Andreas Widmann: Natürlich Schwäbisch. Klassische und neue Rezepte aus meiner Heimat. Südwest Verlag, München 2022. 240 S., geb., Hardcover, 29 Euro Fotos: Viviana D’Angelo
Endlich habe ich bei einem Buch über unsere regionale Küche einmal das ganz selbstverständliche Gefühl, irgendwo auf dem Lande in Italien zu sein. Vielleicht in einem Restaurant, das im italienischen Slow Food-Führer („Osterie d’Italia“) erwähnt ist, und in dem ein ganz natürlich gewachsener Mix aus traditioneller Küche und Gourmetküche angeboten wird. In dem unprätentiös über die Lieferanten und umgebenden Handwerker berichtet wird, in dem es nur um die Landschaft, die Region, die Personen und die Küche geht. Das stimmt bei diesem Buch nicht ganz, hat aber etwas davon – vor allem kulinarisch.
Andreas Widmann ist der aktuelle Chef von „Widmanns Alb.Leben“ im schwäbischen Königsbronn, einem gewachsenen Familienbetrieb, den es schon seit neun Generationen gibt. Im Laufe der Jahre hat sich hier allerlei entwickelt – sowohl beim Hotel (inklusive spektakulärer „Chalets“) wie in der Gastronomie. Aktuell gibt es hier eine Sternerestaurant namens „Ursprung“ und ein Wirtshaus namens „Gasthaus Löwen“. Das Buch dokumentiert den Stand der Dinge in diesen Restaurants und darüber hinaus auch jenseits des Restaurantbetriebes.
Das Buch
Und weil dieses Buch den Stand der Dinge dokumentiert, geht es nicht nur um Rezepte. Die Proportionen sind allerdings so, dass das Inhaltsverzeichnis allerlei Buntes ankündigt, das Buch aber im wesentlichen aus Rezepten besteht. Es geht zum Beispiel um „Meine Heimat“, „Meine schwäbische Wirtshausküche“, „Die Hüter der Bienen“, „Meine Familie“, „Fleckvieh und Limburger Weideochsen“ oder „Eine Hafnerin mit Herz“ (also eine Keramik-Produzentin). Man kann sich die Zusammenhänge jedenfalls gut vorstellen und bekommt ein Bild davon, wie sich aus bodenständigen Traditionen und Entwicklungen neue Perspektiven ergeben.
Die „schwäbische Wirtshausküche“ ist der erste große Block mit Rezepten wie „Rindertatar ‚ Alb.style‘ mit schwäbischem Kaviar, Wachtelei und Kräutersalat“, „Gepökelte Schweinebäckle in Alblinsensoße mit Kräuterspätzle“, einem beeindruckenden „Gebackenen Schweinekotelett mit Bratkaroffelsalat und Remouladensoße“ (eines der typischen Gerichte, die per Optimierung bei allen Elementen erheblich an Qualität gewinnen können) oder „Gebackene Kartoffelmaultaschen mi Rahmkraut“. Es fällt auf, dass Widmann vor allem bei der Beschreibung der Zutaten ausführlicher wird, als das üblich ist, und dass der Duktus der Rezepte traditionell und sorgfältig optimiert, und nicht grundlegend per Spitzenküchentricks weichgespült wird (wie das etwa in den 80er und 90er Jahren in Deutschland noch fast überall zu finden war).
Bei den Rezepten aus dem Gourmetrestaurant „Ursprung“ ist dann natürlich die Frage, wie weit es hier bodenständig bleibt und ob es Wege gibt, Charakter zu bewahren, aber gleichzeitig ein Maximum an Finesse zu erzeugen. Der „Stramme Max vom Saibling“ deutet die Schnittstelle an. Bei der „Seeforelle mit Kopfsalat“, Fisch-Pickle, Mohn und Alblinsen-Miso-Paste geht es weiter. Ein fein gefasster Schweinebauch mit Kräuterspätzle und Alblinsen bringt beträchtliche Süffigkeit und das „Ostalb Lamm mit Paprika und Dinkelino“ entwickelt sich mit aufwändig gefüllter Spitzpaprika und einem schönen Paprikasaft deutlich jenseits aller Klischees.
Der nächste Block ist dem Familienessen gewidmet, also dem, was ohne Restaurantaufwand realisierbar sein muss. Die „Schwäbische Brotzeit“ versammelt Produkte der Gegend, während das Hendl-Curry und die Spaghetti Bolognese wohl unvermeidbar sind (aber durchaus gut gemacht). Beim „Grillen mit Freunden“ findet sich „DER Löwengarten-Klassiker“, also die „Spareribs vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein“ mit einer durchaus bodenständig realisierten Marinade und expressiver Garung. Der letzte Rezeptblock ist dann den „Team-Lieblingen“ gewidmet. Den Anfang mach ein sensorisch absolut nachvollziehbarer „Schwabenstreich“ mit einem auf Brot liegenden Rostbraten nebst Maultasche, der mit Käse überbacken wird, und u.a. natürlich dem regionalen Eintopf „Gaisburger Marsch mit Rindfleisch, Spätzle und Kartoffeln“, mit Tafelspitz als Basis realisiert. Die Grundrezepte am Schluß des Buches sind dann oft schon komplette Zubereitungen wie etwa die Maultaschen oder die Widmann-Version des schwäbischen Kartoffelsalats.
Fazit
Dieses grundsymphatische Buch zeigt einen Umgang mit der Regionalität, die auf einem sehr guten Weg ist. Man kann eigentlich nur dazu ermutigen, konsequent an einer Optimierung traditioneller Rezepte und/oder an ihrer Adaption für eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Gerichten zu arbeiten. Dabei sollte der assoziative Kontext, also das Einbinden all der guten Assoziationen, die bei sehr vielen Leuten mit regionalen/traditionellen Geschmacksbildern verbunden sind, immer im Hinterkopf sein. Der assoziative Kontext ist der wichtigste Schlüssel auch zur Modernität, die ansonsten schnell zur hohlen Demonstration von Galerie-Küche wird (also einer Küche, die wie in der Kunstszene üblich, immer unter Verdacht steht, des Kaisers neue Kleider zu liefern).
Andreas Widmann ist an einem Punkt, wo man mit Interesse verfolgen kann, wie sich seine Küche weiterentwickelt. Das, was er schon hat, ist in seiner entspannten Bodenständigkeit schon ein gutes „Pfund“. Interessiere Leser können hier nicht nur viele Inspirationen gewinnen, sondern auch darüber nachdenken, wie man – langsam, aber sehr sicher – die zwei Wege eines neuen Verständnisses von Regionalität gehen kann: hin zur Optimierung und hin zu einer intelligenten Adaption, die sehr viele neue Möglichkeiten freilegen wird.
Das Buch bekommt ein grünes B mit einer Tendenz nach oben
Bei Andreas Widmann zu essen ist die reine Freude. Natürlich ist er nicht der Einzige, der verschieden ausgerichtete Gastronomiebetriebe unter einem Dach betreibt und beides kann. Aber die Höhe der Kochkunst in beiden ist schon beeindruckend. Gerade in der schwäbischen Küche ist das Angebot so reizvoll, dass man hier öfter einkehren muss, um genug davon würdigen zu können.
Deshalb bin ich neugierig auf das Kochbuch. Widmann scheint sich vom Mainstream wegzubewegen und sich am Leben zu orientieren und dem Platz, den das Essen darin einnimmt. Und an dem Ort, wo es stattfindet. Ich bin die „Weltküche“ schon längst leid, aber die Regionalküche ist oft ein Trauerspiel. Hier definitiv nicht. Umso interessanter, wenn sich dies auch im Kochbuch wiederfinden sollte.