Stefan Stiller. Taian Table. Shanghai. 3 Michelin-Sterne. Das Buch.

Stefan Stiller: Taian Table. The First Five Years 2016 – 2021. Stefan Stiller/Taian Table, Shanghai 2021. 582 S., Ganzleinen im Ganzleinenschuber. (in englischer Sprache, bei Interesse am Bezug bitte bei Stefan Stiller im „Taian Table“ melden)

Vermutlich ist der in Shanghai arbeitende deutsche Drei Sterne-Koch Stefan Stiller vielen Leuten nicht wirklich bekannt – oder zumindest nicht so bekannt wie andere deutsche Spitzenköche, die im Ausland arbeiten. Das liegt sicher zum Teil daran, dass der 1966 geborene Stiller schon 2004 mit seiner koreanischen Frau nach Shanghai gegangen ist und dann erst einmal außer Sichtweite war. In Deutschland war er vorher zum Beispiel eine kurze Zeit bei Herbert Schönberner im „Goldenen Pflug“ in Köln, bei Dieter Müller in den „Schweizer Stuben“ in Wertheim und jahrelang Küchenchef im „Gasthaus zur Kanne“ in Deidesheim (1*). Jedenfalls hat er sich in Shanghai dann im Jahre 2008 mit „Stiller’s Restaurant“ selbstständig gemacht und 2016 schließlich das „Taian Table“ eröffnet. Mit diesem Gourmetkonzept startete er mächtig durch. Der erste Stern kam sofort, der zweite 2019 und der dritte 2021. Und sein zweites Restaurant in Guangzhou hat ebenfalls bereits 2 Sterne. Nun hat er im Eigenverlag ein sehr schönes Buch auf den Markt gebracht, in dem er die ersten fünf Jahre seiner Arbeit im „Taian Table“ dokumentiert.

 

Das Buch

Der Band ist erst einmal auffällig, weil er die leider bei uns mittlerweile zu findenden, eher kargen Publikationen von Spitzenköchen, deutlich hinter sich lässt. Man sieht hier die Vorteile, als Restaurant ein eigenes Buch zu machen, das man dann komplett an einen Verlag zwecks Vertrieb zu verkaufen versucht (was natürlich immer auch sehr schwierig sein kann oder sogar scheitern kann). Dieses Verfahren – das man im übrigen im Prinzip auch in der Musik kennt – hat den klaren Vorteil, dass die Gewichtung der dargestellten Inhalte nicht zu sehr von – sagen wir: populistischen Ideen geprägt werden. Der produzierende Koch will natürlich ein schönes Buch, das sich auch gut verkauft, aber er will auch eines, bei dem seine Arbeit so gut wie möglich abgebildet wird.

 

 

Stefan Stiller hat ein sehr schönes Buch gemacht, das mit seiner ganzen Anmutung „wertig“ wirkt und vom Inhalt her durchaus nicht in den Bereich der Selbstbeweihräucherung abschweift. Seine Geschichte war ja auch nicht immer rosig, und es hat eine ganze Reihe von Jahren gebraucht, bis er mit dem „Taian Table“ so auf den Punkt gekommen ist, dass er es in kürzester Zeit zu drei Michelin-Sternen gebracht hat. Diese Geschichte und die Entstehung des Restaurants werden zu Beginn des Buches in unaufgeregter Länge und mit vielen interessanten Details erzählt. Mir ist ein wichtiger Satz aufgefallen, nämlich die Anmerkung, dass das Publikum für solche Spitzenrestaurants in Europa eher aus älteren, wohlhabenden Leuten besteht, während es in China vorwiegende ein junges Publikum ist, das sich für diese Qualitäten interessiert. Ähnliches habe ich übrigens schon einmal von Jonnie Boer von „De Librije“ in Zwolle gehört, der gesagt hat, dass er in seinem Restaurant den Vorteil habe, dass viele junge Leute kämen, die sich diese Drei Sterne-Küche einmal „reinziehen“ möchten und dann auch gleich beim Wein richtig zulangen – um hinterher wirklich sagen zu können, dass sie wissen, was diese Kultrestaurants „bringen“.

 

Kulinarisch gesehen stellen sich bei der Lektüre von „Taian Table“ natürlich die neugierigen Fragen, in wieweit Stiller auf die chinesische Küche zugeht, inwieweit die Küche der Region (i.w.S.) ihn beeinflusst und inwieweit er europäische Qualitäten vermittelt. Die Antwort, die das Buch gibt, ist ganz klar: selbstverständlich wird man von einem europäischen Spitzenkoch in China erwarten, dass er eine deutlich von den europäischen Qualitäten dominierte Küche präsentiert und den Einfluß der Region eher so hält, dass sich gegenseitige Inspirationen und besondere Qualitäten ergeben. Insgesamt gibt es vor allem viele Spuren der Region (wozu man hier dann auch Japan zählen muss), aber keine Fusion-Küche im engeren Sinne.

 

Für die Gliederung hat sich Stiller, der in regelmäßigen Abständen ein neues Menü mit rund 12 – 14 kleinen Gängen erstellt, auf die ersten 30 Menüs bezogen, die im „Taian Table“ seit 2016 produziert wurden und daraus die besten Gerichte ins Buch genommen. Diese beeindruckende Sammlung hat Gerichte wie:

 

Jakobsmuschel-Ceviche mit Seeigelzungen, Auster und Limetten-Kokosnuss-Dressing (Anm.: im Buch ist auch eine Abbildung von einem Holzkistchen, in dem Stiller seine Seeigelzungen bekommt. D könnte man vor Neid blass werden)

Gerösteter Blumenkohl mit luftgetrockneten Rinderbäckchen, geräuchertem Eigelb, gepickelten Pilzen und einer Hollandaise von brauner Butter

Langsam gegarte Rinder-Short Ribs mit Senfsaat, Cashew und Salat (Anm. hier ist die Senfsaat in Dashi mariiniert und das Beef sehr komplex und originell aromatisiert)

Hamachi mit Wasabi, Spinat, Sansho-Pfeffer und Kaviar

Kabeljaubäckchen mit Kapern, Zitrone, Brauner Butter und Fenchelpollen

Über Holzkohle gegrillter Steinbutt, Wirsing, Chorizo und Sauerkraut

Geröstete Kohlrabi-Creme, gepickelte Pilze, Schalotten, Schnittlauch

Steinbuttfilet mit Guanciale, Wirsing, Kimchi-Gochujang-Mayonnaise

Konfierter Rochenflügel mit Tintenfisch und fermentiertem weißen Spargel

 

Wie immer sagen die Titel nicht alles über die tatsächliche Zubereitung. Stiller hat sehr klare, markante Rezepturen, die selten aus vielen Zutaten bestehen, aber eben oft eine ganze Anzahl von Einzelzubereitungen haben. Das Steinbuttfilet etwa entwickelt sich mit einem aufwändig pochierten und aromatisierten Fisch, Brauner Butter, einer weißen Miso-Butter, geröstetem Wirsing, einer Essig-reduktion, einer weißen Miso-Hollandaise, einer Gochujang-Mayonnaise auf der Basis der koreanischen Chili-Paste mit der japanischen Kewpie – Mayonnaise, Kimchi-Puder und zum Anrichten eingelegte Kimchi-Stängel und Koriander Micro-Greens. – Die Kabeljaubäckchen haben die Einzelzubereitungen Kapernbutter, dann die Bäckchen mit dieser Butter gemacht, ein Yuzu-Gel, ein Zitronendressing, Samphire (Seespargel), Nori-Puder, Nori-Sauerteig-Croutons, frittierte Kapern und Fenchelpollen und Piment d’Espelette für das Finish. – Die Short-Ribs haben ungewöhnlich viele Aromen und sind nicht wirklich traditionell aromatisiert, es gibt die Dashi-Senfsamen, Knoblauchbutter, eine Petersiliencreme, ein Zitronendressing, gegrillten Romana-Salat, gepuffte Achillessehnen vom Rind, Cashew, Rinderjus, Korianderstängel und Piment d’Espelette zum Finish. Bei dieser Art von Einzelzubereitung kommt natürlich im Verlauf des Buches eine Menge zusammen. Kochtechnisch zeigt sich ein prototypischer Drei Sterne-Koch der zeitgenössischen, aber sehr erfahrenen Art. Stiller verfügt über ein großes Instrumentarium an Einzelzubereitungen, das ihm eine Unmenge an Möglichkeiten gibt. Man findet in quasi jedem Rezept individualisierte Zubereitungen, die bestens funktionieren, weil sie eben lange „in Betrieb“ waren und im Nachhinein dokumentiert wurden. Das Gegenteil wären Gerichte, die nur für ein Buch gekocht werden.

 

 

Fazit

Es wird etwas schwierig sein, das Buch im Moment zu bekommen, und wenn, dann ist es nicht eben billig. Stefan Stiller bemüht sich da gerade um Wege, es bei uns in Europa zu verteilen. Wie bei allen wirklich gut entwickelten und präsentierten Büchern von Drei Sterne-Köchen ist das natürlich höchst interessant – vor allem auch deshalb, weil sich hier verschiedene Einflüsse getroffen haben und diese Einflüsse auch noch mit einer individuellen Sehweise verknüpft wurden. Stiller reiht sich in die nicht sehr große Schar von Köchen ein, die „State-of-the-Art“ kochen – vielleicht nicht so ausgeprägt wie etwa bei Jan Hartwig, aber doch weit vom Mainstream entfernt. Die Klarheit seiner Arbeit ist ein besonderes Plus – gerade auch was den pädagogischen Wert seiner Arbeit betrifft.

Im Detail zeigt sich dann eben auch noch sehr viel mehr Individualität, als es der Stil auf den ersten Blick verrät.

 

Das Buch bekommt drei grüne BBB

 

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