Markthalle Neun: Eine Diskussion, die geführt werden muss. In alle Richtungen.

Die Diskussionen um die Berliner Markthalle Neun reißen nicht ab. Es geht um die Ausgliederung von Aldi, die Gentrifizierung des Food -Bereiches und überhaupt die „Übernahme“ von Kreuzberg durch Gutverdiener, die ihren „gehobenen“ Lebensstil nun auch auf das Essen ausdehnen wollen und den einfachen Leuten, die nicht über so viel Geld verfügen, nun auch noch die Einkaufsmöglichkeiten nehmen.

Dass sich gleich um die Ecke weitere Discounter finden, ist bekannt. Dass so etwas im Moment keine Rolle mehr spielt, sondern die Diskussion generalisiert wird, ist eine Besonderheit dieser Geschichte. Der Konflikt schwelt schon lange, und an ihm sind eine ganze Reihe von Aspekten zu berücksichtigen.

Ich habe hier ein paar Punkte, die sich rund um dieses Thema ergeben, in einer etwas zugespitzten Form aufgenommen. Da lässt sich dann besser diskutieren.

 

Natürlich gibt es längst eine Neo-Bio-Schicki-Micki-Fraktion
Es gab einmal eine Schicki-Micki-Fraktion, die auf Barhockern saß, Austern schlürfte und Champagner dazu trank. Es gab sie (und es gibt sie manchmal tatsächlich noch) vor allem auf Sylt, oder in Düsseldorf oder in den Alpen, je nachdem. Und eben auch in Berlin. Die neue Schicki-Micki-Fraktion von heute isst teures Fleisch oder tritt als Bio-Variante auf, die ausschließlich nach Handgepflanztem, Handgepflücktem und persönlich bekannten Tieren sucht – wenn sie denn überhaupt Fleisch isst. Ihre Kinder sind schon im Alter von 2 Jahren überzeugte Veganer, und diese Fraktion verfügt über etwas sehr Penetrantes: sie ist davon überzeugt, dass ihre Mitglieder bessere Menschen sind. Das kann dann dem Rest der Bevölkerung schon mal mächtig auf den Geist gehen

Köche lieben Spitzenprodukte, aber die Preise sind kaum kommunizierbar
Natürlich lieben alle Köche Spitzenprodukte und arbeiten gerne mit ihnen, weil ihre Arbeit mit Spitzenprodukten einen ganz anderen Glanz und eine ganz andere Evidenz bekommt. Wer will, dass seine Gäste schon nach dem ersten Bissen in ein Stück Fleisch in erstaunte Begeisterung verfallen, weil sie so etwas noch nie gegessen haben, braucht hervorragende Produkte. Die aber sind leider sehr teuer, und diese Preise sind nach wie vor kaum vermittelbar. Sie führen bei uns nach wie vor direkt zum Vergleich, und zwar mit dem, was man an anderer Stelle „für sein Geld“ bekommt. Da wird dann tatsächlich das Bresse-Huhn für 25 oder 30 Euro mit dem von Aldi für drei Euro verglichen. Die Preise für Spitzenprodukte erscheinen größeren Teilen der Bevölkerung nicht als Ergebnis einer aufwändigen und sorgfältigen Produktion, sondern als spekulativ wie die Preise für Immobilien in Luxuslagen. Und so werden sie auch häufig dem Luxussektor zugeordnet und bekommen einen entsprechenden sozialen Stellenwert. Für den Fortgang der Dinge ergibt sich daraus eine ganz spezielle Zwickmühle

Wer sehr Gutes nicht kennt, wird niemals Gutes realisieren können
Um zum Beispiel beim privaten Kochen gute Qualitäten realisieren zu können, reicht es nicht aus, etwas Küchenhandwerk zu erlernen oder eine gute Sammlung von Kochbüchern zu besitzen. Es reicht auch nicht aus, einigermaßen gute Produkte einzukaufen. Mit all diesen Voraussetzungen ergibt sich keinerlei Automatismus, der zu einem guten Geschmack führt. Um Gutes realisieren zu können, muss man sehr Gutes kennen lernen, muss in hervorragenden Restaurants die Geschmacksbilder, die Garungen usw. usf. erlebt haben, um auf diese Weise Maßstäbe für eigenes Tun zu entwickeln. Erst dann wird man zu Hause beurteilen können, ob eine Sauce aus einem beliebigen Kochbuch wirklich Qualität hat oder nicht. Erst dann wird man auch den Zusammenhang zwischen Spitzenprodukten und dem Geschmack von Essen verstehen. Diese geschmacklichen Referenzen an einem Punkt wie einer solchen Markthalle zusammenzuführen und neben den Produkten auch noch zubereitetes Essen von guter Qualität zu präsentieren, ist im Grunde eine Leistung, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Dass sie unterschiedlich genutzt wird, ist ein normaler Vorgang in dieser Gesellschaft. Die Ware „gutes Produkt und gutes Essen“ ist nicht ideologisch festzumachen, so sehr das auch von manchen Seiten her versucht wird. Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien (von Japan ganz zu schweigen) zeigen ganz klar, dass gute Produkte und gutes Essen bei einem anderen, sehr viel höheren Stellenwert als in Deutschland sozial eine wesentlich weitere Verbreitung finden.

Wo kaufen die vielen Gourmets und Bio-Freunde eigentlich ein? Oder: Das Aldi A6 – Phänomen
Es gibt ein merkwürdiges Phänomen, an das ich im Zusammenhang mit der Markthalle Neun immer wieder denken muss. Wenn man an einem beliebigen Ort in Deutschland eine Umfrage machen würde, wer sich für einen Freund guten Essens, einen Gourmet oder einen strikten Anhänger der Bio-Bewegung hält, würde man sehr hohe Zahlen bekommen. In einer normalen Großstadt etwa gibt es viele tausend von Akademikern, die sich zum überwiegenden Teil der fein schmeckenden Kaste zurechnen würden.
o aber kaufen sie ein? Wo sind die Geschäfte in denen sie ihre Waren bekommen? Sie sind nicht vorhanden, weil sie weder entstehen noch sich halten können. Weil die ganzen Scharen von fein schmeckenden Kunden lieber bei Discountern einkauft. Was sich manchmal an Autos der gehobenen Mittelklasse auf den Parkplätzen der Discounter tummelt, ist sehr erstaunlich. Dort wird das Geld gespart, das für aufgemotzte Häuser, Wohnungen und viel zu große Autos gebraucht wird. Man kann mit den Angehörigen dieser Fraktion sogar ohne weiteres über Gourmetrestaurants plaudern. Irgendwann stellt sich dann heraus, dass ihre Erfahrungen auf ein paar Besuchen in vielen Jahren hinauslaufen. Und wenn man sie fragt, wo sie denn zuletzt in Paris überall zum Essen waren, kommt immer die gleiche Antwort: zufällig hatten sie an den Tagen in Paris (oder sonstwo) keine Lust auf Gourmet und haben in einer Pizzeria gegessen. Man muss sich schon ganz genau ansehen, wer da für was die Stimme erhebt und welche Taten den vielen Worten folgen. Insofern kann man durchaus auch auf die Idee kommen, dass diejenigen, die da sagen, man könne nicht den Alten und Armen ihre Einkaufsquelle nehmen, auch oder besonders sich selber meinen.

Die Discounter benutzen längst die Sprache der Gourmets um mittelmäßige Waren anzupreisen
In den Marketing-Abteilungen von ALDI und Co. wird man sich verwundert die Augen reiben. Seit Jahren nutzen die Discounter die Sprache der Gourmets und eine Menge von Zeichen aller Art, um ihren Kunden mäßige Produkte als Feinschmecker-Ware zu verkaufen. Mit Erfolg, wie wir wissen. Es scheint gerade in Deutschland von Interesse zu sein, etwas als hohe Qualität zu verkaufen – auch wenn das nicht zutrifft. Jeder Test, der angeblich nachweist, dass ein bestimmtes Discounter-Produkt sehr gut ist, ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die tatsächlich einfach keine Wertschätzung für die wirklich guten Produkte und ihren Preis haben.

 

(C) Fotos: Markthalle Neun

4 Gedanken zu „Markthalle Neun: Eine Diskussion, die geführt werden muss. In alle Richtungen.“

  1. Ich hätte mir gleich vom ersten Kommentator der Lesbarkeit willen eine geordnete Groß- und Kleinschreibung gewünscht. Aber davon ab geht es mir hauptsächlich um das, was Jürgen Dollase schreibt. Ich hab die Löffelschule zuhause und bedanke mich nochmal für dieses Aufsehen erregende Machwerk, welches ich vor vielen Jahren erwarb. Es hat mich sehr beflügelt. Davon ab: Natürlich ist gute Qualität hochpreisig. Aber summa summarum entdecke ich eher noch die Frage, wie wir uns das leisten sollen, nachdem überall Prozesse optimiert, Wahrheiten verbogen und gebogene Balken erzählt werden. Nachdem es uns kaum noch gelingt, an gute Quellen zu gelangen? Dass im Marketing heutzutage alles komplett verlogen ist, ist das Problem. Es gibt ganze Wertpreisungskategorien und gewachsene Strukturen, wie man bspw. Biozeugs verkauft. Was für eine infame Lüge, das alles. Max Liebermann dachte, er müsste noch mehr essen. Warum ist überliefert.

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  2. problem ist, dass die bedeutung der spitzenküche für unseren kulinarischen alltag meist völlig verkannt und ignoriert wird. man setzt sich damit nicht auseinander, weil es intellektuel anstrengend und teuer ist. im facebook tellerbildchen liken ist eine sache, in ein lokal mit hochküche gehen und mehrere hundert euro bezahlen eine andre- das möchten sich viele leute einfach nicht leisten , aus geiz, unwissenheit, ignoranz. da macht es auch keinen sinn, zu überlegen, wie solche leute von der spitzenküche abgeholt werden könnten ( stichwort casual dining) , weil sie einfach nicht abgeholt werden wollen. diese weigerung hat wenig mit jeans statt krawatte zu tun, vielmehr damit, dass gutes essen in den köpfen nicht stattfindet.

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