Neues aus einer scheinbar alten Welt, die man dringend wiederentdecken sollte

Dass in den Gault Millau-Regeln der Nouvelle Cuisine von 1973 viel Unsinn steht, habe ich hier auf www.eat-drink-think.de am 21.1.2021 bereits ausführlich dargestellt. Es ist und bleibt aus heutiger Sich einfach widersinnig, wenn man die kulinarischen Mittel einengt, wenn man also eine Art von Zensur praktiziert. Warum soll man nicht fermentieren? Warum Fett reduzieren oder sogar ausschließen? Als Begründung wurde immer gesehen, dass diese Regeln sich vor allem gegen die existierenden, vielfach schweren Zubereitungen der klassisch-französischen Küche gerichtet haben. Aber – macht nicht die Dosierung das Gift? Es geht schließlich um spezifische Geschmacksbilder und nicht um Mengen. Klassische Geschmacksbilder können phantastisch sein. Wer sagt, dass man davon Berge essen muss?

Mir ist kürzlich wieder ein Buch in die Hand gefallen, dass ich auf einem kirchlichen Büchermarkt für 2 Euro gekauft habe, obwohl ich es vermutlich irgendwo in meiner großen Bibliothek bereits stehen habe. Ich habe es mit sehr viel Genuss und einem Dauergrinsen im Gesicht gelesen, weil es aus heutiger Sicht so gnadenlos archaisch wirkt. Hier erst einmal der Titel:

 

Time Life. Die Kunst des Kochens/Methoden und Rezepte: Terrinen, Pasteten und Gelees. Time Life Books 1981. 184 S., geb., Hardcover

Deutsche Ausgabe: 1985. (Antiquarisch für wenige Euro bei verschiedenen Anbietern zu bekommen)

Na klar, ab und zu bekommt man irgendwo eine Terrine, die meist eine Luxusvariante der Paté en crôute ist – vermutlich, weil Ducasse und einige weitere Küche nie davon abgelassen haben, solche Produkte mit viel Trüffel und Foie Gras zu verschönern. Wo aber sind die vielen anderen Varianten geblieben, die man in diesem Buch säuberlich und mit vielen klaren Step-by-Step-Fotografien findet?

 

Bringt Terrinen, Pasteten und Gelees zurück!

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, auf diese traditionellen Formen zurückzugreifen, und zwar in jeder Küche, auch den ganz modernen, auch dort, wo man meint, von „so etwas“ ganz weit entfernt zu sein, auch dort, wo man nicht mit Fleisch oder Fisch arbeitet. Die Terrinen sind in erster Linie eine kulinarische Form, die etwas bringt, was andere Formen nicht bringen, nämlich sehr präzise definierte Akkorde, die man – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Präsentationsformen – nicht „falsch“ essen kann. Der Akkord kommt also wie gewollt an. Dieses Prinzip lässt sich auf jede Zusammenstellung und jede Küche übertragen.

In der Gastronomie können Pasteten und Co. eine große Lücke füllen, und das in einer für die Küche sehr praktischen Form. All diese Zubereitungen kann man vorproduzieren (und muss sie manchmal sogar vorproduzieren, weil sie bisweilen von etwas Reife profitieren können). Man kann sie in jeder Größe machen, im herzhaften wie im süßen Bereich und sie können viele Gerichte als Element bereichern – wenn man sie denn nicht allein servieren möchte. – Die in diesem Buch angebotenen Terrinen und Co. sind aus heutiger Sicht auch in ihrer traditionellen Form durchaus keine kulinarische Antiquität, sondern stehen für bestimmte Geschmacksbilder und – sie können für große Kochkunst stehen. Wie in kaum einem anderen Zusammenhang können Köche hier beweisen, dass sie in der Lage sind, ein Produkt zu schaffen, das von überragenden handwerklichen und geschmacklichen Fähigkeiten profitiert. Kunstvoll arbeiten und gleichzeitig ein Geschmacksbild produzieren, das die Gäste völlig überzeugt und oft genug auch noch ganz besonders den assoziativen Kontext bedient, ist eine Sache, die in die Küchen zurückkehren sollte.

Warum „gemischte“ Zubereitungen eine so große Bereicherung sind

Genau dieses Prinzip wird ganz allgemein kaum noch genutzt und schwächt die Performance vieler Gerichte. Gemeint ist das Prinzip der gemischten Zubereitungen, also Gewürzmischungen, Chutneys, Ragouts, Terrinen, Pasteten (und in gewisser Weise natürlich auch Saucen). All das, was beweisen könnte, wie sensationell gut ein Koch eigentlich abschmecken kann und was seiner Küche eine deutlich profiliertere Handschrift verleihen könnte, ist weitgehend verschwunden. Olivier Roellinger hat seinerzeit jedes seiner Gericht mit einer eigenen Gewürzmischung angereichert und damit ein unverwechselbares Bild geschaffen – vor allem, weil klar wurde, dass er nicht nur ein überragendes Talent für solche Dinge besitzt, sondern sie auch noch ausgesprochen dezent und sinnvoll einsetzte. Wie die Terrinen und Co. können diese gemischten Zubereitungen fast immer vorproduziert. werden. Ich habe schon vor Jahren immer wieder Köche darauf aufmerksam gemacht, dass man mit solchen Dingen auch dann glänzen kann, wenn man in der Küche nicht ganz so viel Personal hat. Und was dann großzügig und elaboriert wirkt, kann genau das sein, was die Gäste am meisten überzeugt, weil sie von solchen Zubereitungen sozusagen selber in ihren eigenen Fertigkeiten am weitesten entfernt sind. Apropos Gäste/PrivatköchInnen: es gibt einige Leute, die für sich zu Hause erkannt haben, dass sie Terrinen, Pasteten und Co. mit viel Zeit und Geduld und Engagement hinbekommen können, und dass die Restaurants das eben nicht hinbekommen…

 

Noch etwas zum Buch

Man bekommt in diesem Buch das ganze Programm – bis hin zu traditionellen Dingen, die man heute quasi nirgendwo mehr findet. Den Anfang machen kräftige Brühen und Gelees, dann gibt es z.B. etwas über fetten Speck als Grundlage vieler Terrinen und Füllmassen. Es folgen Fleischterrinen, Gemüseterrinen, Fischterrinen, Pasteten, Galantinen und Gelees und – ab Seite 90 – die nicht. Immer ganz einfachen Rezepte. Die Step-by-Step-Fotos sind dabei jeweils nicht nur mit bestimmten Aromenbildern, sondern auch mit bestimmten technischen Aspekten gekoppelt. Es geht also zum Beispiel um „Zarte Struktur durch Hühnerleber“, eine Foie gras-Terrine die Alles, nur nicht puristisch ist, „Festigkeit durch ein Püree aus Hülsenfrüchten“ ein „Fischpüree mit Meeresfrüchten“, „Ein fester Teig für frei geformte Pasteten“, und – zweifellos ein Höhepunkt – um ein im ganzen gefülltes Spanferkel, das man vermutlich noch irgendwo in Frankreich, aber kaum noch jemals in unseren Landen finden wird.

 

7 Gedanken zu „Neues aus einer scheinbar alten Welt, die man dringend wiederentdecken sollte“

  1. Es lebe die Confrérie Du Pâte Croûte, die jährlich den Weltmeister im Pastetenbacken kürt. Nicht nur in Frankreich lebt die Tradition weiter und man bekommt die herrlichsten Terrinen und Pasteten in der Sterneküche, egal ob bei Thierry Schwartz oder im Maison Troisgros. Ein echter Könner in Deutschland ist übrigens Björn Leist in Dermbach…

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  2. Eine meiner schönsten Erinnerungen: Anfang der 80er Jahre mit einem befreundeten jungen Küchenchef Freitagabend ab 22.00 h nach seinem Service mit Hilfe der Teubner-Edition Pasteten kreieren; das Ergebnis wurde so gegen fünf Uhr morgens verspeist. Der massive Arbeitsaufwand und das erforderliche Know-how stehen jedoch einem breiteren Einsatz in Restaurants entgegen.

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  3. Auch ich bin ein totaler Fan von Pasteten und Terrinen, besitze das Buch und das von Teubner seit dem Erscheinungsdatum und fabriziere vorzugsweise im Winter zu großen Festtagen immer wieder das eine oder das andere. Ja, es ist zeitintensiv, aber vor dem Essen muss nur noch angeschnitten und (wenig) dekoriert werden, was in einem Menu sehr vorteilhaft ist. Ich erinnere mich allzu gerne an Restaurants in den 70ern wie in Rastatt in Katzenbergers Adler, die drei kleine Terrinen als Vorspeise serviert haben und dann natürlich die Gänseleberpasteten in Frankreich überall, herrlich!

    Es gibt beim Kochen wie in anderen Lebensbereichen Tabus, hier Gänseleber, große Fleischmengen und natürlich Gelatine. Gegen solche Trends habe ich mich immer schon gestemmt, aber das gelingt leider nur begrenzt, wenn man die Gerichte in Restaurants einfach nicht mehr bekommt. In Brüssel soll es übrigens eins geben, das auf Terrinen und Pasteten spezialisiert ist! Also sind wir nicht alleine mit unseren Vorlieben…

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  4. Die thematischen Kochbücher der Time-Life Serie sind immer noch aktuell und große Klassiker. Dass Patés und Terrinen etwas aus der Mode gekommen sind, fand ich immer schade, zumal immer mehr Esser ein Problem mit Leber (und anderen Innereien) zu haben scheinen.
    Aber es besteht Hoffnung! Jüngst bekam ich ein französisches Kochbuch geschenkt: Gilles&Nicolas Verot „Terrines, Rillettes, Saucisses & Pâtés Croûtes“ erschienen 2020. 89 wunderbar altmodische Rezepte. Sicher nicht auf allerhöchstem Niveau aber für den ambitionierten Hobbykoch (im Besitz eines Fleischwolfs) recht leicht zu realisieren. Offenbar gibt es für so etwas in Frankreich wieder einen Markt. Irgendwann schwappt er hoffentlich auch nach Deutschland

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  5. Moin, moin Herr Dollase,
    sie sprechen mir aus der Seele obwohl ich persönlich das große Buch der Pasteten vom Teubner Verlag, auch Ende der 70er erschienen, noch einen Tick besser finde.. Mittlerweile finden zeitgemäße Terrinen, Pasteten, Galantinen und Sülzen auch wieder in mancher Sterneküche (vom The Table bis zur Schwarzwaldstube) Ihren Platz und Berechtigung. Leider gibts es immer weniger Köche, die das perfekt beherrschen, da die letzten 30 Jahre sowas aus der Mode kam, Ausnahme die Gänsestopfleberterrine. Es wird auch nicht mehr wie früher bzw wie heute noch in Frankreich den jungen Köchen beigebracht..Ich persönlich glaube, das Pasteten und Terrine eine Renaissance in der Küche erleben werden… die Anzeichen und auch der Personalmangel sprechen jedenfalls dafür.

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