Mit dem Virus leben. Geregelter Genuss. Schauerliche Aussichten für die Gastronomie

Gestern erhielt ich eine Mail von einem Hotel in Schleswig-Holstein, das demnächst an dem regionalen Modellversuch teilnehmen wird und unter Auflagen öffnen kann. Das Papier fing gut an. Man braucht einen frischen, negativen Corona-Test und wird im Hotel kostenlos alle zwei Tage per Schnelltest überprüft. Falls allerdings etwas schief geht, wird es kompliziert und teuer, alles ist geregelt und wirft doch eine riesige Menge von Fragen auf. Wenn ein anderer Gast infiziert ist, Tür an Tür in Quarantäne, was dann? Wie hat man sich den Verkehr im Hotel vorzustellen? Wird alles und jedes ununterbrochen desinfiziert? Usw. usf. Wir waren einmal zufällig und notgedrungen in diesem Hotel und kennen die Gegebenheiten. Ich hätte vollständiges Verständnis dafür, wenn unter diesen Umständen viele Gäste einfach keine Lust auf Urlaub haben.

Und wenn es nicht weggeht?
Nach immer wieder neuen Vertröstungen, auf die scheinbar viele Gastronomen immer noch setzen, sollte man einmal realistisch in die Zukunft blicken. Und da ist im Moment überhaupt nicht absehbar, wann die Inzidenzwerte zum Beispiel unter 50 sinken werden. Im Herbst? Richtung Weihnachten? Vorher wohl kaum – unter anderem deshalb, weil jedes Öffnungskonzept mit vermehrten Testungen die Zahl der Infizierten weiter erhöhen wird und damit natürlich auch den Inzidenzwert.

Die nächste vage Versprechung ist die, dass ab einer ausreichenden Impfquote der Virus so sehr an Bedeutung verliert, dass man wieder öffnen kann. Wann soll das sein? Richtung Herbst oder Weihnachten oder mitte 2022? In keinem Fall wohl pünktlich zu den Sommerferien.

Es geht also immer mehr in Richtung „Leben mit dem Virus“, also in Richtung von einem Szenario, das man sich am liebsten gar nicht vorstellen möchte.

Die Tücken der Freitesterei
Auf dem Papier klingen Aussichten auf einen Restaurantbesuch mit Impfausweis oder frischem PCR-Test oder einem Schnelltest vor der Tür gar nicht so übel. Das Virus bliebe vor der Tür, und innen im Restaurant sähe alles aus wie immer. Leider arbeitet diese Vorstellung mit einer Reihe von Variablen die unter gastronomischen Aspekten problematisch sind. Schon heute klagt der Einzelhandel darüber, dass die Kunden nicht kommen, weil sie keine Lust auf irgendwelche Anmelde-Formalitäten haben, sondern spontan kommen wollen und sich inspirieren lassen wollen. Will sagen: es ist vollkommen unklar, wie hoch der Anteil der potentiellen Gäste zum Beispiel der gehobenen Gastronomie isst, der nicht geimpft ist, sich nicht impfen lassen will, der keine Tests vor einem Besuch und schon gar keinen vor der Tür des Restaurants machen will, um dann mit anderen unklaren Fällen vielleicht in einem Warteraum zu sitzen. Es ist zudem nach wie vor unklar, wie hoch die Ansteckungsgefahr auch von Geimpften und Schnellgetesteten ist und ob man also im Inneren eines Restaurants mit Freigetesteten ohne Sicherheitsvorkehrungen arbeiten kann. Und wenn dann etwas schief geht: was passiert mit dem Restaurant, mit der Geschichte, die sich daraus ergibt und mit den Behörden, die erkennen, dass man sich auf ein solches System nicht verlassen kann?

Schaurige Vorstellungen vom Genuss im abgesicherten Modus
Es gab schon immer und es gibt auch heute noch viele Gastronomen, die sich auf keinen Fall mehr Einschränkungen vorstellen können, als einen Service mit Maske, der Gäste ohne Maske bedient. Dass die Gäste die Masken aufbehalten, um sie nur für das Essen und einen Schluck Wein zur Seite zu schieben und während des Essens auf keinen Fall reden, will sich niemand vorstellen. Es läuft also darauf hinaus, dass man entweder die Restaurants langfristig schließt oder ein Szenario kultiviert, dass sozusagen beiden Seiten ein Essen möglich erscheinen lässt: den Sicherheitsdenkern mit ihren Impfungen, Tests und Schnelltests, und den Gastronomen, die irgendetwas realisieren wollen, das zumindest Ähnlichkeit mit Gastronomie hat.

Wenn man heute mit Experten spricht, fallen Worte, die für die Gastronomie sehr „böse“ klingen. Wenn ein Zutritt ohne Tests möglich sein soll, müsste man die Gäste radikal untereinander und gegenüber dem Service radikal abschirmen. Das gab es schon sehr früh in den Niederlanden mit den Plastik-Kabinen für zwei Personen, das wäre auch heute in verschiedenen Formen denkbar: Separees der neuen Art, mit Weltraum-Look und allen Möglichkeiten, sie nach Verlassen der Gäste ohne großen Aufwand zu desinfizieren. Dass hätte man schon im letzten Jahr voll durchsetzen können/müssen und wäre heute vielleicht in einer deutlich besseren Rolle. Der Service sollte ebenfalls nicht in gewohnter Form stattfinden, sondern es müsste eine modifizierte Form der Selbstbedienung geben, bei der das Essen in einiger Entfernung vom Tisch bereitgestellt wird. Ein besonderer Prüfstein wäre allerdings der Gang zur Toilette, also in jene engen Räume und Kabinen, in denen sich die Leute – die Aerosol-Theoretiker haben uns das vorexerziert – so gut anstecken können wie kaum irgendwo sonst. Und – am Ende des Tages müssen die Gäste auch noch darauf hoffen, dass sich die virologische Promiskuität in den Küchen so außergewöhnlich stark in Grenzen hält, dass die Viren nicht gleich mit serviert werden.

Müssen sich die Gastronomen und Köche für eine kaum zu begrenzende Zeit von ihren alten Vorstellungen verabschieden? Müssen berühmte und/oder hervorragende Köche darauf verzichten, ihre Arbeit so zu präsentieren wie sie es gewohnt sind? Müssen Sie in eine Art Kriegsmodus verfallen, wo es nur noch darauf ankommt, irgendwie im Beruf zu bleiben? Es wird wohl genau darum gehen, wenn es Auflagen geben wird, die so absurd wirken, dass nicht nur der Umsatz nicht mehr stimmen kann, sondern auch die Stimmung weg ist. Bei den potentiellen Gästen sind die Diskussionen im Moment ganz, ganz schlecht. Ja, man freut sich auf den Sommer und ein wenig Snack hier und einen Drink dort. Von größeren Essen in feinen Restaurants redet im Moment so gut wie niemand mehr.

Sommersonne
Für den Sommer zumindest gibt es kreative Auswege. Man kann auf das normale Programm. Verzichten und zu Walking Dinners oder zu Tapas-Formaten übergehen, die mit den verschiedenen Möglichkeiten kompatibel sind. Kreativität ist das Stichwort, gastronomisch wie kulinarisch, Pavillons können sich lohnen, Wanderungen von Stationen zu Stationen, da gibt es eine Menge von Lösungen.

Was ganz wichtig wäre ist aber, dass die Restaurantführer nur das machen, was sie vorher gemacht haben, also Restaurants im normalen Vollbetrieb zu bewerten. Man kann auch stark veränderte gastronomische Formate kritisch begleiten, aber nicht mit Globalbewertungen, die einmal im Jahr erscheinen und Leistungen per Notengebung festzurren.

6 Gedanken zu „Mit dem Virus leben. Geregelter Genuss. Schauerliche Aussichten für die Gastronomie“

  1. Die Gefahr einer Ansteckung in der Öffentlichkeit (von Schnupfen bis Influenza) hat es immer gegeben (und wird es immer geben), ohne daß deswegen Masken, Abstand und Schließungen vorgeschrieben werden.
    Wenn die Frage der Impfung nicht mehr von der Verfügbarkeit des Impfstoffs abhängt, sondern nur mehr von der Bereitschaft sich impfen zu lassen, dann ist der Zeitpunkt gekommen, wieder zur Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit überzugehen.
    Schon vorher sollte man endlich anerkennen (bzw. hätte man schon längst anerkennen sollen), daß nicht alle, die zur selben Branche gehören auch dieselben Voraussetzungen haben, und daß in vielen Fällen — wie gehobene Gastronomie, Konzertsäle — nachgewiesenerweise die Gefahr einer Infektion gering (und wenn sie doch auftritt gut nachverfolgbar) ist. Wenn diese Betriebe geschlossen bleiben müssen, dann ist eine schlüssige Begründung erforderlich, die leider nicht gegeben wird.

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  2. Faqlsch, duni. Es gibt keine „Priviliegierung“ vollständig Geimpfter, und es kann und wird auch niemals eine geben. Da wäre sogar eine Privilegierung von Gästen mit einem Ariernachweis bis 1750 noch realistischer.
    Bitte keine falschen Wörter benutzen.

    Essen ist für viele Menschen (auch für mich) eine Sache der Spontaneität, und eine Mischung aus Lust und Geist. Beides ist nur bedingt terminkalenderfähig. Weniger auf ***-Niveau (da geht’s halt ohne länger vorausschauende Reservierung oder gar Vorkasse nicht), wohl aber im Normalfall.
    Ausnahmen sind jene Etablissements, wo der Bourgeois in erster Linie zur Feierung von Lebensstationen, zur Vergewisserung von ungewisser Tradition in einer sich wandelnden Welt, und zur einmal jährlichen Selbstversicherung hinfährt, also charakterischerweise die – zu Recht abgewertete- Auberge de l’Ill und der – mit noch mehr Recht abgewertete – Schwarze Adler in Oberbergen. Die kann man ein Jahr im voraus planen…

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    • wenn teilhabe an gesellschaftlichen situationen von impfschutz abhängt, dann sind mE diejenigen schon privilegiert, die ins restaurant, konzert, ausstellung etc dürfen. und das thema spontanität würde ich wirklich nicht so überbewerten, jeder kinobesuch brauchte schon vor corona einen gewissen vorlauf.

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  3. Es wird schwierig werden; vor allem, weil die logisch völlig nachvollziehbare Privilegierung vollständig Geimpfter für manche ein ethisches Problem darstellt. Hier bleibt zu hoffen, dass man den Blick über den Tellerrand wagt und zb mal nach Israel guckt, wo sehr vieles sehr zügig und sehr richtig gemacht wurde.
    Das geringste Problem sehe ich in der mangelnden Spontanität; schon von Corona war ein Besuch in einem sehr guten Lokal keine spontane Mal-Eben-Aktion, sondern benötige immer ein bisschen Vorlauf und Verbindlichkeit.

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