgenommen hatte, ein Produkt aus dem Nachbarort Hütten, kleine Privatbrauerei, mit großem Geschmack. Ich konnte schlecht einschlafen, aber nicht wegen Biermangel, sondern wegen der absoluten Ruhe, die das Hotel sanft umschloss. Auf so etwas war ich als Bundesstraßenanwohner nicht vorbereitet. Der folgende Tag begann mit einem ausgiebigen Frühstück, phantastische Konfitüren und alles was man zuhause nicht bekommt, weil meist keine Zeit vorhanden ist. Nach und nach trudelten die TeilnehmerInnen des Events ein, nämlich eine Kräuterwanderung am Fuße des Ochsenkopfes, einer Erhebung, die unsere Hohe Acht in der Eifel in den Schatten stellt, sofern die Sonne scheint. Ich begriff erst allmählich, dass die teilnehmende Gruppe die Besten der heimischen Gastronomie repräsentierte, alles selbstständige, gestandene Wirtsleut, denen man kein umlackiertes Huhn für einen Fasan verkaufen könnte. Was mir sofort auffiel, waren die Lachfältchen in den Augenwinkeln und der wunderschöne Dialekt mit dem rollenden R. Der meist gebrauchte Begriff an den beiden Tagen war a weng, was soviel bedeutet, wie: etwas, wenig, nicht zuviel, geringe Menge, dosiert, vorsichtig gewürzt, sacht, zurückhaltend, behutsam, frei dosierbar, nicht übermäßig, aber eigentlich ein wenig Zum Beispiel schlug Roland (1) vor, dass wir mit weng Wang zum Treffpunkt des Kräuterspazierganges fahren sollten, ich übersetzte es dem fragend blickenden Jean-Marie: „Wir sollen Fahrgemeinschaften bilden“. Jean Marie konnte mit Fahrgemeinschaften nicht viel anfangen, Er fragte: Jeder soll beim anderen einsteigen? Jau! Nur fahren muss auch wer, a weng. Die folgende Kräutererkundung leitete er in seiner unnachahmlichen Weise, d.h.: wanderungsmäßig kommt man kaum voran, wissensmäßig erheblich, wenn man aufpasst. Er verbindet Wildpflanzenkunde mit historischen Hintergründen und offeriert Pflanzen als kulinarisch verwendbar, die man bisher achtlos stehen ließ. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen hatten sichtlich Freude und jemand prägte den Satz: „ Den lasse ma nimmer haam!“ ,für nicht Fichtelgebirgler: Den behalten wir hier. Ich empfand diesen Ausspruch als wunderbares Kompliment für sein Engagement. Allerdings spritze die Gruppe auseinander, als Dumaine einen Hollunderast nahm und die darauf saugenden Blattläuse abknabberte. Sie würden sehr süß schmecken versicherte er. Nach Ende des kleinen Rundganges stellten wir uns zum Gruppenfoto ausgerechnet an einer Bushaltestelle zusammen, was der nahende Busfahrer als willkommene Reisegruppe interpretierte und deshalb anhielt, auf kurzes Zeichen dann aber lächelnd weiterfuhr. Der einzig wirklich wartende, mitfahrwillige, Passagier blieb stehen, wurde aber von einem zur Gruppe gehörenden Auto mitgenommen und nach Weidenberg kutschiert, wo in der technisch hervorragend ausgestatteten Schulküche der Bärwurz tanzen sollte. Tipp: Bärwurz nur mit Handschuhen schälen, er färbt die Finger anhaltend. Ich war mal wieder fasziniert, wie Köchinnen und Köche zusammenarbeiten, diese Coolness. Jeder weiß, was der andere meint, das Ineinandergreifen von Routinen, die Beherrschung der Grundsätzlichkeiten ist nach meiner Erfahrung in keiner anderen Berufsgruppe so ausgeprägt. Jean-Marie war Dirigent in einem Ensemble der besonderen Art, Roland Heusinger war Kapellmeister und alle anderen eigenständige Virtuosen der Küchenkunst. Die neuen Geschmackserlebnisse wurden durchaus kritisch betrachtet, als interessant empfunden und, persönlich einschätzend, kritisiert. Ich verkostete ein einmaliges Sechs-Gänge-Menü auf Wildpflanzenbasis, das ich zwar in den Grundzügen kannte, was mich aber wieder begeisterte. Am Abend beschloss ich, nichts mehr zu essen, machte die Bärwurz-Kräuterwanderung nicht mit, sondern ergötzte meinen Durst mit dem erwähnten dunklen Bier aus der Umgebung und setzte Jean-Marie`s Anregung um, einem Geschmack, mit einem anderen Geschmack, Profil zu geben, indem ich wechselweise auch das Weizenbier vom Fass probierte. Hmmm, lecker! Ich prägte für mich den Sinnspruch: Genussvolles Trinken kennt keine Grenzen, Grenzen gibt es nur im Kopf. Am nächsten Morgen erkannte ich folgerichtig, dass ich keinerlei Kopfschmerzen hatte, sehr gutes Bier und mäßiges Genießen. Es stand wieder eine Kräuterwanderung an, wir wurden auf einem großen Parkplatz bereits erwartet. Ich konnte nicht gut laufen und beschloss, Düse Daniel zu helfen, alle Vorbereitungen für das Mittagsmenü mit zu gestalten. Die Wandergruppe traf pünktlich in der Schulküche ein. Die beiden Kräuterkundigen aus der Hotelküche waren inzwischen auch da und die zweite Kochorgie begann. Eigentlicher Star war ein Thermomix. Es ging um ein einfaches Drei-Gänge-Menü, es gab u.a. gebackenen Aal. Alle Wetter, sowas hatte ich lange nicht probiert, ich aß auch eine nicht für mich bestimmte Portion, die aber übrig war, eine Maßname, die mich bis in den späten Abend begleitete, ein angenehmes Hochkommen meldete, dass mein Magen noch arbeitete, ähnlich wie bei meinem geliebten Brathering. Roland 2 erklärte mir die Vorzüge von Karpfen blau zu gebackenem Karpfen, den ich vor 40 Jahren in der Gegend von Nürnberg immer genossen habe. Ich glaubte ihm aufs Wort, denn wie er in der Küche hantierte wäre es ohnehin Blasphemie gewesen, ihm zu widersprechen. Am Ende unserer gemeinsamen Tagesroutine, z.B. Keramikplatte akribisch säubern, öffnete er noch ein Glas selbstgemachte Rillettes. Schmatz! Die Probanden mussten noch eine schriftliche Kräuterprüfung absolvieren, die alle bestanden. Jeder bekam eine Urkunde von Roland 1. Ich versuchte zwischendurch, im Auto etwas zu schlafen, vergeblich, zuviel Getröte in der Gegend wegen Fußball in Südafrika. Gegen siebzehn Uhr machten wir uns auf in Richtung Sinzig, wo wir gegen einundzwanzig Uhr eintrafen. Hinter uns lag ein Wochenanfang mit sehr guten kulinarischen Erlebnissen, intensiv, kreativ und essbar, wie das Fichtelgebirge. Ich hoffte, dass alle Köchinnen und Köche, alle Virtuosen am Herd und im Service ihr Wissen weitergeben, ergänzen und genial zelebrieren. Ich war froh, dabei gewesen zu sein und sicher, dass alle Köche den Brei vererbensollten.

Dass die damals beteiligten Restaurants, die Corona Krise bewältigen, hoffe ich inständig. Ein Hotel hat wohl inzwischen eine andere Leitung.

Gaststätte Ossecker Stub‘n
Wild-Kräuter-Koch: Fabian Brunhuber
Am Kulm 17 95030 Hof/Osseck
Tel. 0 92 81 / 61 483
ossecker-stubn@gmx.de
www.ossecker-stubn.de
Schneiders Gasthof zum Waldstein
Wild-Kräuter-Köchin: Simone Prell
Marktplatz 16 95239 Zell
Tel. 0 92 57 / 5 01
info@gasthof-zum-waldstein.de
www.gasthof-zum-waldstein.de
Hof
Gasthof Waldfrieden
Wild-Kräuter-Köchin: Silke Kiolbassa,
Walpenreuth 29 95239 Zell
Tel. 0 92 57 / 3 35
silke.kiolbassa@web.de
keine homepage
Waldsteinhaus
Wild-Kräuter-Koch: Thomas Heidenreich
Waldstein 1 95239 Zell
Tel. 0 92 57 / 2 64
heidenreich@waldsteinhaus.de
www.waldsteinhaus.de
Landgasthof Haueis
Wild-Kräuter-Köchin: Iris Haueis
Hermes 1 95352 Marktleugast,
Tel. 0 92 55 / 2 45
info@landgut-hermes.de
www.landgut-hermes.de
Brauerei-Gasthof Schnupp
Wild-Kräuter-Koch: Stefan Schnupp
Altdrossenfeld 8 95512 Neudrossenfeld
Tel. 0 92 03 / 99 2 – 0
info@brauereigasthof-schnupp.de
www.brauereigasthof-schnupp.de
Kulmbach
Gasthof & Hotel Goldener Hirsch
Wild-Kräuter-Koch: Wolfgang Teufel
Hofer Straße 12 95460 Bad Berneck
Tel. 0 92 73 / 76 89
post@goldener-hirsch.de
www.goldener-hirsch.de
Gasthof Deutscher Adler
Wild-Kräuter-Koch: Thomas Puchtler
Kirchenring 4 95493 Bischofsgrün
Tel. 0 92 76 / 92 606 – 0
info@puchtlers.de
www.puchtlers.de
Bayreuth
Gasthof & Pension Wiesengrund
Wild-Kräuter-Köchin: Carolin Engelbrecht
Fröbershammer 5 95493 Bischofsgrün
Tel. 0 92 76 / 2 53
info@wiesengrund-bischofsgruen.de
www.wiesengrund-bischofsgruen.de
Wirtshaus zur Bleaml Alm
Wild-Kräuter-Koch: Uli Rupprecht
Heinz Brunner Weg 1 95686 Neubau
Tel. 0 92 72 / 96 0 93
Bleamlalm@t-online.de
www.bleaml-alm.de
Hotel Schönblick
Wild-Kräuter-Koch: Roland Heusinger
Gustav-Leutelt-Str.18 95686 Fichtelberg
Tel. 0 92 72 / 97 80 – 0
info@hotel-schoenblick.de
www.hotel-schoenblick.de
Wirtshaus im Gut
Wild-Kräuter-Koch: Roland Gläßl
Göpfersgrün 2 95632 Wunsiedel
Tel. 0 9 32 / 91 77 67
wirtshausimgut@web.de
www.wirtshausimgut.de
Foodstyling & Kräuterküche
Wild-Kräuter-Köchin: Beate Roth
Am Bocksberg 11 95632 Wunsiedel
Tel. 0 92 32 / 91 56 64
dipldes.beate@gmx.de
www.beate-roth.de
Wunsiedel
Regierungsbezirk Oberpfalz
Gasthof & Hotel Weisses Ross
Wild-Kräuter-Koch: Hugo Schiml
Th.-Neumann-Patz 4-6 95692 Konnersreuth
Tel. 0 96 32 / 41 14
info@gasthof-schiml.de
www.gasthof-schiml.de
Pension & Gasthof Waldfrieden
Wild-Kräuter-Köche: Edda & Julia Pöllath Schneebergweg 7 95682 Brand/Opf.
Tel. 0 92 36 / 3 76
Pension-Waldfrieden@t-online.de
www.gasthof-pension-waldfrieden.com

Tirschenreuth

 

 

Frank-Krajewsk
Foto © Claus Kuhlen

 

Freuen Sie sich nächsten Sonntag auf ein weiteres, neues Kapitel aus dem spannenden kulinarischem Leben von Frank Krajewski.

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