Von Mythos keine Spur, Folge 1: Das „Bistrot de Lyon“ von Jean-Paul Lacombe enttäuscht

Vorbemerkung
Zuerst einmal muss man Jean-Paul Lacombe in den höchsten Tönen für seine Arbeit in der Brasserie „Leon de Lyon“ loben. Nachdem er sein berühmtes Zwei-Sterne-Restaurant geschlossen und sich stattdessen der traditionellen Küche gewidmet hatte, konnte man bei ihm Gerichte bekommen, die in absolut Maßstäbe setzender Art vor allem den aromatischen Bereich des traditionellen Geschmacksbildes trafen. Das ist nun Vergangenheit. Lacombe hat „Leon de Lyon“ verkauft. Was dort exakt passiert, ist noch nicht ganz klar, weil die Eröffnung mehrfach verschoben wurde. Ein neues Logo und andere Details deuten aber nicht unbedingt darauf hin, dass es im alten Stil weitergeht. Geblieben ist das „Bistrot de Lyon“, das sich schon seit 40 Jahren im Besitz der Familie Lacombe befindet.

Le Bistrot de Lyon
Das Restaurant mitten in der Altstadt ist optisch ein absolutes Schmuckstück und sieht innen wie außen wie ein Museum aus. So etwas sorgt natürlich für eine extreme Publikumsnachfrage. Das Bistro ist quasi immer voll, und das in erster Linie von Touristen. Der zahlreiche Service agiert extrem schnell, die Küche ebenfalls und über dem Ganzen liegt unbedingt ein kräftiger Hauch von Hektik und – sagen wir: gastronomischer Effektivität. Die Preise sind stramm, und als eine Mitarbeiterin um Punkt 12 Uhr das Schild von der Tür nimmt, auf dem 12 Uhr als Öffnungszeit angezeigt wird, tut sie dies mürrisch und ohne die Tür anschließend – trotz Schlange davor – zu öffnen. Wie ist unter solchen Umständen das Essen? Hier der Bericht dazu.

 

Crémeux de petits pois servi froid, mousse de chèvre frais, chips de pain
(12,80 Euro)

Es klingt wie eine Verbindung von vegetabiler Frische und der Frische und leichten Säure eines jungen Ziegenkäses.

Serviert wird eine große Portion „Suppe“ mit einer so zurückhaltend grünen Farbe, dass man sich schon denken kann,
was hier gemacht wird. Vom Aroma der Erbsen ist quasi nichts zu schmecken, dafür ist die Suppe noch nicht einmal
gut passiert, sondern enthält noch viele Schalen-Partikel. Der Geschmack ist milchig-sahnig, dabei aber nicht wirklich angenehm. Vom Ziegenkäseschaum ist ebenfalls nicht viel zu sehen und nur dann zu schmecken, wenn man recht viel
davon nimmt. Die Chips sind zwei gar nicht so dünne, extrem hart getrocknete Scheiben von einem Nussbrot. Das Ganze wirkt handwerklich schwach und geschmacklich unerfreulich.

Terrine de tête de cochon et foie gras, chutney de fruits de saison, salade
(13,80 Euro)

Dieser Klassiker wird in klassischer Form serviert und erweckt optisch erst einmal den Eindruck eines Gerichtes, das seit Urzeiten genau so produziert und präsentiert wird.

Es gibt eine Scheibe Terrine, daneben ein Chutney und einen klassischen grünen Salat mit einer ebenfalls klassischen (Senf-)Vinaigrette. Geschmacklich dominiert schnell der Eindruck, dass die Terrinenscheibe schon etwas älter und leicht angetrocknet ist. Die Kombination von viel schierem Schweinskopf-Material (also ohne größere Geleespuren) hat im Kern ein typisches Aroma und schmeckt also „nach Schwein“. Dieses Aroma wird aber schnell von einer gewissen Fadheit gestört. Das Foie gras-Medaillon in der Mitte signalisiert schon farblich eine deutliche Alterung/Oxydation. Freigelegt bröckelt es und schmeckt nur noch entfernt wie Foie gras. Ein sinnvoller Akkord von Medaillon und Fleisch (der sehr gut sein kann) existiert nicht. Gut gefällt das Aprikosenchutney mit einem natürlich-tiefen Aroma. Der Salat wird von der hier häufig zu findende Vinaigrette mit deutlichem Senf-Anteil und bräunlich-milchiger Konsistenz aromatisiert. Man kann diese Vinaigrette exakt in der hier verwendeten Form auch im Geschäft kaufen.

Quenelle de Brochet à la cuillère, sauce Nantua au riz
(21,50 Euro)

Serviert wird eine rechteckige Pastetenform mit einem länglichen Quenelle, der der lyonnaiser Tradition entspricht, und der Sauce Nantua. Der Reis ist in einem Schälchen an der Seite. Das Gericht wird nach Art des Hauses im Ofen gratiniert und kommt kochend heiß an den Tisch.

Die Konsistenz des Quenelle de Brochet ist recht weich, der Geschmack entsprechend eher leicht und einigermaßen typisch. Es gibt ihn in guten Fassung auch deutlich fester und kräftiger im Aroma. Die Sauce irritiert wegen ihrer Dünnfüssigkeit und einer leichten Bitternote im Hintergrund, wie sie entstehen könnte, wenn man mit etwas zu stark angeröstetem Krustentiermaterial arbeitet. Das Gesamtbild ist eher enttäuschend und weicht deutlich von besseren Fassungen (im damaligen „Leon de Lyon“) oder von Fassungen bei anderen Größen der traditionellen Lyonnaiser Küche ab.

Cuisse de volaille au vin blanc, pâtes „langues d’oiseau“ comme un risotto
(17,50 Euro)


Auch dieses Gericht gab es in einer ähnlichen, aber – bei fast gleichem Preis – um Klassen besseren Fassung in der Brasserie „Leon de Lyon“. Dort war die Keule entbeint und mit Duxelles gefüllt und schmeckte einfach sensationell gut – vor allem auch mit der Begleitung von einem Crozet-Risotto, also einem Risotto von den aus Savoyen stammenden, kleinen Nudelteigplättchen, die mit deutlichem Käseanteil extrem süffig schmeckten.

Hier sind die Keulen nicht gefüllt und das Risotto ist nicht von Crozets und mit einem deutlich schwächeren Käseanteil. Was bleibt sind normal gut gegarte Keulen mit deutlichen aromatischen Spuren von der langsamen Garung in Wein und einer dezent tomatisierten Sauce. Warum dann ein solches Gericht allerdings 17,50 Euro kostet, ist nicht ersichtlich. Diese im Vergleich zu der erwähnten Fassung deutlich abgespeckte und auf Massenproduktion ausgelegte Version enttäuscht insofern, als man sie sich jederzeit überall so vorstellen könnte und ein spezieller Mehrwert nicht erkennbar ist.

Fazit
Das Essen im „Bistrot de Lyon“ überzeugt nicht und verfügt über keine speziellen Qualitäten, die einen Besuch empfehlenswert erscheinen lassen. Das Spektakulärste an diesem Haus ist die Optik, der Rest hat den Rang eines typischen Touristenrestaurants, bei dem es irgendwie einigermaßen erträgliches Essen zu deutlich zu hohen Preisen und in einer hektischen Atmosphäre gibt.

Mit den überragenden Leistungen in der ehemaligen Brasserie „Leon de Lyon“ hat das – trotz teilweise ähnlicher Gerichte – nichts zu tun. Man muss den Eindruck gewinnen, als ob Jean-Paul Lacombe (der übrigens – ohne Kochmontur – in einem hinteren Raum saß und telefonierte) das Interesse an einer Optimierung der Küche verloren hätte. Das ist sehr bedauerlich und ein Verlust.

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