Neo-Bio-Wirtshaus: Der „Mohrenwirt“ in Graz

Wenn man durch die schöne Altstadt von Graz schlendert und auch die umliegenden Viertel nicht vergisst, bekommt man ein interessantes Bild der lokalen Gastronomie. Natürlich gibt es immer noch und überall steirische Küche, oft für die Touristen. Was aber besonders auffällt, ist eine schon höchst breite Szene an vegetarischen oder veganen Restaurants, von denen es hier von winzigen Restaurants bis zu Ketten schon an jeder Ecke etwas gibt. Wesentlich seltener sind da schon die Restaurants mit einer neuen, optimierten oder interpretierten Regionalküche, die sich ja eigentlich ganz natürlich entwickeln sollten. Es irritiert schon, wenn der österreichische Gault Millau in Graz im Gourmetbereich größere Mengen von Küchen verzeichnet, die zum Beispiel mit asiatisch zubereiteten Krustentieren aufwarten, aber nur ein paar „kleine“ Adressen mit guter regionaler Küche. Als ich da so vor einigen Speisekarten stand, fand ich das doch sehr irritierend. Warum kommt man nach Graz? Um asiatisch oder Fusion zu essen?

Da ist der „Mohrenwirt“ (…bitte jetzt nicht unbedingt den Namen diskutieren) ein echter Lichtblick. Es beginnt schon mit dem äußerst schlicht und zurückhaltend angelegten Interieur, bei dem nicht unbedingt die Spuren eines Innenarchitekten zu erkennen sind. Dazu kommt dann der Koch, der eine präzise zu seinem Restaurant passende Geschichte hat. Lukas Lepsic hat sieben Jahre am Traunsee bei dem exzellenten Lukas Nagel gearbeitet, der neben seinem Gourmetrestaurant auch die „Poststuben“ ein paar Häuser weiter verantwortet. Dort gibt es eine aktualisierte Regional- und Wirtshausküche, und dort war Lepsic zuletzt Küchenchef. Ich habe dort schon gegessen. Man merkt den Zusammenhang und kann die Qualität des Ansatzes im „Mohrenwirt“ nachvollziehen. Das Restaurant hat eine Art Szenepublikum, nicht unbedingt jung, aber auffällig anders und lokaler als die Touristen-Restaurants im Altstadtkern.

Im „Mohrenwirt“ wird häufig der Begriff „Bio“ benutzt – siehe unten. Es stellt sich natürlich immer die Frage, ob „Bio“ mehr etwas fürs Bewusstsein ist oder etwas bezeichnet, das man auch schmecken kann. Diese Frage stellt sich um so stärker, je weniger eine Küche offensichtlich mit bio-affinen Ideen hantiert (also z.B. seltenen Kräutern oder Gemüsen o.ä.) und weitgehend in üblichen Rezepturen bleibt. Man hat im „Mohrenwirt“ jedenfalls den Eindruck, als ob es schon irgendwie sehr gesund und natürlich schmeckt – auch weil selbstverständlich keine industriellen Fonds o.ä., im Einsatz sind.

Hier die Notizen:

Jiddische Bio-Hendlleber im Glas – Brioche, Preiselbeeren, Haselnuss (6,50 Euro)
Im Glas befindet sich eine Leberzubereitung, die in diesem Zusammenhang ein wenig an Foie gras erinnert und sehr schön mild und wenig „nach Leber“ schmeckt – schon gar nicht im Zusammenhang mit dem Preiselbeergelee und den Haselnussstückchen obenauf. Der Akkord ist vor allem dann gut, wenn man wenig Süße und einen guten Anteil von Nüssen hat. Auffällig gut sind die leicht angerösteten Brioche-Scheiben, so dass sich ein süffiger, sehr angenehmer Zusammenhang ergibt – und das für 6,50 Euro. – Es stellt sich natürlich die Frage, ob „Bio“ nicht auch bedeuten sollte, den Eigengeschmack der Produkte immer klar in den Vordergrund zu stellen. So gesehen wäre das Gericht in dieser Form nicht unbedingt produktnah.

Handgeschnittenes Tatar vom Bio-Rind – Liebstöckelmayo, wachsiges Dotter, Röstschalotten, Geröstetes Weißbrot ( 120 gr. 15 Euro)
Bei dieser Tatar-Version mischt sich eine gute Produktnähe mit einer guten Sensorik. Die begrenzt eingesetzte Liebstöckel-Mayonnaise und das gut dosierbare, wachsweiche Eigelb obenauf sorgen für einen mild-würzigen Zusammenhang. Die dünnen Scheibchen von gerösteten Schalotten sind fast immer sehr gut in der rustikal-bodenständigen Wirkung und überraschen als sinnvolle Zutat. Nur wenn man zufällig mehrere Stücke auf der Gabel hat, werden die Röstschalotten etwas zu dominant. Insgesamt entsteht ein optimiertes Bild, das von den überwürzten Banalitäten vieler klassischer Fassungen weit entfernt ist. Insofern ist dann bei diesem Gericht das Neo-Wirtshaus-Konzept im „Mohrenwirt“ absolut evident.

½ Gebackenes Buttermilch Bio-Backhendl im Körberl – Petersilerdäpfel, Zitrone (16 Euro)
Dieses Gericht ist im Prinzip der unveränderte Klassiker – mit einem kleinen, aber feinen und entscheidenden Unterschied. Es gibt ja manchmal das Problem, dass eine Küche die Hühnerstücke pur paniert und ausbackt. Erstens muss man sie dann je nach Dicke länger ausbacken und erzeugt schnell zu dunkle Röstnoten, zweitens hat das Huhn damit immer noch keine gute Würze. Ich habe das in den letzten Tagen alles so oder ähnlich erlebt. Mit einer Buttermilch-Marinade bekommt das Fleisch eine feine Säure/Würze und muss auch nicht – immer eine gewisse Dauer der Marinade vorausgesetzt – so lang wie üblich gegart werden. Das wiederum ermöglicht eine volle Kontrolle über den Zustand der Panierung und ein sehr gutes Ergebnis. So war es hier. Es schmeckte komplett traditionell und sehr gut. Dass dann – nur scheinbar eine Kleinigkeit – statt Petersilie auch noch frittierte Rauke verwendet wird und man – ich unterstelle Absicht – nur ein winziges Eckchen Zitrone auf den Teller legt, damit man das Huhn nicht in Zitrone ertränkt, rundet das Gericht bestens ab.

Geschmortes Schulterscherzel vom Bio-Rind – weiße Polenta, Fisolen, Steinpilze, Pfirsich (26 Euro)
Das Gericht hat seinen Preis, ist aber auch ein hervorragendes Beispiel für das, was eine solche Küche leisten kann. Hier kommen auch Gourmets klar auf ihre Kosten, und Nicht-Gourmets werden sich einfach über die schiere Qualität der Produkte und Garungen freuen können. Es gibt sehr schöne Stücke Fleisch, die nicht zu stark glasiert sind, sondern bei aller Zartheit und Saftigkeit noch einen klaren Fleischgeschmack haben. Was den Geschmack des Gerichtes aber ganz wesentlich ausmacht, ist die prächtiger Begleitung, die – vor allem wegen der Steinpilze – ein ganz spezifisches Mischaroma bringt. Die Pilzstücke sind sehr dezent und mit einer feinen Säure gegart und wirken ausgesprochen präsent, natürlich und frisch. Auch die Pfirsichspalten helfen mit, weil sie ebenfalls frisch und präsent und nicht zu süß schmecken. Das Gesamtbild dieses Gerichtes ist von der handwerklichen Qualität her eigentlich Spitzenküche – dabei aber eben ohne allzu artistische Zutaten und in seiner ganzen Art eben „Bio“ wirkend und schmeckend. Es verweist auf das, was eine neue Wirtshausküche leisten könnte, und wie sie es schaffen könnte, die Traditionen nicht zu vergessen und die nach Traditionen suchenden Gäste nicht zu verprellen, sondern durch schiere Qualität zu überzeugen.

2 Gedanken zu „Neo-Bio-Wirtshaus: Der „Mohrenwirt“ in Graz“

  1. „Es stellt sich natürlich die Frage, ob „Bio“ nicht auch bedeuten sollte, den Eigengeschmack der Produkte immer klar in den Vordergrund zu stellen.“
    Nach meinem Verständnis bedeutet „bio“ bei Speisen (nur), daß (möglichst) alle Zutaten Bioprodukte sind. Es ist daher ebensowenig ein kulinarisches Prädikat wie vegetarisch oder vegan. Auch Bio-Rohprodukte können minderwertige Qualität haben.

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  2. hallo Herr Dollase, bei diesem beitrag musste ich natürlich gleich an den schweinsbräu in glonn zu thielemannzeiten denken. diese art von küche, die ich eben bei thielemann kennenlernen durfte, müsste mE viel stärker gefördert ( und gefordert werden!), weil sie nicht nur leuten gefällt, die eh schon gut und mit hirn essen, sondern auch “ normalos“ abholt, die mit hochküche fremdeln und schranken im kopf haben.

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