Neue Weisheiten vom (jungen) Wilden


Minikosmos Küche – ein ganz erstaunliches Seminar von und mit Stefan Marquard.

Im letzten Jahr wurde ich gebeten, als Jurymitglied bei einem internen Wettbewerb des Mega-Caterers Aramark zu fungieren. Was ich gerne tat, zumal die Jury sehr kompetent besetzt war.

Unter anderem traf ich dort einen alten Bekannten. Stefan Marquard. Der erzählte mir von einem Seminar, das er im Schindlerhof in Nürnberg abhalte. Und das was er sagte, machte mich neugierig. Bei einigen Lernzielen dachte ich sogar – das kann doch nicht sein? Er habe das gesamte Geschehen in der Küche grundlegend überdacht und neu strukturiert. So führe seine Methode Fleisch zu garen, lediglich zu maximal fünf Prozent Gewichtsverlust statt der üblichen zehn bis 35 Prozent. So Marquard. Klar, ein solches Seminar musste ich mir ansehen.

Wer Marquard nur aus dem TV oder von seinen Kochbüchern kennt, kann schwer erahnen, welche Kompetenz sich hinter dem einstigen “Jungen Wilden“ verbirgt. Das Seminar beweist, er ist erwachsen geworden. Geblieben sind seine Markenzeichen Bandana, Spitzbart, Brille und Ohrring. Die machen ihn unverwechselbar.

 

Stefan wurde 1964 in Schweinfurt geboren und absolvierte zunächst eine Lehre als Metzger, dann als Koch. 1988 traf er seinen bedeutenden Förderer Adalbert Schmitt, Patron der seinerzeit legendären Schweizer Stuben in Bettingen (Jörg und Dieter Müller **). Schmitt schickte ihn auf eine kulinarische Bildungsreise durch Italien, um ihm später als Chef des Schweizer Stuben Italieners “Taverna La Vigna” einzusetzen. Die Idee war gut, denn das Restaurant wurde zum besten italienischen in Deutschland gekürt. 1991 eröffnete Marquard sein eigenes Restaurant “Drei Stuben“ in Meersburg. Dort rockte die Küche und es gab einen Michelinstern und 18 Gault-Millau-Punkte. Was folgte, war die Leitung des Münchener “Lenbach“ und die Jolly Roger Cooking Gang. Unter der Piratenflagge wurden Caterings, Events und Shows bekocht. 2014 gründete der umtriebige Chef die Stefan Marquard Gastroakademie, in deren Programm auch das besagte Seminar mit dem Titel “Minikosmos Küche“ stattfindet.

Der Schindlerhof ist ein klassisches Tagungshotel in Privatbesitz. Hotelier Klaus Kobjoll betreibt überdies die Seminar-Agentur Glow & Tingle und ist neben Stefan Referent der Veranstaltung. Bei Agentur und Hotel ist es ein wenig so wie bei der Henne und dem Ei. Ist das eine für das andere da oder umgekehrt? Bei Kobjolls Vorträgen “Makrokosmos Unternehmen“ geht es um Unternehmensstrukturen, Mitarbeiterführung und Motivation. Letzteres erreicht er durch teambildende Maßnahmen, Zuwendungen und Incentives. Na, wer es sich leisten kann… Und wenn dann bei alledem der Service für den Gast nicht leidet.

Stefans Seminar hat das Herz in der Küche der Praxis. Hier blüht er, unterstützt von seinem Bruder, richtig auf und verblüfft anwesende Sterneköche ebenso wie den Betreiber einer Schnitzelbude. Der ist mittlerweile ein echter Jünger Marquards, macht dieses Seminar schon zum zweiten Mal und erzählt, seine Frau habe vor Freude geweint, nachdem er durch Stefans Technik 25 Prozent weniger Verlust beim Braten erzielt hat. Das ist bares Geld.

 

“Stefan, was ist mit dir los?“, so wortwörtlich ein Sternekoch, “Du willst mir doch jetzt nicht erzählen, dass du die Nudeln mit einer Tasse Wasser kochst? Nudeln müssen schwimmen!“ Und doch, Marquard kocht Nudeln in einer Pfütze Wasser.

Lernziele der dreitägigen Veranstaltung waren:

  • Durch alternative Garmethoden, Zeit und Geld zu sparen und gleichzeitig die gleichbleibende Qualität zu erhalten.
  • Lebensmittel vollständig zu verwerten, um größere Wertschöpfung zu erzielen und gleichzeitig Entsorgungskosten zu reduzieren.
  • Trends für ein ansprechendes Angebot optimal zu nutzen
  • Tipps und Tricks für den Einkauf und die Küchenorganisation zu vermitteln

Nun liegt es mir natürlich fern, zu viel von den Inhalten zu verraten, denn schließlich soll dies hier eine Empfehlung sein, ein solches  Seminar zu buchen. Doch eine ganz entscheidende Technik möchte ich kurz erläutern:

Stefan Marquards Methode des “Rückwärtsgarens“, die er bei Fleisch, Fisch und Gemüse anwendet, und die zu der schon erwähnten Reduzierung des Gewichtsverlustes führt. Beispiel Fleisch: Die Stücke werden mit einer Mischung aus fünf Teilen Salz und einem Teil Zucker eingerieben. Nach Stefans Theorie bindet diese Mischung das freie Wasser zwischen den Zellen. So entweicht es beim Garen nicht. Aktivieren nennt er das und weist darauf hin, dass dies nur direkt auf dem Fleisch, jedoch nicht auf Fett oder Häutchen funktioniere, da diese das Eindringen der “Marinade“ verhindern. Je nach Stärke braucht dieser Vorgang 5–30 Minuten Einwirkzeit. Danach wird das Fleisch auf dem Rost im Ofen schwebend vorgegart. Je 100 g 30 Minuten bei 50° C Umluft. Bei diesem Vorgang stockt das Eiweiß lang-sam und schonend und behält den Saft. Das Ganze erinnert etwas an die Sous-vide-Technik. Doch bei Stefans Methode spart der Koch den Plastikbeutel und das Vakuum nimmt keinen Einfluss auf die Struktur des Garguts. Nach dem Vorgaren ist ein “Convenience-Produkt“ entstanden, das direkt nachgebraten werden kann oder lange Zeit in der Kühlung haltbar bleibt. Beim Nachbraten entweichen in der Tat keine nennenswerten Wasserschwaden mehr und das Fleisch erhält nun Röstaromen und die gewünschte Würze. Wirklich erstaunlich.

www.marquard-akademie.de

2 Gedanken zu „Neue Weisheiten vom (jungen) Wilden“

  1. Habe das heute an einem 220 g schwerem Dry aged Rumpsteak ausprobiert. Mein Fazit:
    1. Zu salzig — entweder man reduziert auf 2 Teile Salz und 1 Teil Zucker oder man spült die „Marinade“ ab, was evtl. nicht gewollt ist?
    2.a Nach dem Garen darf man das Fleisch wirklich nur ganz kurz — max. 30 Sekunden auf jeder Seite — braten, sonst ist es gleich „well done“.
    2.b Eventuell muss man die Zeit im Ofen auf 20 Minuten pro 100 g verkürzen?
    3. „Rare“ ist mit dieser Methode womöglich nicht möglich.
    Trotzdem sehr lecker und saftig.

    Antworten
  2. Keine Frage ist eine interessante und innovative Garmethode.
    Stefan hat dies bei uns in der Nähe schon der breiten Öffentlichkeit vorgestellt.
    Nur eine Frage dazu, das Gargut bleibt beim weiterverarbeiten in seinen ursprünglichen Form, soll heißen :
    wie z.b. Rindersteak, wenn man dies bis medium aktiviert hat, bleibt es auch beim nachbraten so, oder zieht es noch um einiges nach ?

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu daniel Antworten abbrechen