The Making of… “Die Lieblingsrezepte der Drei-Sterner“ im neuen Port Culinaire-Heft und einige Anmerkungen dazu.

Im aktuellen Heft von Port Culinaire findet sich eine Story, die wohl nur unter den aktuellen Umständen möglich geworden ist. Alle unsere Drei-Sterne-Köche sind der Einladung gefolgt, ihr Lieblingsrezept oder das Rezept, das sie für eines ihrer wichtigsten und besten halten, zu benennen und uns das Rezept oder zumindest eine Rezeptbeschreibung zur Verfügung zu stellen (inklusive Klaus Erfort, den wir auf keinen Fall außen vor lassen wollten, weil seine Herabstufung möglicherweise ebenfalls etwas mit der Corona-Krise zu tun hatte). Das war nicht so ganz einfach und erinnerte manchmal daran, einen Sack Flöhe zu hüten… Außerdem gehört das Verfassen von Rezepten üblicherweise nicht zu den Hobbies unserer Meister. Wegen der außergewöhnlichen Umstände hier ein paar Details von der Entstehung, den Tücken und den bemerkenswerten Perspektiven der Auswahl. Hier erst einmal Ausschnitte aus dem Anschreiben:

„Wir möchten gerne bei Port Culinaire eine Geschichte machen, in der die deutschen Drei-Sterne-Köche jeweils ein aktuelles Rezept mit Foto präsentieren, das sie für besonders wichtig und zukunftsweisend für ihre Arbeit halten. Ich werde das dann entsprechend kommentierend begleiten. Es wäre sehr schön, wenn Sie da mitmachen könnten…
…Falls Sie kein komplett ausgeschriebenes Rezept haben, käme ich auch mit einer „Escoffier“-Beschreibung zurecht, also der Auflistung dessen, was Sie gemacht haben – vielleicht auch mit den Garzeiten o.ä.“

Wo sind unsere besten Köche zu Corona-Zeiten?

Es hat sich schnell herausgestellt, dass unsere besten Köche sozusagen in zwei verschiedenen Lagern leben. Die einen sind Eigentümer/Pächter von Restaurants und können im Prinzip machen, was sie wollen. Die anderen sind Angestellte von großen Hotels, die während der Krise oft nur einen äußerst spärlichen Notbetrieb hatten. Wie sagte einer von ihnen: „Ich kann nicht einfach einen 9 kg-Steinbutt bestellen, in die Küche vom Restaurant gehen und anfangen, an Rezepten zu arbeiten. Das würde hier kein Mensch bezahlen.“ Viele der Meister hatten also keinen Zugriff auf ihre Küchen, waren weit entfernt von ihren Unterlagen usw. usf. Kevin Fehling erreichte ich nach einigem Hin und Her mit – sagen wir: recht aktiven– Kindergeräuschen im Hintergrund. Andere waren irgendwo unterwegs, Clemens Rambichler steckte mitten in den Farbeimern wegen der „Sonnora“-Renovierung und wieder andere habe ich erst unmittelbar vor Abschluss der Story erreicht, weil die Büros nur sporadisch besetzt waren und die dienstlichen Mailadressen oder Telefonnummern nicht der optimale Weg waren. Christian Bau hatte – als einer der ganz wenigen von ihnen – enorm viel Arbeit mit seiner ersten Bau-Box, die er gerade konzipiert hatte und sah sich außerstande, zwischen Tür und Angel das komplette Rezept zu notieren – was ja auch immer bedeutet, das Restaurant-Rezept auf vier Personen „runterzubrechen“. Wichtig für mich war, dass es keinerlei Vorgaben geben sollte, also nicht Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts, und auch keine Vorgaben, was die Stilistik angeht. Es ging auch nicht darum, exakt die Rezepte zu bekommen, die ich persönlich für die wichtigsten halte, oder die besonders bekannt sind. Insofern gibt dann allein schon die Auswahl der Rezepte einige zusätzliche und sehr interessante Einblicke.

Was zeigen die Rezepte, was sagt uns die Auswahl?

Die Rezepte haben einen sehr unterschiedlichen Umfang, wobei sie eben in der Regel doch eher umfangreich sind. Es stellt sich natürlich die Frage, ob sie das enthalten, was ihre überragende Qualität im Restaurant ausmacht, ob sich also die Qualität an der Kochtechnik oder besonderen Details wirklich ablesen lässt. Das ist der Fall, aber weniger über irgendwelche besonderen „Tricks“ und entlegene Zutaten, als über die Genauigkeit und Detailliertheit der Zubereitung. Besonders bei Torsten Michel zeigt sich ganz klar, wie aufwändig klassisch orientierte/fundierte Spitzenküche arbeitet und wie sich Qualität Stück für Stück zusammensetzt. Man bekommt bei solchen Rezepten den Eindruck, als ob gute Qualität mit einer guten Idee und klaren Abläufen entsteht, hervorragende Qualität aber besonders große, weit darüber hinaus gehende Anstrengungen braucht, die einen besonders differenziert denkenden Koch voraussetzt und nur von einer qualifizierten Küchenbrigade zu realisieren sind.

Was fällt an der Auswahl auf? Zum Beispiel dass sich mit Christian Bau und Torsten Michel zwei ehemalige Küchenchefs von Harald Wohlfahrt mit der Rotbarbe befassen, dabei durchaus erkennen lassen, dass sie durch die gleiche Schule gegangen sind, dann aber zu ganz unterschiedlichen Lösungen kommen, die dennoch in einem wichtigen Grundzug übereinstimmen, nämlich dem Spiel mit einer kräftigen Aromatik, die das Rotbarbenaroma analysiert, ergänzt und weiterführt. Auch Claus-Peter Lumpp und Klaus Erfort haben das gleiche Grundprodukt und landen – bei definitiv gleicher Finesse – in unterschiedlichen, individuellen Interpretationen. Erfort setzt auf einen seiner Klassiker, den er immer wieder verfeinert hat, und kommuniziert damit das Bild eines Kochs, der immer auch daran arbeitet, Ideen weiter zu verfeinern und zu optimieren. Lumpp bleibt seinem Prinzip der Variation bei à la carte-Gerichten treu und zeigt seine neue, entspannte Souveränität, die im Laufe der Zeit immer leichter und klarer geworden ist. Er weiß, dass er heute besser denn je ist.

Bei Sven Elverfeld gibt es keinen seiner großen Klassiker, sondern eher ein Rezept, das seine spezielle Finesse und Denkweise betont. Es sieht nicht wirklich kompliziert aus, steckt aber voller Details – in diesem Falle auch mit der Angabe einer technischen Spezialität, nämlich einem hochtourigen Emulgator, der Bindungen erzeugt, die andere Geräte nicht schaffen. Elverfeld setzt auf die Kombination von „konventioneller“ Spitzenküche mit rustikalen und populären Aromenbildern, die bei ihm eine hinreißende Finesse bekommen.

Marco Müller ist von der Aromatik und der Struktur her sicherlich der modernste unserer Drei-Sterne-Köche, unter anderem deshalb, weil er einfach anders sein will und andere Wege zu einem anderen guten Geschmack sieht. „Garum mit Ochsenherztomate und grünem Wacholder“ bei einer bildlich einfachen Oberfläche zeigen das ganz klar. Clemens Rambichler hat nicht nur die Aufgabe übernommen, die Arbeit von Helmut Thieltges fortzusetzen, sondern auch Wege zu finden, die bei Thieltges manchmal sehr üppigen Zubereitungen (was man oft erst nach einigen Gängen merkte) leichter zu gestalten. Dass er den Steinbutt wählt, macht Sinn. Im Kern steht Thieltges, dann kommt Rambichler und setzt einige frische, leichtere Aspekte, die exakt in seine
„neue“ Richtung gehen, etwas mehr Vegetabiles und schöne kleine Cru-Cuit-Kontraste. Dass Kevin Fehling ein Foie gras-Rezept …– wenn auch eines in „Table“-Form – ausgewählt hat, erinnert unbedingt auch daran, dass er einerseits gerne klassische Akkorde erweitert und modernisiert, andererseits aber auch eine frühe Vorliebe für die Arbeit in einem Crossover-Bereich zwischen Herzhaftem und Süßem hatte.

Jan Hartwig präsentiert mit seiner – sehr bescheiden und angesichts der Optik etwas verwirrend – „Tellersülze“ genannten Komposition eines seiner neuen Gerichte aus dem Bereich der Transformation traditioneller Gerichte, Aromen und Assoziationen in die Moderne. Man muss so etwas probieren. Es sieht nicht
nur spektakulär aus, sondern schmeckt auch sensationell. Warum Christian Jürgens einen ganz anderen Weg gegangen ist und eine Hommage an seinen Lehrer Dieter Kaufmann geschickt hat, kann auch daran liegen, dass er schon mal Gerichte von Kollegen – sagen wir: adaptiert hat. Diese „offizielle“ Hommage ist eine gute Sache, mit der er zu Recht einen Koch ehrt, der mit seinem sehr feinen Geschmack einen ganz typischen Stil entwickelt hat. Natürlich ist seine Hommage keine Kopie, sondern eine sehr gute Interpretation des „Parfaits vom Stör“.

Last not least hat sich Joachim Wissler nicht für eine seiner sehr kleinteiligen Komposition mit vielen Elementen oder einen seiner Klassiker entschieden, sondern für den gegrillten Zander „Wilde Heimat“, bei dem süffige, traditionelle Aromen auf eine moderne Sensorik mit allerlei Kräutern und vielfältig verwobenen Assoziationen treffen. „Neue
Heimat“ – sozusagen.

 

 

© Fotos: Elverfeld – Kirchgasser Photography, Hartwig – Jan Hartwig, Michel – Traube Tonbach/René Riis, Wissler – Erik Chmil

 

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