Update: Zwei Geschäfte in Boulogne-sur-mer

O.k., Boulogne ist nicht unbedingt eines der Traumziele deutscher Touristen, dazu ist es einfach ein wenig zu „brut“. Seitdem es aber keine Fähren nach Großbritannien mehr gibt und die endlosen Horden wild entschlossener britischer Sauf-Touristen fehlen, geht es wieder erfreulich normaler zu. Es gibt selbst ein kleines FNAC, dessen kulinarische Abteilung aber leider so stark heruntergefahren ist, dass sich kaum etwas Interessantes findet (auch in diversen anderen FNAC-Filialen in Frankreich ist das Angebot schwächer geworden. Die „Grand Chefs“ – Abteilung wird immer kleiner, obwohl es wirklich genug Bücher gäbe).
Boulogne ist für Gourmets allerdings insofern stärker in Reichweite, als es nach La Madeleine-sous-Montreuil, also dem Ort von „La Grenouillère“ von Alexandre Gauthier, nicht sehr weit ist. Der erzählt übrigens im aktuellen „Thuries“ – Heft seine ganze, sehr interessante Lebensgeschichte.

Die Fischstände am Hafen sind alle besetzt, das Angebot verstört manchmal wegen viel zu vieler kleiner Fische, wenig großen Teilen, aber Unmengen von – nicht bretonischen – Hummern, deren Preis hier bei 29,90 Euro/Kilo liegt. Die Fisch- und Fleischgeschäfte im Zentrum scheinen etwas zu schwächeln – nicht nur wegen des erstaunlich gut sortierten Leclerc-Hypermarché am Stadtrand. Aber – es gibt zwei Läden, die überragend sind und zu denen ich hier ein paar Dinge schreiben möchte.

Philippe Olivier, oder: war das neue Geschäft notwendig?
Das Käsegeschäft von Philippe Olivier (heute in der Hand seines Sohnes Romain) gehört zu den prominentesten Käseläden Frankreichs. Philippe Olivier, ein Denkmal und Fanatiker der Käsereifung, war als Chef eine beeindruckend eigenwillige Persönlichkeit. Als ich vor etlichen Jahren einmal eine große Geschichte über ihn geschrieben habe, lud er mich und seine damalige deutsche Importeurin Elisabeth Häfner zum Mittagessen ins nahe Wimereux ins Hotel Atlantic ein – auch damals schon mit Stern. Olivier blieb in seinem grauen Kittel, den er nicht abgelegt hatte…

Bekannt wurde Olivier zum Beispiel auch mit Lagencamembert, also Camembert, der von Küchen stammt, die nur auf ganz bestimmten Wiesen gegrast haben. Ich habe quer verkostet und fand den Unterschied durchaus beträchtlich. Bekannt wurde er natürlich auch für seine Auswahl und Pflege der nordfranzösischen Käse, darunter auch eigene aus Boulogne oder so berüchtigte Spezialitäten wie die Boulette d’Avesnes. Aber – das ist es nicht, was mir dort am meisten auffiel. Wirklich markant war der Geruch in seinem Laden, den ich nie vergessen habe und der dafür sorgte, dass ich auch blind die Käse aus dem Hause Olivier identifizieren konnte. Ich habe in einigen Restaurants in Deutschland nachgefragt: „Ist das Käse von Philippe Olivier in Boulogne?“ Man war verblüfft. Dahinter steckt vielleicht ein Problem – zumindest würde Käselegende Bernard Antony das sicher so sehen. Während bei ihm die Reifekeller ein Ausbund an Hygiene sind und alle Käse säuberlich nach Familien getrennt so reifen, dass sie sozusagen nur „in ihren eigenen Schimmel-/Pilzkulturen“ leben, hatte man bei Olivier en Eindruck, als ob das ganze Haus – also das Geschäft mit seinen verwinkelten Räumen und der uralte, verwinkelte Keller darunter – von einer ganz spezifischen Pilzkultur geprägt sind. Alle Käse von Olivier (oder zumindest die meisten) schmeckten „nach Olivier“. Ist das im Sinne der Käsereifung oder muss man mehr Purismus betreiben? Und ist dies eine grundsätzliche Frage? Eine Frage der „Käse-Politik“?

Wie dem auch sei: heute findet man die Fromagerie Olivier in neuen Räumen schräg gegenüber dem alten Geschäft, und – es riecht nicht mehr nach Olivier. Die Käse, die ich probiert habe, sind gut wie immer, sehr präzise gereift, alles bestens. Aber – sie schmecken eben nicht mehr nach dem unverwechselbaren Eingriff eines Affineurs, der dem Käse von sich aus noch ein gutes Stück hinzugefügt hat.

La Poissonnerie Gourmande
Dieses neue Geschäft muss man erst einmal finden. Es versteckt sich im vorderen Teil des gewerblichen Fischerei-Hafens, also im Bereich der ersten Becken, die jetzt nicht mehr für die Fischerei genutzt werden. Und weil das Geschäft auf der Rückseite eines Blocks liegt, ist es auch von der normalen Straße aus nicht zu sehen. Das Angebot ist groß und wirklich etwas für den Privatkoch, der normalerweise viele Produkte nicht so ohne weiteres kaufen kann. Man würde dieses Angebot mitten in Paris oder in südlichen Märkten vermuten, aber eben kaum in Boulogne. Angeschlossen ist eine Austernbar, an der es – inkl. Gillardeau – allerlei Sorten und kleine Gerichte rund um Meeresfrüchte etc. gibt und man von Schickimicki nichts sieht. Das Angebot umfasst auch ein strammes Traiteur-Programm von kleinen Amuse-Bouche-Gläschen ab 1 Euro über einige klassische Terrinen bis zu diversen Fertiggerichten aus dem kalten wie dem zu erwärmenden Programm. Mir haben vor allem die großen Fische gefallen, die man hier in „gewerblicher“ Größe für die dicken Schnitten oder Stücke bekommt, die ein kräftiges Anbraten vertragen ohne gleich durchzugaren. Dass Angebot an ausgelösten Filets hält sich dann übrigens auch sehr in Grenzen. Viele Krustentiere werden auch gekocht angeboten – inklusive der Percebes. Der Grund dafür ist, dass hier eben neben dem französischen Stammpublikum auch viele Leute wohnen, die sich als Rentner ans Meer zurückgezogen haben und exakt für ein solches Angebot sehr treue Kunden sind. Im nahen Le Touquet gibt es aus diesem Grund nicht nur ein erstaunliches Angebot an hochwertigen Textilgeschäften etc., sondern auch an guten Läden für alles Ess- und Trinkbare… Dieser Laden – siehe die Fotos – überrascht auch deshalb, weil man so etwas in Boulogne nicht unbedingt erwarten würde. No Nonsense, gute Sachen, fertig. Wenn man – wie wir bei diesem Besuch – in einem neuen Hotel mit großen Appartements mit vollständigem Hafenblick wohnt, ist das sehr praktisch.

Also: fahren Sie nicht nach Boulogne, es reicht, wenn ich weiß, wo es noch nicht ganz so touristisiert zugeht…

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