Marc Veyrat vs. Michelin: Die Diskussion geht weiter und wird grundsätzlich

Nachdem der französische Kreativ-Star Marc Veyrat in der aktuellen Ausgabe des Guide Michelin France von drei auf zwei Sterne heruntergestuft worden war, hatte sich Veyrat – anders als sein Kollege Marc Haeberlin – mächtig und öffentlich aufgeregt. Mittlerweile hat sich die Diskussion in Frankreich verschärft und ist teilweise zu einer Generaldebatte über die Funktion des Michelin und das Verhältnis der Köche zu Michelin geworden. Marc Veyrat will mit seinen zwei Sternen nicht mehr im Guide verzeichnet sein. Mittlerweile tobt die Gerüchteküche, und es heißt, dass der Meister sein Hotel und Restaurant verkaufen wolle und es schon Kontakte zu seinen ehemaligen Küchenchefs in dieser Richtung gäbe. Auch die (guten) Beziehungen von Veyrat zum ehemaligen Michelin-Chef Ellis werden thematisiert. Ein wenig hat es sogar den Anschein, als ob der neue Michelin-Chef Gwendal Poullenec sozusagen mit eisernem Besen den Führer wieder auf Vordermann bringen wolle, und dabei auch gegen die manchmal sehr guten Beziehungen früherer Michelin-Chefs zu Köchen vorgehen wolle. Auf der anderen Seite fordert zum Beispiel Altmeister Michel Guérard nun energisch eine genaue Information über die Qualifikation der Michelin-Tester, die er ganz entschieden anzweifelt.

Es wundert also nicht, dass die Diskussion zunehmend ins Grundsätzliche gerät. Und da zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass sich die Arbeit des Guide Michelin (und natürlich auch anderer Restaurantführer) mit drei teilweise sehr unterschiedlichen Herangehensweisen recht gut problematisieren und/oder erklären läßt und dabei auch viel über Restaurantkritik im allgemeinen verrät.

1. Der Guide Michelin/die Kritik als kritischer Vorkoster zukünftiger Gäste
In dieser Position, die aktuell scheinbar von Gwendal Poullenec stärker in der Focus gerückt wird, bezieht der Führer eine gegenüber den Köchen und ihren Leistungen vergleichsweise harte Position. Sie müssen mit allem rechnen, also vor allem auch damit, jederzeit ihre Sterne wieder zu verlieren. Selbstverständlich wird jedes Ergebnis in den Führer aufgenommen – egal, ob es den Köchen paßt oder nicht. Als Vorkoster des den Führer schließlich bezahlenden Publikums will man diesem zuverlässige Informationen liefern und nur exakt das wiedergeben, was tatsächlich passiert. Und wenn ein Drei Sterne-Koch sein Niveau nicht hält, wird er eben abgewertet – auch dann, wenn es sich um eine Berühmtheit seines Faches handelt.

Diese Position suggeriert Objektivität und ist hinsichtlich der geschäftlichen Entwicklung des Führers sicherlich die kommerziellste. Viele Kenner der Szene wissen, dass es auch bei den am besten bewerteten Restaurants Schwächeperioden gibt und das die Leistungen bisweilen deutlich unterhalb des im Führer behaupteten Niveaus liegen.
Es ist verständlich, dass man bei Michelin am liebsten dieses Image hätte. Nur – es gibt gerade in Frankreich viele Beispiele, dass man in großer Treue zu den Stars der Küche steht, auch wenn – wie es etwa bei Paul Bocuse über viele Jahre der Fall war – das prämierte Niveau deutlich unterschritten wird. Gegenüber Publikum wie Köchen ist die Position als Vorkoster aber oft auch die des Besserwissers, der allein weiß, was Qualität ist. Diese Position finden sich häufig dort, wo Kritiken nicht wirklich stimmen, weil die Rolle des Kritikers üblicherweise nicht genügend reflektiert wird.

2. Der Guide Michelin/die Kritik als Vermittler zwischen Köchen und Gästen
In dieser Position geht es darum, die qualitativen Vorstellungen der Köche und die Wünsche und Erwartungen der Gäste zusammen zu bringen. Diese Rolle wird allerdings schnell mißverstanden, weil sie gerne allzu einseitig ausgelegt wird. Manchmal geht es erkennbar um die Vermittlung eines bestimmten Verständnisses von Kochkunst an die Gäste, also um einen bisweilen leicht pädagogischen Hintergrund, bei dem die Gäste – etwas überzogen formuliert – die „Dummen“ sind, denen man die Kochkunst und ihre Wertigkeiten beibringen muss. Wenn also ein Gast abwinkt und sagt, dass ihn der „ganze Quatsch mit den Sternerestaurants überhaupt nicht interessiert“ (was ziemlich oft vorkommt) wäre er einer der typischen Fälle, denen man mit Hilfe eines Führers und seiner Bewertungen helfen will.

Von der anderen Seite aus gesehen gibt es natürlich auch jene Kritik, die vor allem zwischen den legitimen Interessen der Gäste und den – salopp formuliert – oft sehr seltsamen Verhaltensweisen der Küche vermitteln will. Dabei geht es oft um die Kosten guter Küche, häufig aber auch um eine Küche, „die ein normaler Mensch nicht verstehen kann“ oder die „einfach nicht lecker schmeckt“. Von dieser Position aus, die sich regelmäßig auch in Kritiken in der Tagespresse findet, ist die Kochkunst immer in Gefahr, sich vom „gesunden“ Menschenverstand zu entfernen und muss von der Kritik immer wieder darauf hingewiesen werden, doch den eigentlichen Grund der Gastronomie nicht zu verlassen.

Diese beiden Positionen kommen häufig vor und sie sind häufig sehr problematisch. Was sehr viel weniger vorkommt, ist ein entspannte Position der Kritik, die beiden Seiten Gewicht gibt und tatsächlich zwischen den Bedürfnissen beider Seiten vermitteln will. Diese Position wird gerne behauptet, aber sehr selten wirklich realisiert, weil sie eine sehr große Flexibilität und Übersicht voraussetzt und immer auch selbstkritisch sein müsste.

3. Der Guide Michelin/die Kritik mehr oder weniger auf Seiten der Köche
Im Moment wird eine solche Position in Frankreich deutlicher kritisiert denn je. Man sieht den Michelin als eine Institution, die mit ihren Bewertungen eine Art „Michelin-Küche“ geschaffen hat und sich mit den besten und wichtigsten Protagonisten dieser Küche in einem sehr engen Schulterschluss befindet oder befunden hat. Dabei ist die Entwicklung – so die Tendenz einiger Beobachter in Frankreich – sozusagen aus dem Ruder gelaufen. Man hat nationale und internationale Superstars erzeugt, die nun der Meinung sind, sie wären unantastbar und könnten auf keinen Fall abgewertet werden. Die geringe Distanz vor allem des ein oder anderen Michelin-Chefs zu den wichtigsten Köchen ist kaum ein Geheimnis und wird auch im Fall Veyrat wieder sehr konkret angesprochen.

Das Problem ist, dass ein Führer in dieser Position vielleicht deutlich auf Seiten der Köche stehen mag, damit aber nicht zwangsläufig auch auf Seiten der Kochkunst. Wenn sich – wie in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten – erheblich Veränderungen und Parameter-Wechsel ergeben, kann eine Verbindung mit „Altmeistern“ und ihren Vorstellungen von Küche schnell in eine absurde Situation führen, in der Neues chancenlos ist, weil es nicht in das alte System passt. Es gibt eine ganze Reihe von Altmeistern, die einer solchen Position sehr nahe stehen und an die Führer geradezu appellieren, solchen „Unsinn“ nicht zu hoch zu bewerten.

Man könnte sich vorstellen, dass ein Führer sozusagen „über den Dingen“ vor allem und ganz entschieden auf Seiten der Kochkunst steht.
Aber dann müßte er komplett transparent arbeiten und sehr präzise sagen, was aus welchen Gründen wie bewertet wird.

Man darf gespannt sein, wie sich diese verzwickte Situation auflösen wird. Im Moment scheint der Druck in Frankreich so groß, und die Kritik von allen Seiten so massiv, dass man wirklich Konsequenzen erwarten muss. Ich persönlich habe in Jahrzehnten eine Diskussion wie diese in Frankreich noch nie erlebt.

Fotos: © Le Guide Michelin

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