Torsten Michel II

Die hier besprochenen Fisch- und Fleischgerichte stehen für einen ganz wesentlichen Teil der Küche der „Schwarzwaldstube“. Es ist der Teil, der wegen seiner sehr klassischen Struktur nicht nur Produkt der Arbeit eines hervorragenden Koches ist, sondern dem Koch und Restaurant eine ganz klare Position in der gegenwärtigen Restaurantlandschaft verschafft. Die klassische Küche muss immer als eine Gattung der Kochkunst gesehen werden und keineswegs als eine Art in die Jahre gekommene Mode früherer Zeiten. Sie zu betreiben ist so, wie man klassische Musik betreibt. Wer wollte die klassische Musik, die im Mittelpunkt der Kultur sehr vieler Länder steht und mit größerem Aufwand denn je betrieben wird, als verblassende Erscheinung „von gestern“ bezeichnen? Mit der klassischen Kochkunst ist es im Prinzip ganz ähnlich, nur fehlt ihre eben eine kulturelle Akzeptanz auf Weltniveau, die auf allen Ebenen dafür sorgt, dass sie auf höchstem Niveau betrieben wird.

Insofern stellt sich auch nicht die Frage, ob die klassische Küche „modern“ oder zeitgenössisch ist. Was man sich sehr wohl fragen kann, ist, ob es auch in der klassischen Küche zeitgenössische Interpretationen gibt, so wie es im Laufe der Zeit bei der klassischen Musik immer wieder unterschiedliche Interpretationen gegeben hat und gibt.

An dieser Stelle kommt nun die Arbeit von Torsten Michel ins Spiel, der in der „Schwarzwaldstube“ schon seit längerer Zeit für die ganz besonders klassischen Gerichte verantwortlich war. Michel hat sich mit seinen Arbeiten mittlerweile selbstbewußt weiterentwickelt und pflegt – vor allem bei den Fleischgerichten – einen Stil, den man manchmal geradezu als „wuchtig“ bezeichnen kann. Bei aller Differenziertheit im Detail geht es ihm um ein glasklares, aromenstarkes Bild, das sich dann natürlich auch deutlich von der oft eher halbherzigen „Klassik“ manch anderer Küchen unterscheidet. Ich habe dazu schon vor längerer Zeit gesagt, dass ich der Meinung bin, klassische Köche sollten „noch klassischer“ arbeiten, also nicht einen Weg einschlagen, bei dem die Verdünnung von Aromen am Ende mit Verfeinerung verwechselt wird.

Hier nun ein Fisch- und drei Fleischgerichte im Detail:

 

  
Kleiner Steinbutt, mit kurz pochierten Gillardeau-Austern gefüllt, Imperialkaviar und Zwiebellauch, Austernnage und Champagneressig
Eine Komposition von allergrößter Konsequenz, bei der man unbedingt das schöne Gefühl hat, hier geht es nur um den Geschmack und um nichts anderes als den Geschmack. Dass die Zutaten eher aus dem etwas gehobenen Fach stammen, spielt in meinen Augen dabei kaum eine Rolle, weil alle Zutaten hier eine ganz klar definierte und sinnvolle Rolle haben. Selbst der wärmeempfindliche Kaviar hat eine „gepufferte“ Position auf nur dezent temperierten Austern, die sein Aroma voll zur Entfaltung kommen lässt. Das A und O dieser Komposition ist das Spiel mit einer leicht maritim eingefärbten Säure von der klassischen Sahnesauce, die hier natürlich nicht in einer stark reduzierten, eher fetten Form eingesetzt wird, sondern eher leicht und eben mit einer sehr präzise ausbalancierten Säure. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich der leicht feste Steinbutt, die zwecks Erhalt ihres „kalten“ Aromas nur kurz pochierten Austern und der Kaviar in einer wunderbar plastischen Form: alle drei genannten Elemente entwickeln ihr Aroma nicht gleichzeitig, sondern hintereinander, was ein ausgesprochen volles, süffiges Mundgefühl gibt. Ideal ist eine „Schnitte“, die einen Akkord von sehr guten Proportionen ergibt, bei dem man jeweils eine genau passende Menge der Sauce mitbekommt.

Glasierte Kalbsleber mit sautierten Pfifferlingen und jungen Erbsen, Schmorsaft mit Baroloessig aromatisiert
Die Kalbsleber gehört nicht gerade zu den Favoriten der Spitzenküche. Wie oft in den Fällen, wo ein bestimmtes Produkt selten dort Verwendung findet, fehlt einfach der rechte Schlüssel, um die Qualitäten eines Produktes auf höchstem Niveau zu präsentieren. Dass in Deutschland viele Rezepte der „bürgerlichen“ Küche noch keine überzeugenden Fassungen aus der Hand von Spitzenköchen gefunden haben, liegt jedenfalls nie am Produkt oder an der grundsätzlichen Tendenz des Rezeptes. Torsten Michels Kalbsleber-Rezeptur überrascht gründlich. Erst einmal hält man das große, vergleichsweise „normal“ von Pfifferlingen, Erbsen und zweierlei Saucen umringte Stück kaum für Leber, weil man die Leber eben üblicherweise als flache Scheibe bekommt. Dann probiert man ein Stück und kann den Qualitätsgewinn kaum glauben. Es schmeckt einfach exzellent und man ißt das Stück bis zum letzten Bissen mit viel Genuss. So also kann Leber sein. Aber – warum ist sie so gut? Der Aufbau eines Stückes zeigt einen knapp gegarten Kern, der alle Vorteile der knappen Garung mit sich bringt, die speziell bei exzellenten Produkten zum Tragen kommen: kein „leberiger“ Geschmack, sondern Leber eher als Variante des Fleischgeschmacks. Dazu kommt nun das Entscheidende, nämlich eine prächtig glasierte Kruste, die gleich eine ganze Palette von zusätzlichen Aromen bringt. Der „Trick“ ist die Dicke. Bei den üblichen Scheiben von Leber kann man eigentlich nur mit sehr großer Hitze und selbst dann noch nur kurz braten, um wenigstens ein wenig Kruste zu erzielen. Michel nutzt Erkenntnisse, wie man sie auch beim Zubereiten von Foie Gras braucht: die für den Geschmack so wichtige Kruste bekommt man nur dann, wenn das Stück dick genug ist. Nur so wird der Kern vor Übergarung geschützt. Hier ist die Kruste eine echte Kruste, die dazu noch von der Glasur mit einer klassisch-reduzierten Sauce eine enorme aromatische Präsenz bekommt. Hervorragend. Dass der Schmorsaft auch noch eine schöne Säure vom Baroloessig hat, rundet zusätzlich ab und nimmt dem Gericht jede Schwere.

Gegrilltes Schmetterlingssteak vom Elsässer Täubchen mit geschwenkten Artischocken und Pfifferlingen, Limonen-Ingwerjus
Die Entscheidung für ein Schmetterlingssteak von der Taube ist in der Küche von Torsten Michel nur logisch. In seinem Verständnis geht es nicht um dünne Streifen einer Brust ohne Haut als Mittelpunkt eines Taubengerichtes. Es geht um die ganze Taube und um all das, was sie aromatisch bringen kann. Insofern ist die Basis eine Garung, bei der diverse weitere Teile Verwendung finden und vor allem auch solche, die stärkere Röstnoten ermöglichen. Abgerundet wird dieser Teil mit einem Stück Filet, das fast roh oben auf dem Schmetterlingssteak liegt. Natürlich finden auch die Innereien Verwendung, die in einer Art Ragout mit einer leichten Blutnote und auf einer feinen Brotunterlage zusammengefasst werden. Die aromatische Basis vieler Gerichte ist in der „Schwarzwaldstube“ neben dem Hauptprodukt eine exzellente, klassische Sauce, die speziell bei den Fleischgerichten nie fehlt. Auch diese Saucen werden von Torsten Michel regelmäßig individualisiert – das aber in einer Form, die ihren Charakter nicht übertüncht, sondern eher erweitert. Eine Sauce mit starker Reduktion und einer Buttergabe zur Egalisierung etwaiger herber Nebennoten bildet oft nur einen mehr oder weniger nützlichen Hintergrund. Wenn die Sauce wie hier mit etwas Würze und Schärfe angereichert wird, greift sie deutlicher in das Gesamtgeschehen ein und erzeugt eine unüberschmeckbare Interpretation des klassischen Bildes. Dazu passt dann auch vorzüglich die hier häufiger zu findende Verbindung mit Artischocken, die mit ihrer dezenten Herzhaftigkeit das Bild weiter anreichern.

Medaillon vom Rehrücken mit zart angebratener Entenleber, glasierten Kirschen und Selleriepüree, Wacholderjus
Auch bei dem wiederum exzellenten Rehrücken kann man den mittlerweile präzise entwickelten Stil der Küche weiterverfolgen. Zuerst geht es hier um ein sehr süffiges Bild mit dem prächtigen Stück Rehrücken, der Sauce, geschmortem Fleisch (das wie alle geschmorten Elemente in der „Schwarzwaldstube“ kaum zu übertreffen ist) der leichten Fruchtsäure von den Kirschen und der Foie Gras als eine Art Katalysator, der in jedem Zusammenhang für eine wundervoll klassisch-traditionelle Abrundung sorgt. Und dann kommen die kleinen, aber feinen und vor allem wirkungsvollen Erweiterungen, die sowohl in textureller wie in aromatischer Hinsicht das Spektrum deutlich erweitern und neu interpretieren, ohne dabei jemals den Zusammenhang zu verlieren. Gemeint sind die diversen Mikroelemente auf dem Fleisch, die man im Prinzip mit jedem Bissen mitnimmt und die dem Ganzen geradezu so etwas wie Frische mitgeben. Die Wirkung solcher Elemente sollte man nie unterschätzen. Wenn sie – wie das leider häufig der Fall ist – unbedacht eingesetzt werden, können sie vieles zunichte machen, weil dann vielleicht die Textur zu aggressiv sind oder eben allgemein die Proportionen der Mikros nicht stimmen. Wenn sie – wie hier – perfekt abgestimmt sind, können sie eine erheblich positive Wirkung haben. Bei diesem Gericht hat man – wie bei der Taube – wirklich „zu tun“. Man ißt sich durch die vielen möglichen Akkorde und kommt von einem hervorragenden Geschmack zum nächsten, mal klassischer, mal stärker interpretiert, immer auf hervorragendem Niveau.

4 Gedanken zu „Torsten Michel II“

  1. Warum gibt es bei Ihnen und Co. eigentlich keinen Disclaimer über Einladungen und Kompensationen?
    Während bei allen anderen beobachtet und kritisiert wird, fehlt hier eindeutig die Transparenz!

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  2. ich teile Ihre begeisterung für die leberschnitte: ganz klasse fand ich, dass der geschmack der leber nicht durch laute würzung übertüncht und verfremdet wurde, sondern (auch hier zeichnete sich die dicke des stücks aus) bis auf aromatisierung von aussen durch kruste und die dichte, leicht angesäuerte sauce sehr pur und natürlich blieb.

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  3. Lieber Herr Dollase,

    auch TM II habe ich mit einem wunderbaren Hochgefühl gelesen. So wie Steinbutt und Rehrücken und Co. bei Torsten Michel einen perfekten Garpunkt haben, so haben Sie, verehrter Herr Dollase, wieder einmal den perfekten „Garpunkt “ bei der kulinarischen Bewertung getroffen. Extraklasse ! und herzlichen Dank dafür. Viele Grüße. Roland Rauen.

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  4. Beim Steinbutt wäre vielleicht auch ein Vergleich mit einer konzeptionell sehr ähnlichen (optisch nahezu identischen) Kreation von Guy Savoy interessant gewesen: Aile de Raie «refroidie» avec concassée d’huîtres et nappé de caviar frais (caviar Osciètre Royal et Baeri). Wobei ich persönlich Michels Variante deutlich besser fand, auch weil Savoy das Gericht tatsächlich «refroidie», also nahezu kalt, serviert, was den Austerngeschmack allzu stark (fast schon penetrant) in den Vordergrund treten lässt.

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